Die Krise als Chance?

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Europa, Asien und die USA vor dem Washingtoner Gipfel zur Finanzkrise

10. November 2008
Stefan Schaaf
Von Stefan Schaaf

Nur noch einen halben Tag vom historischen Wahlsieg Barack Obamas in den USA entfernt, und nur elf Tage vor dem Gipfeltreffen, bei dem die Staaten der G20 in Washington über die Lage der globalen Ökonomie beraten wollen – das war der zeitliche Rahmen, in dem beim Jour Fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der tageszeitung (taz) ein hochkarätiges Podium über die weltweite Finanzkrise diskutierte.

Es war eine angeregte und kurzweilige Debatte, in der Adam Posen, ein prominenter Makroökonom aus Washington DC, die internationale Finanzkrise sehr nüchtern analysierte: Sie sei nicht so dramatisch wie derzeit befürchtet, sagte der Vizedirektor des Peterson International Institute for Economics. Es gebe in solchen Situationen drei Regeln: Einmal erscheinen Probleme schlimmer, wenn man selbst davon betroffen ist, außerdem enden Krisen schneller, wenn man ihnen rasch entgegentritt, und drittens seien die, die vor der Krise reich gewesen seien, auch hinterher die Wohlhabenden, während die Armen meistens arm blieben. Den USA stünde ein Jahr der Rezession bevor, Europa werde zwei Jahre von Abschwung und Jobverlusten betroffen sein, glaubt Posner, „aber das ist noch lange nicht das Ende der Welt“.

Diese Krise sei nicht mit der Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre oder den Problemen nach dem Ölschock der Siebziger zu vergleichen. Die Politik in den USA und Europa und die Notenbanken hätten rasch reagiert und seien bereits dabei, mit Konjunkturprogrammen gegenzusteuern.

Ende der Arroganz
Die schwierigere Aufgabe für den neuen US-Präsidenten und seine Kollegen der G20 sei die Verständigung über die notwendigen neuen Regulierungsinstrumente für die Finanzmärkte. Posen geht davon aus, dass die neuen Regeln trotz des Kollapses der großen US-Investmentbanken nicht weit genug gehen werden, da Obama und sein Team nicht den klaren Bruch mit der bisherigen Deregulierungspolitik wagen werden. Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik entgegnete, dass man endlich das Ende der Arroganz erleben werde, mit den US-Ökonomen und –Politiker Deregulierungspolitik verteidigt haben.

Die Verschiebung des ökonomischen Schwergewichts von den USA nach Asien konstatierten alle Panellisten. Die neue wirtschaftliche Stärke Asiens ist das Fachgebiet von Kishore Mahbubani, dem ehemaligen UN-Botschafter Singapurs, der nun die Lee Kuan Yew School of Public Policy leitet. Er sagte, dass man in Asien eine Krise immer auch als Chance verstehe. „Die Rückkehr Asiens“ heißt sein Anfang November auch auf Deutsch erschienenes Buch. Mahbubani spricht von der Rückkehr Asiens, weil die großen Länder Indien und China bis 1820 mehrere Jahrhunderte lang die weltweit größten Volkswirtschaften waren. Und 2050 werden mit China, Indien und Japan drei von vier Wirtschaftsmächten in Asien liegen. Dabei will Mahbubani keinesfalls behaupten, dass „das Ende der westlichen Vorherrschaft dasselbe ist wie das Ende des Westens“. Die Welt werde sich von einer „mono-zivilisatorischen zu einer multi-zivilisatorischen Welt" wandeln.

Öffentliche Entschuldigung fällig
Die aktuelle Krise werde nichts an diesem langfristigen Trend ändern. Sie sei bei weitem noch nicht überstanden. „Wir sind im Auge des Sturms“, sagte Mahbubani, und dessen Wucht und Geschwindigkeit habe selbst weltweit führende Ökonomen wie Paul Volcker schockiert. Die asiatischen Mächte seien überrascht, mit welchen - zu Zeiten der Asienkrise noch verpönten - staatlichen Maßnahmen der Westen versuche, seine Banken zu retten. „Eigentlich wäre da eine öffentliche Entschuldigung fällig, aber wir werden sie nicht zu hören bekommen“.

Aktuell müssten die asiatischen Schwellenländer vor allem eine Rückkehr des Westens zu protektionistischer Politik befürchten. Dies brächte ihre wirtschaftliche Erfolgsgeschichte in Gefahr, da sie bislang „am meisten von der Globalisierung profitiert haben“. Dies sei „ein echtes Horror-Szenario“ in einer Zeit, in der es für die Weltwirtschaft keine Grenzen mehr gebe. Mahbubani sieht es als ein Zeichen der Hoffnung, dass die Politiker weltweit die Kooperation suchen. Dass man die Gruppe der Zwanzig (G20), in der auch Schwellenländer wie China, Indien, Südkorea oder Argentinien vertreten sind, mit der Suche nach Maßnahmen gegen die Krise beauftragen will, sei vernünftig und positiv, meint Mahbubani, denn „die G8 können es nicht allein schaffen“. In Asien glaube niemand, dass sich Märkte selbst regulieren können. Nun komme auch der Westen zu der Einsicht, dass zur „unsichtbaren Hand der Märkte eine sichtbare Hand der guten Regierungsführung und Aufsicht kommen muss.“ Gemeinschaftliche globale Standards und Regularien könnten ein begrüßenswertes Ergebnis der Krise sein. Dabei werde Japan den Vorschlägen der USA und EU folgen, während China und Indien genau darauf achten, ob man ihren Vorschlägen zuhört und sie an den Entscheidungen beteiligt.


USA im "Drogenrausch"
Dabei kam es zu einer Kontroverse zwischen Posen und Mahbubani über die chinesische Wirtschafts- und Devisenpolitik. Haben sich die USA wie ein Alkoholiker verhalten, der nicht anders kann, als immer wieder den Schnapsladen aufzusuchen – so Mahbubani –, oder führte sich China – wie Posen meinte – wie ein Heroindealer auf, der seine Kunden dazu drängt, neue Drogen zu kaufen? Posen bestritt die Sichtweise Mahbubanis, dass China mit Bedacht und als langfristige politische Strategie auf eine „gesunde gegenseitige Abhängigkeit“ zwischen dem eigenen Land und den USA hingesteuert habe – "wir exportieren unsere Waren, dafür finanzieren wir euer Haushaltsdefizit." Posen erkannte weniger ökonomische Weitsicht als „zynisches innenpolitisches Kalkül“: China habe das private Sparen seiner Bürger angeregt, anstatt ein staatliches Sozialversicherungssystem aufzubauen, und so den Finanzüberschuss geschaffen, der in die USA fließen konnte. Dazu habe die künstlich unterbewertete chinesische Währung die Exporte angeregt und den heimischen Konsum gebremst. Somit trage auch China seinen Anteil an der Verantwortung für die Finanzkrise.

Heribert Dieter ging auf die Dimensionen der Krise ein. Es sei angesichts der fortgesetzt wachsenden Defizite noch gut, dass die Blase geplatzt sei, bevor die öffentlichen Schuldenberge weiter gewachsen wären. Europa habe die Augen vor den Gefahren finanzpolitischer Unvernunft verschlossen und sei dem Kurs der USA gefolgt. „Wir dachten, Finanzkrisen passieren woanders“. Ähnlich äußerte sich der vierte Gast auf dem Podium, Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Er beschrieb, wie weit sich deutsche und europäische Banken in das hochspekulative Geschäft mit neuartigen Finanzprodukten hineinziehen ließen. Europa könne der neuen US-Administration keine sinnvollen Ratschläge geben, wie man solche Krisen vermeiden könne – ganz abgesehen von Nicolas Sarkozys Vorstoß, endlich energisch gegen Steueroasen vorzugehen. Der zuständige EU-Kommissar Charlie McCreevy habe bis zur Krise alle Schritte der Deregulierung unterstützt. Wer da anders denke und die Verantwortung allein bei den USA sehe, unterliege „einer perfekten Selbstwahrnehmungsstörung“. Europa und die EU müssten endlich Strukturen schaffen. „Da haben wir richtig Hausaufgaben zu machen“, sagte Schick. Man könne direkt in Deutschland mit dem Aufräumen anfangen, wo immer wieder gutwillige Anleger mit Schrottimmobilien oder anderen dubiosen Anlagemodellen um ihr Geld gebracht würden. Da sei es eine politische Frage, ob es gelinge, „eine Mehrheit für eine andere Finanzmarktpolitik zu gewinnen, und das heißt, dass sich Bürgerinnen und Bürger auch in diese Debatte einmischen und das nicht den Experten überlassen“.

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