Kooperation oder Zusammenprall? - Die G20 am Scheideweg

Die Teilnehmer/innen des letzten G20-Gipfels in Toronto im Juni 2010. Foto: Der Präsident von Argentinien. Lizenz: Creative Commons BY 2.0.

10. November 2010
Von Rainer Falk und Barbara Unmüßig

Von Rainer Falk und Barbara Unmüßig

Vor zwei Jahren trat die Gruppe der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen (G 20) mit einem hoffnungsvollen Anspruch an: Effizient und besser legitimiert als die alten Industrieländer (G 8) wollte sie die globale Wirtschaftskrise nicht nur managen, sondern Finanzmarkt- und andere Krisen fortan verhindern. Nur zwei Jahre später steht die G 20 am Scheideweg. Bei ihrem kommenden Gipfeltreffen am 11. und 12. November in Seoul könnten egoistische Interessen in den Vordergrund treten und den bisherigen Kooperationswillen in den Hintergrund drängen. Von Währungskriegen ist die Rede und von einer drohenden Rückkehr der großen Krise mit Handelseinbrüchen wie in den 1930er Jahren.

„It’s the financial sector, stupid“, möchte man den G 20 zurufen, die es bislang nicht geschafft haben, ihr erklärtes Gründungsziel, die Reform der internationalen Finanzmärkte, in die Praxis umzusetzen. Viel mehr als eine halbherzige und lang gestreckte Erhöhung der Kapitalstandards der Banken (Basel III) und verwässerte Reformansätze auf regionaler (EU-) oder nationaler Ebene sind auf die wohlklingenden Bekundungen von vier Gipfeltreffen jedenfalls nicht gefolgt.

Schlimmer noch: Die Agenda der G 20 weist gravierende weiße Flecken auf. Die eigentlichen Zentralthemen einer Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems bleiben bislang tabu: Bis heute gibt es keinen funktionierenden Mechanismus für die Anpassung von Wechselkursen und Leistungsbilanzungleichgewichten. Es gibt noch nicht einmal ein gemeinsames Verständnis davon, wann eine Währung als über- oder unterbewertet gelten könnte. So machen sich dann jeweils die eigenen volkswirtschaftlichen Interessen breit und stehen einer globalen Lösung im Weg.

Auch über ein internationales Insolvenzverfahren für staatliche Schuldner oder ein Beteiligungsgebot für private Banken im Falle neuer Krisen wurden im Rahmen der G 20 noch keine Entscheidungen gefällt. Immerhin stehen die Themen Wechselkurse, Rohstoffspekulation und das überkommene Dollar-Leitwährungssystem auf der Agenda der französischen G 20-Präsidentschaft, die unmittelbar nach Seoul beginnt.

Noch nie war der internationale Handlungsbedarf in diesen Fragen so deutlich wie vor diesem 5. Gipfel in Seoul. Der US-amerikanische Finanzminister Timothy Geithner möchte auf internationaler Ebene Interventionsobergrenzen für Leistungsbilanzdefizite und –überschüsse vereinbaren. Als ersten Schritt wollen die USA jetzt in Seoul die Installierung eines Frühwarnmechanismus vorschlagen, der bei „exzessiven“ Überschüssen und Defiziten greift.

Wichtig daran ist: Erstmals wollen die USA, in deutlicher Anknüpfung an die seinerzeit in Bretton Woods (1944) abgelehnten Ideen von John Maynard Keynes, Anpassungsregeln für beide Varianten einführen – für Defizit- wie Überschussländer. Der Wind hat sich also gedreht seit den Tagen von Bretton Woods. Damals waren die USA noch Überschussland und konnten dem Rest der Welt ihren Willen oktroyieren. Heute steht Amerika auf der anderen Seite.

Doch Geithners Plan ist leider allzu durchsichtig: Er entstand in erster Linie aus der Besessenheit, die neue Konkurrenzmacht China zur Aufwertung ihrer Währung zu bewegen, um deren Exporte in die USA und anderswohin zu verteuern. Dabei ist klar: Wollten die USA ihre wirtschaftliche Malaise einfach über die Veränderung der Wechselkurse auskurieren, müssten diese so extrem ausfallen, dass wirtschaftliche Katastrophen anderswo, beispielsweise in China, unvermeidbar wären. Und: Aus dem Bashing anderer Nationen ist noch niemals ein neues, tragfähiges System entstanden.

Der Geithner-Plan hat aber zweifellos einen Vorteil: Da er die Leistungsbilanzdefizite in den Mittelpunkt stellt, müssten Anpassungsmaßnahmen nicht notwendigerweise an den Wechselkursen ansetzen. Das Rebalancing könnte auch bei der Stärkung der Binnennachfrage (im Falle der Überschussländer) oder bei ihrer Drosselung beziehungsweise der Stärkung der Exporte (im Falle der Defizitländer) ansetzen. Natürlich ruft dies den Widerstand der Überschussländer – wie weiland den der USA – hervor. Keiner hat sich freilich so skandalös an die Spitze dieses Widerstands gestellt wie der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle auf dem Finanzministertreffen der G 20 Ende Oktober in Südkorea, als er den USA „planwirtschaftliche“ Abwege unterstellte.

Dabei hat China in Bezug auf die Stärkung der internen Nachfrage in den letzten Jahren wesentlich mehr getan als Deutschland, wo man auf einen neuen Exportboom nach der Krise spekuliert hat. Der exorbitante Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands ist nicht nur eine Zumutung für die Handelspartner, sondern hochriskant auch für die eigene Ökonomie: Nicht nur im Sinne einer nachhaltigeren Entwicklung, auch um die soziale Balance im Innern zu verbessern, wäre ein Abbau der hochgradigen Außenabhängigkeit der deutschen Wirtschaft dringend geboten. Den Chinesen dämmert allmählich, wie problematisch ihre eigene Exportorientierung ist. In Deutschland heizt die derzeit wieder erfolgreiche Exportoffensive die allgemeine Euphorie an.

Die G 20 stehen vor erheblichen Gegensätzen. Aber diese zeigen in aller Deutlichkeit: Es führt kein Weg an einem neuen internationalen Finanz- und Währungssystem vorbei. Die Alternative bestünde in fortwährendem Währungschaos und immer neuen Finanzkrisen. Die Lage wird keineswegs einfacher durch die Mengen an billigem Geld, das derzeit wieder auf die Märkte der Schwellenländer gespült wird. Erneut feiert der Carry Trade fröhliche Urständ. Hier nehmen Anleger in Ländern mit niedrigen Zinsen, beispielsweise in den USA, Kredite auf, um sie in Ländern mit höheren Renditen, beispielsweise in Thailand oder Brasilien, zu vergolden – ein Szenario, wie es auch den beiden letzten Finanzkrisen vorausging.

In Abwesenheit eines funktionierenden internationalen Wechselkursmanagements nimmt es nicht Wunder, dass diese Länder – von Brasilien über Südkorea bis Thailand – zu bilateralen Lösungen (etwa Kapitalverkehrskontrollen) greifen, um sich vor neuen Spekulationswellen zu schützen. Die neue Runde der geldpolitischen Lockerung („quantitative easing“) in den USA trägt vor diesem Hintergrund keineswegs dazu bei, die Schwellenländer kooperativer zu stimmen.

Was in dieser Konstellation bestenfalls von dem Gipfel in Seoul erwartet werden kann, ist dass er eine Kollision der Ökonomien vermeidet und die Diskussion über eine kooperative Neuordnung der internationalen Währungs- und Finanzpolitik offenhält. Unter der unmittelbar auf die koreanische G-20-Präsidentschaft folgenden französischen Präsidentschaft könnte und müsste diese Debatte dann volle Fahrt aufnehmen. Dann würde das Gründungsprojekt der G 20 vielleicht doch noch seinen ursprünglichen Zielen näher gebracht werden.

Dieser Beitrag erschien zunächst unter dem Titel "Stoppt den Währungskrieg!" auf Zeit Online.