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Demokratie und Sicherheit im Nahen Osten

Lesedauer: 8 Minuten

Verehrte Herren Botschafter,
Liebe Gäste aus Nah und Fern,
Meine Damen und Herren,
Liebe Freundinnen und Freunde,

ich begrüße Sie auch im Namen meiner Vorstandskollegin Barbara Unmüßig herzlich zur 13. Außenpolitischen Jahrestagung der Heinrich Böll Stiftung.

Wir freuen uns über das rege Interesse, auch in der diplomatischen Welt Berlins: Wenn wir richtig gezählt haben, sind Mitglieder der diplomatischen Vertretungen von 26 Staaten für diese Konferenz angemeldet.  Das ist ein neuer Rekord, zumindest für unsere Verhältnisse.

Nicht minder freuen wir uns über die zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft.

Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass wir angesichts der großen Resonanz etwas enger als geplant zusammenrücken müssen.

Wir nehmen das als Hinweis, dass wir das richtige Thema zur richtigen Zeit ausgesucht haben.

Hintergrund

Wir kommen am Ende einer spannenden politischen Woche zusammen. Das alles überragende Ereignis war natürlich die Wiederwahl von Präsident Obama. Ich gehe davon aus, dass die allermeisten hier im Saal darüber nicht unglücklich sind.

Das globale Interesse an dieser Wahl hat wieder einmal bestätigt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika immer noch eine besondere Rolle in der Welt spielen – amerikanische Politik ist immer auch Welt-Innenpolitik. Man sollte die USA jedenfalls nicht vorschnell abschreiben. Sie sind immer noch die einzige Macht mit globaler politischer und militärischer Reichweite. Aber auch sie mussten in den letzten Jahren die Grenzen unilateraler Politik erleben. Wir werden sehen, wie weit Präsident Obama künftig auf multilaterale Arrangements setzen wird. Das ist jedenfalls unser politischer Ansatz.

Man muss kein Prophet sein um vorauszusagen, dass Obama wie auch der Kongress die Europäer verstärkt in die Pflicht nehmen werden, mehr in die gemeinsame Sicherheit und Zusammenarbeit zu investieren. Europa kann sich nicht mehr selbstverständlich darauf verlassen, dass Amerika die Feuerwehr spielt, wenn es kritisch wird. Die Prioritäten der amerikanischen Politik verschieben sich Richtung Pazifik. Die Europäische Union wird mehr Verantwortung für ihre Nachbarschaft übernehmen müssen, im Osten wie im Süden unseres Halbkontinents. Womit wir schon fast beim Generalthema dieser Tagung wären.

Mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten möchte ich kurz einige Schlaglichter der letzten Tage nennen:

 

  • Anfang dieser Woche in Katar: Der syrische Widerstand sucht eine gemeinsame Stimme. Aktivisten in Syrien wie im Exil verlangen von den Verhandlungsführern, interne Rivalitäten endlich beizulegen. Nur eine vereinigte demokratische Opposition – die Betonung liegt auf vereint und demokratisch – wird in der Lage sein, das Assad-Regime bald zu stürzen und breite internationale Unterstützung zu gewinnen.

 

  • Gestern in Kairo: Laut Agenturberichten werden Ägypten, Saudi-Arabien, die Türkei und der Iran auf Initiative des ägyptischen Präsidenten zusammenkommen, um die Lage in Syrien zu beraten. Es wäre ein großer Schritt, wenn die benachbarten Mächte sich auf einen gemeinsamen Plan für einen geordneten Machtwechsel in Syrien verständigen könnten, statt ihre konkurrierenden Interessen auf syrischem Boden auszutragen. Es gehört aber auch viel Optimismus dazu, an eine solche Einigung zu glauben. 

 

  • Gleichzeitig gehen die Kämpfe in Syrien mit unverminderter Heftigkeit weiter. Sie kosten täglich 100, 200 oder mehr Tote, mehrheitlich Zivilisten. Inzwischen ist das nur noch eine Randnotiz in den Nachrichten. Mich erinnert das fatal an den Beginn des jugoslawischen Zerfallskrieg in den 90er Jahren, als in den westlichen Hauptstädten die Parole vom „Ausbluten lassen“ herumgeisterte.

 

  • Morgen geht hier in Berlin die DESERTEC Jahreskonferenz zu Ende, auf der konkrete Pläne für Investitionen in Höhe von 600 Mio. Euro für die Startphase eines Solarenergie-Verbunds zwischen Nordafrika und Europa vorgestellt und erste Abkommen unterzeichnet werden. Wir betrachten das als einen Lichtblick. Es geht um nachhaltige ökonomische Entwicklung in der Region, um umweltfreundliche Energie, Ausbildung und Jobs, und es geht um Vernetzung zwischen der EU und dem Maghreb im doppelten Sinn des Wortes.

 

Seit Beginn des „arabischen Frühlings“ gibt es eine verwirrende Fülle von ermutigenden und alarmierenden Signalen aus unserer südlichen Nachbarschaft.

Es ist fast genau zwei Jahre her, als ein Verzweiflungsakt einen Sturm entfachte, der die ganze arabische Welt erfasst hat.

Die Selbstverbrennung eines Gemüsehändlers in Tunesien mündete in einen flächendeckenden Aufstand der Entrechteten. Wenn ich es richtig verstehe, ging es von Anfang an um Brot und Würde, um einen Ausweg aus der sozialen Misere und aus der politischen Ohnmacht. Es war für die Arabische Welt eine Zeitenwende, ähnlich der großen Wende von 1989/90 in Mittel- und Osteuropa.

Europa wurde von dieser Entwicklung völlig überrascht. Allzu lange hatten  westliche Regierungen auf ein Arrangement mit den herrschenden Autokraten gesetzt. Ben Ali, Mubarak und Gadaffi schienen fest im Sattel zu sitzen. Die institutionelle Zusammenarbeit rund um den „Barcelona Prozess“ war in lebloser Routine erstarrt. Dass fast täglich Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa im Mittelmeer zugrunde gingen, wurde in Kauf genommen. Erst als in Libyen eine blutige Säuberung der Opposition durch das herrschende Regime drohte, raffte sich der Westen auf, klar Partei zu ergreifen.

An rhetorischen Bekundungen fehlt es nicht. Aber immer noch gibt es keine konsistente, pro-aktive Politik der EU gegenüber den Umwälzungen in der MENA-Region. Wir Europäer sind gerade sehr mit uns selbst beschäftigt. Das könnte sich als historischer Fehler erweisen. Wir wissen nicht, wie lange das berühmte „window of opportunity“ noch offen bleibt, um die Beziehungen mit den Nationen des südlichen Mittelmeerraums auf eine neue Grundlage zu stellen, die von Respekt, demokratischen Werten und Kooperation zum gegenseitigen Vorteil gegründet ist. 

Es geht auch darum, das Mittelmeer wieder als das zu begreifen, was zumindest die Älteren noch in den Geschichtsbücher gelernt haben: als „Mare nostrum“, unser Meer, das uns verbindet statt uns zu trennen.

Kurz zu einigen Leitfragen der Konferenz

Lange wurden autokratische Regime unterstützt, demokratische Prinzipien einer vermeintlichen Stabilität geopfert. Die EU hat damit an Glaubwürdigkeit verloren. Was sind die heutigen Erwartungen in der Region an die EU? Ist eine aktive europäische Politik & Präsenz überhaupt erwünscht? Oder setzt sich eine Stimmung durch, die stärker auf Abgrenzung als auf Zusammenarbeit gerichtet ist?

Wo gibt es gemeinsame Interessen und Handlungsfelder? Auf welchen Gebieten, für welche Ziele sollte sich Europa verstärkt engagieren? Die EU hat im Mai 2011 eine „Neue Antwort auf eine Nachbarschaft im Wandel“ formuliert. Eine erste Zwischenbilanz wurde im Mai dieses Jahres vorgestellt. Wir wollen diese Gelegenheit nutzen, um mit unseren Gästen aus Marokko, Tunesien, Libyen, Ägypten, Israel, Palästina, Libanon und Syrien diese „Neuen Antwort auf eine Nachbarschaft im Wandel“ zur Diskussion zu stellen.

Eine zentrale Frage für die künftige europäische Nahost-Politik ist die Zukunft des politischen Islam. Islamistische Bewegungen und Parteien unterschiedlicher Prägung sind bisher die großen Gewinner der Arabellion. Nach Jahrzehnten mehr oder weniger heftiger Unterdrückung sind sie  zu einer dominierenden Kraft geworden. Es hängt viel davon ab, ob sie sich künftig als religiös-politische Kraft innerhalb einer pluralistischen Realität begreifen oder ob sie versuchen werden, Staat und Gesellschaft ganz nach ihren Vorstellungen auszurichten.

Wie kann Europa, wie kann der Westen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten befördern? Wer sind unsere Partnerinnen und Partner in Politik und Zivilgesellschaft? Das Beispiel der Anklage gegen Mitarbeiter amerikanischer Institute und der Konrad Adenauer Stiftung in Kairo zeigt, wie unsicher das Terrain ist, auf dem internationale Organisationen arbeiten.

Zum Wandel gehört auch die völlig gewandelte Sicherheitsarchitektur in der Region. Die enge sicherheitspolitische Kooperation zwischen den USA und Ägypten scheint passé. Die bisherige Sicherheitsarchitektur Israels ist zusammengebrochen. Gleichzeitig ist der Friedensprozess mit den Palästinensern praktisch auf Null gestellt. Im Sinai entwickelt sich eine gefährliche Lage. Waffen aus den Beständen der libyschen Armee zirkulieren über die Grenzen. Der Kampf um Syrien gefährdet auch die prekäre Stabilität des Libanon. Dort verfügt die Hisbollah über ein enormes Raketenpotential. Die kurdische Frage ist wieder virulent. Und über allem droht der Konflikt um das iranische Atomprogramm. Das ist genug Stoff für ein Albtraum-Szenario; auf jeden Fall sollte es Grund genug sein für intensive diplomatische Initiativen Europas und der USA, um Sicherheit und Zusammenarbeit in der Region zu stärken. Bisher ist eine solche strategische Initiative aber nicht in Sicht.  

Noch einige Worte zur Rolle der Stiftung

Die große Zahl von internationalen Teilnehmern und Referenten zeigt die Verankerung der Heinrich-Böll-Stiftung in der Region. Sie beruht vor allem auf der langjährigen Arbeit unserer Büros in Beirut, Ramallah und Tel Aviv mit Projektpartnerinnen und -partnern in der ganzen Region. Gegenwärtig sind wir dabei, neue Büros in Tunis und Rabat zu errichten. Über diese Arbeit ist Vertrauen und gegenseitiger Respekt aufgebaut worden. Das schließt auch die offene Diskussion über Meinungsverschiedenheiten ein, die es auch in unseren Reihen ab und zu gibt. Das gehört zur Demokratie.

Die deutschen politischen Stiftungen betreiben keine Außenpolitik – dafür haben wir kein Mandat. Aber wir können politische Brücken bauen, Dialoge fördern, Netzwerke knüpfen und Anstöße für die „große Politik“ geben. Dazu soll auch diese Konferenz beitragen – als eine Plattform für Begegnungen und für die Reflexion unterschiedlicher Sichtweisen.