Kroatien: Die Entscheidung ist gefallen - die Zukunft liegt in der EU

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Flaggen von Kroatien und der EU am Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Europäische Integration in Zagreb
Kroatien hat sich am 22. Januar (doch noch) für eine europäische Zukunft entschieden. Auch wenn die Chancen für eine negative Entscheidung über eine vollwertige EU-Mitgliedschaft sehr gering waren, befürchtete man eine möglicherweise geringe Beteiligung am Volksentscheid. So stimmten zwei Drittel der Bevölkerung mit JA zur EU, und „nur“ jede/r dritte Bürger/in, die mit nein gestimmt hat, kann nach einer solchen Entscheidung enttäuscht sein. Eine ganz andere Befürchtung hat sich unterdessen bestätigt: Am Volksentscheid nahmen etwas weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten, nur etwa 43 Prozent, teil und boten so eine gute Grundlage für die Hinterfragung der endgültigen, aber nicht formellen Legitimität des Prozesses.

Ein Teil von ihnen blieb uninteressiert für Zukunftsfragen, ein anderer Teil hingegen war sehr verärgert über die Arroganz, mit der die Kampagne geführt und die Intransparenz und Ausschließlichkeit, mit der der Verhandlungsprozesses in den vergangenen Jahren geführt worden war. Die vergangene HDZ-Regierung (Kroatische Demokratische Union) hat in den acht Jahren ihres Mandats jede Ablehnung oder Hinterfragung des EU-Beitrittsprozesses als eine Verzögerung behandelt, die sie sich nicht erlauben kann. Die neue Oppositions-Regierung weicht nicht sonderlich von diesem Stil ab und entschied, mittels einer „Blitz“-Kampagne – und einer Dosis an Risiko – zu der historischen Entscheidung der Bürger/innen zu kommen, womit sie offensichtlich Erfolg hatten.

Gute oder schlechte Nachrichten für Brüssel?

Die Verhandlungen über eine vollwertige EU-Mitgliedschaft begannen schon in der Regierung Ivica Račans (SDP) vor fast zehn Jahren und waren, im Gegensatz zu den Verhandlungen der Länder, die 2004 oder 2007 der EU beigetreten waren, sehr schwer und anstrengend – wegen der Zusammenarbeit mit dem ICTY in Den Haag über die Auslieferung von Kriegsverbrechern und des Konfliktes mit Slowenien. Auf der anderen Seite blieb der ganze Prozess hermetische abgeriegelt und geschlossen, begleitet von einem hohen Maß an Selektivität, und die Verhandlungspositionen waren der Öffentlichkeit bis zum Ende der Verhandlungen weitestgehend unbekannt. Der Weg in die Europäische Union war in fester Hand des damaligen Premierministers Ivo Sanader (momentan angeklagt wegen einer Reihe von Korruptionsaffären), dem der Verdienst eines starken „Impetus“, dem so genannten 5. Gang, den er im Beitrittsprozess einlegte, zuzuschreiben ist und den auch Premierministerin Jadranka Kosor fortsetzte.

In der ersten Dezemberhälfte 2011 wurde endlich der Beitrittsvertrag Kroatiens in die EU unterzeichnet, und die politischen Eliten – denn das Projekt EU-Beitritt war deren Projekt - hatten nur noch auf die Erlaubnis der Bürger/innen gewartet, um den Prozess fortzusetzen. Den Befürwortern des EU-Beitritts kam es sicher ungelegen, dass parallel zu den Annäherungen Kroatiens an die EU innerhalb der EU selbst die Lage immer schwieriger und komplexer wurde, und neben der Erweiterungsmüdigkeit auch noch die wirtschaftliche und strukturelle Krise immer tiefer wurde. In den letzten Jahren wurden die Argumente für die Wertegemeinschaft immer blasser, und das Argument einer blühenden Wirtschaft immer weniger überzeugend.

Der strittigste Moment jedoch, der jetzt durch die schwache Beteiligung der Bürger/innen sichtbar wird, ist die Tatsache, dass die Regierung es versäumt hat, aus dem Beitritt ein gemeinsames Unterfangen zu machen, die Bürger/innen mit einzubeziehen und ihnen die Auswirkungen eines Beitritts bereits vor Jahren näher zu bringen. Dieses Versäumnis entstand durch eine autoritäre, elitistische und paternalistische Haltung der regierenden Eliten den Bürger/innen gegenüber – und die schwache Beteiligung der Bürger/innen am Volksentscheid (dies ist übrigens das 2. Referendum in der 20-jährigen Geschichte Kroatiens; das 1. wurde bezüglich der Abspaltung von Jugoslawien durchgeführt) kommt jetzt wie ein Bumerang auf die Eliten zurück geflogen. Die darin enthaltene Botschaft sollte nicht ignoriert werden. Dass eine richtige, breite und grundlegende Debatte über den EU-Beitritt ausblieb, ist eine Frage der Verantwortung der Regierung, aber auch des Desinteresses der Bevölkerung und deren unterentwickelten politischen Kultur, die es nicht gewohnt ist, für die Artikulierung ihrer Forderungen und die Einnahme öffentlichen Raums zu kämpfen.

Ebenso verhält es sich auch mit einem stärkeren Engagement hinsichtlich des Verhandlungsprozesses (wobei man nicht außer Acht lassen sollte, dass es sporadisch auch Forderungen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen nach Einbeziehung in die Arbeitsgruppen oder Zugang zu Verhandlungsstandpunkten gegeben hat). Erst seit dem vergangenen Jahr ist eine Einflussnahme oder Interessen diverser zivilgesellschaftlicher Gruppen – von NGO´s bis hin zu gesellschaftlichen Initiativen - um den EU-Beitritt und die Gründung der NGO Plattform 112, die versucht hat, auf die Notwendigkeit einer strengen Bewertung der Bereitschaft Kroatiens für den EU-Beitritt zu verzeichnen – sowohl im Bezug auf die umstrittenen Kapitel 23 und 24 (Justiz und fundamentale Menschenrechte; Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit) , als auch die Mechanismen für ein Monitoring der Reformen, das bis zum Beitritt Kroatiens in die EU im Juli 2013 wesentlich verbessert werden muss(te). Aber gerade von dieser Bewertung hängt ab, ob die Entscheidung der Bürger/innen für einen EU-Beitritt eine gute oder eine schlechte Nachricht zum Beginn der kommenden Arbeitswoche in Brüssel ist.

EU als Integrations- oder Teilungsfaktor

Tröstend ist dabei, dass die Bürger/innen ihre große Unzufriedenheit mit den politischen Eliten nicht durch eine Ablehnung des EU-Beitritts zum Ausdruck gebracht haben. Denn gerade jetzt, zumindest in dieser letzten Phase, wird so Raum geschaffen für eine „Übernahme“, die Besetzung und Kontrolle dieses Raums, denn er wird zur Entscheidung aller – und dann wird ein Weg gesucht dafür, dass in ihm möglichst viele von denen zu finden sind, denen die EU keine Lösung aufgedrängt hat und die sich als Verlierer fühlen. Doch gerade in ihnen haben jene Kräfte Unterstützung gefunden, die versucht haben, den EU-Beitritt Kroatiens zu verhindern; den Arbeitslosen, die noch schwerer eine Arbeit finden würden, den Einwohnern Dalmatiens, die ihre Immobilien verlieren würden, den Patrioten, die ihre vermeintliche Souveränität verlieren würden. Der Unmut wurde teilweise auch durch Proteste auf den Straßen artikuliert, aber größtenteils fanden sie in den Social Networks (Facebook) statt, und im Januar 2012 wurde die Frage des EU-Beitritts zur wichtigsten Identifikationsfrage. Wegen einer offensichtlichen Medienblockade zur Verhinderung einer ausgeglichenen EU-Beitrittsdebatte wurde Facebook zur alternativen Sphäre des Meinungsaustauschs, der in den vergangenen Wochen eine regelrechte Explosion an entflammten und regen Debatten erlebte, jedoch selten jenseits von Stereotypen.

Der Blick sollte aber nicht von den Auswirkungen dieser Frage abgewendet werden, denn sie hat in nur wenigen Augenblicken die Gesellschaft tief gespalten, und dieser Riss wird nicht einfach so verschwinden. Jene gesellschaftlichen Kräfte, die diesen Riss dazu benutzt haben, einen kurzfristigen Vorteil daraus für sich zu ziehen oder eine Nische zu finden, haben es bisher nicht geschafft, ein solides Szenario anzubieten, dass ein Leben außerhalb der Europäischen Union beschreibt ohne dass dieses in eine neue Isolation führt. Glücklicher-, oder unglücklicherweise, gibt es im Sabor (Parlament) der Republik Kroatien keine Partei, die politisch antieuropäische Standpunkte vertreten würde. Daher können die politischen Eliten in Kroatien, wobei wir vorrangig von politischen Parteien sprechen (denn in der akademischen Gemeinde und dem Wirtschaftssektor gab es mehr, allerdings verborgenen Widerstand gegen den Beitritt), noch einmal aufatmen, weil die allgemeine Unzufriedenheit mit ihnen nicht über die Frage des EU-Beitritts gelöst wurde. Für einige Menschen war es schlicht die Erfüllung eines Lebenstraums, für andere nüchterner Pragmatismus, für manche das Verlassen des Balkan – für andere wiederum eine (vermeintlich) sichere Rente. Am besorgniserregendsten ist die Tatsache, dass unter den EU-Beitrittsgegnern die Zahl junger und gebildeter Menschen stark angestiegen ist, die indigniert sind vom Verhalten der politischen Eliten und sich radikale Veränderungen wünschen.

Nicht in die Umlaufbahn des griechischen oder ungarischen Szenarios geraten

Trotz allem ist es zu früh zum feiern, denn vor Kroatien liegen noch mindestens 18 Monate bis zur Mitgliedschaft und dem Beitritt in die EU. Bis dahin wird es mit seiner neuen Regierung beweisen müssen, dass es bereit ist für Reformen und einen Weg einschlagen wird, der es nicht in die Nähe des griechischen oder ungarischen Szenarios bringt. Gleichzeitig müssen innerhalb der Gesellschaft die Kapazitäten und Ressourcen für eine unabhängige Überwachung (Monitoring) dieser Reformen und der Bewertung der Bereitschaft Kroatiens für den EU-Beitritt stärker werden. In diesem Prozess bleibt die Präsenz und Unterstützung der Europäischen Union auch weiterhin ein relevanter Faktor, der ein wichtiger Hebel für den Abschluss der vor einem Jahrzehnt begonnenen Arbeit ist. Dabei dürfen auch mögliche regionale Auswirkungen des Ergebnisses des Volksentscheides nicht außer Acht gelassen werden: trotz der Schwierigkeiten der Europäischen Union, die eine der ausschlaggebenden Faktoren bei der Entscheidung waren, haben die Bürger/innen sich dennoch für eine Annäherung an die Europäische Union entschieden. Hätten sie anders entschieden und das Ergebnis wäre negativ ausgefallen, hätten die Dinge in diesem Teil Europas in eine völlige andere Richtung verlaufen können.