Der unmarkierte Raum
Wie reden wir über Gefährdungslagen und Normbrüche? Der Spielstand #5 zeigte, dass politische Ausnahmezustände nicht zuletzt auch unsere Sprache verunsichern.Zuweilen kommt es vor, dass eine Veranstaltung plötzlich mit Gleichzeitigkeiten zu tun hat, die das ursprünglich angesetzte Thema mit zusätzlichen Bezügen und Bedeutungsebenen anreichern. Der Spielstand #5 war so ein typischer Fall. Während sich Anfang November in Georgien und Pakistan die innenpolitische Lage verschärfte und deren Präsidenten außerordentliche Notstandsmaßnahmen ergriffen, erlebte die Berliner Republik den verfassungspolitischen Streit zwischen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Udo di Fabio. Der Richter im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts warf Schäuble vor, sich mit seinen Denkanstößen zur inneren Sicherheit in einen „präventionstechnischen Überbietungswettbewerb“ hineinzureden.
Zugleich feierte in Berlin ein Theaterstück von Falk Richter seine Uraufführung, das die Angstneurosen und Gewaltpotenziale der westlichen Wohlfahrtsgesellschaft durchspielte. Das so offenkundig Disparate führte in allen drei Fällen auf denselben Begriff:
„Ausnahmezustand“
Dass dieser dabei für völlig unterschiedliche Hintergründe und Niveaus der Eskalation gebraucht wurde, machte einmal mehr deutlich, wie wichtig es ist, sich die kulturellen Kontexte und sprachlichen Codierungsmuster bei der Beschreibung politischer Wirklichkeit immer wieder bewusst zu machen.
Nichts anderes sollte am 7. November in den Berliner Sophiensaelen unter reger Publikumsbeteiligung geschehen. Wie Moderatorin Cornelia Vismann gleich zu Beginn hinwies, fehlen uns heute mitunter die Begriffe, um „unnormale Umstände“ zu bezeichnen und sie damit analysefähig zu machen. Eine Situation wie in Afghanistan, wo die saubere Trennung zweier Mandate für die Bundeswehr nicht allen Beobachtern einleuchtet, macht die gesamte Malaise deutlich. Wie konstruiert der „war on terror“ divergierende Positionen? Warum spricht der Bundesinnenminister von „Sicherheitspaketen“, wenn eigentlich Terrorismusabwehr gemeint ist? Wie könnten wir unser analytisches Instrumentarium im Hinblick auf die real existierenden „neuen“ Kriege in internationalen Konfliktregionen schulen? Und nicht zuletzt: Können künstlerische Projekte an dieser Sensibilisierungsarbeit mitwirken?
Niels Werber und das Ticking Bomb-Szenario
Im Hinblick auf die veränderte Selbstbeschreibung westlicher Gesellschaften schlug der Medienwissenschaftler Niels Werber das Theorem des „Nicht-Kriegs“ vor – ein Begriff, der in Anlehnung an Carl Schmitt die ehemals klare Grenzziehung von „Krieg“ und „Frieden“ in Frage stellt. Diese Aufweichung gelte etwa für die militärischen und polizeilichen Aufgabendefinitionen, die in den neueren Konfliktformationen immer mehr zusammenfließen, aber auch für das „Ticking Bomb“-Szenario, bei dem unter dem Druck einer aktuellen Gefährdungslage juristische Bedenken hintangestellt werden. Der mit Prävention legitimierte „Nicht-Krieg“, so Werber, gehe immer öfter mit einem solchen „Training des Tabubruchs“ einher.
Karin Mlodoch, die für Haukari e.V. seit Langem im Nordirak tätig ist, wies entschieden darauf hin, dass unsere Begrifflichkeiten angesichts der komplexen Realität zumeist versagten. So sei eine strikte Trennung zwischen Kombattanten und Zivilisten, Tätern und Opfern, Hilfsorganisationen und Besatzungstruppen im heutigen Irak faktisch nicht möglich. Die Situation der Kurden, die sich durch das Saddam-Regime permanent im Ausnahmezustand wähnten, habe sie dazu geführt, einfachen Einordnungen und moralischen Reflexen zu misstrauen. Der Jubel vieler Kurden über die Vorgänge in Abu Ghraib sei angesichts der erlittenen Gräueltaten denn auch kaum überraschend gewesen. Ein jahrzehntelanger „Nicht-Krieg“, so Mlodoch, mache die Forderungen nach Gerechtigkeit und Formen der Aufarbeitung zu drängenden Fragen.
Die beiden Künstler Katya Sander und Ashley Hunt verwiesen unter Verweis auf die dänische und amerikanische Innenpolitik darauf, dass Kriege immer auch neue Subjektivitäten und Sprachmuster produzieren. In ihrer bereits auf der documenta 12 gezeigten Videoinstallation „9 Scripts From A Nation At War“ ging es ihnen darum, verschiedene Positionen im öffentlichen Diskurs zu identifizieren, die allesamt an der Benennung eines Kriegszustandes beteiligt sind. So ergeben die zwar authentischen, jedoch „performten“ Aussagen eines Al-Jazeera-Korrespondenten, eines US-Kriegsveteranen, eines in Guantanamo Inhaftierten oder irakischen Richters ein vielstimmiges Narrativ, das eine Ahnung gibt von der Größe jenes „unmarked space“, an dem Völkerrechtler und Politiker derzeit verzweifeln mögen.