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Spielstand #2 Fluch der Könige - Literaten und ihre öffentliche Rolle

Lesedauer: 5 Minuten

„Der Geist trinkt keinen Konsensmilchshake“

9. Oktober 2008

Tendenziell können Schriftsteller immer weniger als Seher und Feldherren fungieren, weil ihre entschleunigte Arbeitsweise den Erfordernissen einer hochtourigen medialen Debattenkultur nicht mehr genügt. Worin besteht aber dann die öffentliche Rolle der einstigen so genannten „moralischen Instanzen“? Warum gibt es im Literaturbetrieb fast ausschließlich männliche Netzwerke? Und wo finden sich politische Literaturvermittler, die Texte – nicht Köpfe – wirklich beim Wort nehmen?

Zur Diskussion über die öffentliche Rolle von Literaten und das Verhältnis von Schriftstellerei und Politik lud die Heinrich-Böll-Stiftung am 21.Februar 2007 in die Berliner Sophiensaele ein. Im Gespräch waren die Autoren Burkhard Spinnen, Annette Pehnt und Hans Christoph Buch, der seine Position zuvor im Kulturradio am Morgen erläutert hatte. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dirk Knipphals, Literaturredakteur bei der taz. Wir dokumentieren die Veranstaltung in gekürzter Form.

Die vollständige Dokumentation können Sie hier herunterladen.

Auszug aus dem Gespräch:

Burkhard Spinnen:
Diese Vorstellung von einer Engführung von Politik und Literatur ist wie ein Sehnsuchtsort. Das ist in der Form nicht mehr reaktivierbar, auch solche Phänomene wie die Gruppe 47 nicht. Aber es ist ein gewaltiges polit-emotionales Vakuum da, das auch solche Kleinvorgänge an sich saugt.
[…]

Hans Christoph Buch:
Der Begriff des Engagements ist zu eng gefasst, man identifiziert ihn merkwürdigerweise mit 1968, aber damals haben wir uns vehement gewehrt gegen diesen Begriff. Er wurde mit bürgerlicher Literatur gleichgesetzt, die sich für eine politische Partei erklärt und Fahnen schwingt oder politische Parolen formuliert. Das ist ein klischeehaftes Verständnis von Literatur: Dass sie Meinungen artikuliert und diese Meinungen öffentlich kundgibt.
 […]

Annette Pehnt:
Das Politische mit Texten zu erzeugen, liegt mir fern, es ist eine Kategorie, der ich mich freiwillig nicht aussetzen würde. Beim Schreiben denke ich nicht darüber nach, wie ich mich mit gesellschaftlichen Wirklichkeiten politisch auseinandersetzen könnte. Ich würde zunächst über ästhetische Kategorien nachdenken, über die Arbeit mit der Sprache. Das kann man dann zusammenführen in einem weiteren reflektierenden Schritt. Ich finde es selbstverständlich, dass Literatur keine Meinungen zu formulieren hat, ansonsten ist sie für mich keine Literatur mehr. Ich bin da puristisch. Ich glaube, Literatur kann dann etwas vollbringen, wenn sie sich auf das besinnt, was sie auszeichnet: einzig und allein auf die Sprache.
[…]

Knipphals:
Es gibt nicht mehr diese vermeintlich klare Frontstellung, Intellektuelle, Künstler auf der einen Seite, Ausnahme Grass, Ausnahme Brandt damals, Politik auf der anderen Seite. Da gab es sozusagen Gegensätze und Hass auf beiden Seiten sozusagen. Strauß-Wahlkampf 1980. Die Zeiten sind ja vorbei. Ist das solch eine Rahmenbedingung dafür, dass die Debatten flauer geworden sind?

Spinnen:
Vor zehn Jahren hätte ich viel radikaler formuliert: Ich mach mein Ding. Aber indem man als Autor sein Ding macht, partizipiert man ja auch an einer Geschichte. Da ist ja diese ewige Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Geist und Macht. Wenn ich 21 bin und ein Blatt Papier in die Hand nehme und einen Stift, in dem Moment schlage ich mich auf eine Seite, in dem Moment habe ich mich im bewusstseinsgeschichtlichen Kontext der letzten 300, 400 Jahre entschieden. Jetzt lerne ich ein paar jüngere Autoren in Berlin kennen, die ganz passabel Fußball spielen, so weit ist das gekommen.

Als Judith Hermann ihren großen Erfolg mit „Sommerhaus später“ hatte, sah das eine Zeitlang so aus, als ob man sich mit 17, 18 entscheiden könnte: Ich will Popstar werden, da geht beides: Schreiben und Singen. Das ging 1968 nicht, von Biermann mal abgesehen. Und dann kommt es zu einer Nivellierung von Bewusstseinsbildern. Und diese Nivellierung von Bewusstseinsbildern ist nicht ungefährlich auch für das Ästhetische. Das Ästhetische wirkt immer auf der Basis seiner Geschichte. Und das macht es schwierig, der Literatur diesen Stellenwert in der Öffentlichkeit wieder zurückzuerobern, den sie einmal als Ort der Auseinandersetzung mit der Macht gehabt hat. Deswegen die Einladung ins Kanzleramt, nicht als: Wir gehen in die Höhle des Löwen, haben da auch ein paar Farbbeutel dabei und auch Stinkbomben, sondern als Konsensfeier.

Pehnt:
Aber es gibt doch auch eine ganz lange und stolze Tradition: Kunst als widerständige Verweigerung, als Gegenentwurf allein im Ästhetischen.

Spinnen:
Ja, Frau Pehnt, wenn keiner mehr weiß, dass Sie gerade nur Ihr Ding machen, sondern auch denken, die schreibt jetzt was Schönes für mich, dann partizipieren die daran nicht.

Pehnt:
Das stimmt, das ist ärgerlich.

Spinnen:
Und dann liest jemand Ihr Buch auf der Oberfläche einer gelungenen Mitteilungsstruktur und sagt nicht: Indem ich ein Buch in der Hand habe, bin ich Teil der Widerstandswelt.

Pehnt:
Ja, das ist furchtbar ärgerlich.

Spinnen:
Solche Leute lesen dann nicht das, was Sie schreiben.

Pehnt:
Welche Wahl haben wir denn?

Spinnen:
Wir haben sowieso keine Wahl, aber wir müssen unsere eigenen Kinder davor warnen und wir müssen die Sache einigermaßen anständig zu Ende bringen, biographisch gesehen. Oder haben Sie noch eine zweite Biographie für sich im Kofferraum? Der Geist sitzt nicht im Kanzleramt und trinkt einen Konsensmilchshake.

Die vollständige Dokumentation können Sie hier herunterladen.