Äthiopien 2008 – Akklamation oder Wahlen?

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Christian Peters-Berries über die Kommunal- und Nachwahlen in Äthiopien

10. Juni 2008

Am 12./13. und 19./20. April fanden in Äthiopien Nachwahlen zum nationalen Parlament und zu einigen Regionalparlamenten statt. Landesweit wurden gleichzeitig auch die Bezirks- (woreda) und Ortsräte (kebele) gewählt. Die Regierungspartei EPRDF gewann nahezu alle zur Wahl stehenden Mandate und darf sich ihrer Machtposition, gerade auch im Hinblick auf die 2010 anstehenden Parlamentswahlen, wieder ziemlich sicher sein.

Stadt und Land

Die äthiopische Verfassung sieht neben Wahlen für das nationale Parlament alle fünf Jahre auch Wahlen für die Regionalparlamente und die woredas vor. Mit den Terminen für regionale und kommunale Wahlen nahm man es bisher nicht immer genau:

  • In den beiden Großstädten Addis Abeba (rund 5 Millionen Einwohner) und Dire Dawa (rund 0,6 Millionen Einwohner), die eigene, den Regionalparlamenten und -regierungen gleichgestellte, Stadtparlamente bzw. -verwaltungen besitzen, sind seit 2006 geschäftsführende Regierungen an der Macht. Diese wurden 2006 von der äthiopischen Bundesregierung eingesetzt, da es in den gewählten Parlamenten keine regierungsfähigen Mehrheiten gab (bereits von 2002 bis zu den Wahlen 2005 hatte die Bundesregierung eine geschäftsführende Stadtverwaltung für Addis Abeba eingesetzt.). Anstatt rasch – wie auch von der Verfassung vorgesehen – Neuwahlen anzusetzen, wartete die äthiopische Regierung aus Gründen politischer Opportunität nahezu zwei Jahre, ehe sie die Wahlen endlich ansetzte.
  • Ähnliches lässt sich auch für die Kommunalwahlen konstatieren. Die letzten Kommunalwahlen liegen sieben Jahre zurück; eigentlich hätte schon 2006 gewählt werden müssen. Doch da es der regierenden EPRDFnach dem starken Abschneiden der Opposition bei den Wahlen 2005 und den nachfolgenden blutigen Unruhen im Juni und November 2005 nicht opportun erschien, wurden die Wahlen verschoben.

Mit einem neuen Wahlgesetz, umfangreicher Indoktrinierung, einer Stärkung des Partei-Apparates der EPRDF und einer längeren Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs, der diesmal auch vielen kleinen Farmern zu Gute kommt, fühlte sich die Regierung Ende letzten Jahres stark genug, die überfälligen Wahlen endlich stattfinden zu lassen.

Neues Wahlgesetz und die Folgen

Von den wahrscheinlich mehr als 80 Millionen Einwohnern Äthiopiens haben sich offiziellen Berichten zufolge rund 26 Millionen als Wähler registrieren lassen, wovon nach Angaben des National Election Board of Ethiopia (NEBE) 95 Prozent gewählt haben. In Addis Abeba sollen rund 1 Million Menschen (rund 80 Prozent der registrierten Wähler) zur Wahl gegangen sein. Während die Zahlen für die Registrierung durchaus glaubhaft erscheinen, da ‚halboffizielle’ Vertreter der Regierungspartei nahezu jeden Haushalt mindestens einmal besuchten, um die Bürger zum Teil recht massiv an ihre „Wahlpflicht“ zu erinnern, sind bezüglich der Wahlbeteiligung Zweifel angebracht.

Die Opposition ist zersplittert und zerstritten. Vielen Äthiopiern war deshalb nicht nach Wählen zu Mute. Unabhängige einheimische Beobachter berichten besonders in Addis Abeba von leeren Wahllokalen und einer insgesamt passiven Stimmung. Es gibt auch Hinweise, dass viele Stimmen bewusst ungültig gemacht wurden. Neben Kritik an der Regierungspartei wurden auf die Wahlzettel Bekenntnisse für englische Fußballvereine und einen inhaftierten äthiopischen Sänger geschrieben.

Zerstrittene Opposition

Die aktuellen Wahlen waren die ersten, die nach dem neuen Wahlgesetz von 2007 durchgeführt wurden. Das neue Gesetz bestimmt die Zusammensetzung des Election Boards (NEBE) im Sinne der Regierungspartei, weitet seine Befugnisse aus und schränkt neutrale Wahlbeobachtung weiter ein. Die Regierung kann jegliche ausländische Wahlbeobachtung ablehnen und es auch den diplomatischen Vertretungen verbieten, Wahllokale zu besuchen. Premier Meles Zenawi unterstrich dieses Verbot ausdrücklich in einem Briefing mit dem holländischen Botschafter im März 2008.

Aber auch für äthiopische Organisationen wurde die Möglichkeit, die Wahlen zu beobachten, stark beschnitten. Zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs), die Wähler-Aufklärung betreiben, dürfen nicht an der Wahlbeobachtung teilnehmen und umgekehrt. Von den mehr als 3.000 in Äthiopien registrierten CSOs sind nur noch rund 50 im Bereich ‚Good Governance’ und Politische Bildung tätig. Dies führte dazu, dass lediglich zwei Nicht-Regierungsorganisationen die Wahlen beobachteten, während die anderen sich entweder auf Wähler-Aufklärung konzentrierten (politisch weniger sensibel und finanziell lukrativer als Wahlbeobachtung) oder den Wahlen gänzlich fernblieben. Die Nachwahlen und Kommunalwahlen fanden deshalb weitgehend ohne neutrale Wahlbeobachtung statt. Selbst in Addis Abeba und Dire Dawa konnten die Oppositionsparteien nur in einem kleineren Teil der Wahllokale die ihnen zustehenden drei Interessenvertretern (party agents) pro Partei entsenden. Nur die Regierungspartei EPRDF schickte parteinahe Beobachter in alle Wahllokale.

Wahlen ohne Beobachter

An den Nachwahlen wollten zunächst 32 Parteien, darunter auch alle größeren Oppositionsparteien teilnehmen. Doch auch hier verstand es die Regierung mittels der administrativen und legalen Hürden des Wahlgesetzes einige Parteien zur Aufgabe zu bewegen und eine auszuschließen. Von den im Parlament vertretenen Parteien traten letztlich, neben unbedeutenden Splitterparteien, nur die Regierungspartei EPRDF, die kleinere Fraktion der ursprünglich stärksten Oppositionspartei CUD sowie die bereits früher von der CUD abgespaltenen UEDP-Medhin zu den Nach- und Regionalwahlen an.

Zwei der größeren, im Parlament vertretenen Oppositionsparteien – UEDF und OFDM – beschlossen, nicht an den Wahlen teilzunehmen, da die Mehrheit ihrer Kandidaten von der Wahlbehörde ausgeschlossen worden war und ihre Anhänger auf dem Lande schikaniert und eingeschüchtert wurden. So behauptet der Führer der UEDF, dass von rund 20,000 Kandidaten nur 39 Prozent vom NEBE zugelassen wurden und Wahlkampagnen auf dem Lande wegen massiver Drohungen und Sanktionen nahezu unmöglich gewesen seien. Die OFDM begründete ihr Fernbleiben vom zweiten Teil der Wahlen ähnlich. Die Wahlbehörde wies diese Vorwürfe zurück und drohte, den beiden Parteien die Zulassung zu entziehen.

Eingeschränkter Wahlkampf

Die vor allem in der Hauptstadt verankerte größte Oppositionspartei CUD wurde einige Wochen vor den Wahlen durch die NEBE gewissermaßen von den Wahlen ausgeschlossen. Die Wahlkommission machte dafür von ihrem Recht Gebrauch, bei Disputen auch in das Innenleben von Parteien einzugreifen. Die Parlamentsfraktion der CUD war in zwei Teile zerfallen, von denen der größere, den ursprünglichen Idealen der Partei näherstehende unter Temesgen Zewde den Namen CUD für sich beanspruchte. Die NEBE jedoch sprach der kleineren Fraktion den Namen CUD zu und zwang damit die Fraktion um Temesgen, einen neuen Parteinamen zu beantragen und eine neue Partei zu gründen. Da dies mit einigem behördlichen Aufwand verbunden ist, führte das dazu, dass die neue Partei UDJ nicht mehr zur Wahl zugelassen wurde.

An den Wahlen nahmen schließlich nur die Regierungspartei EPRDF, einige ‚zahme’ Oppositionsparteien wie die UEDP-Medhin, die ‚kleine’ CUD und Splitterparteien teil. Von einer echten Wahl konnte angesichts dieser begrenzten Alternativen kaum die Rede sein. Bei den Lokalwahlen standen alle Oppositionsparteien von vornherein auf verlorenem Posten, und auch der Boykott durch die UEDF und OFDM änderte daran kaum etwas. Die Regierung hatte vor den Wahlen sichergestellt, dass nur die herrschende Partei mit ihrer großen Mitgliederzahl und ihrem gewaltigen Apparat wirklich daran teilnehmen konnte. Nach den Wahlen von 2005 hatte die EPRDF massiv Werbung betrieben und die Zahl der Parteimitglieder auf über 4 Millionen erhöht. Dazu setzte sie intensiv auf materielle Anreize. In Addis Abeba etwa erhielten Parteimitglieder Zugang zu billigem, modernen Wohnraum; auf dem Lande verteilte die Regierung Saatgut, Dünger und vereinfachte Mitgliedern den Zugang zu Absatzmärkten.
Bei den Wahlen von 2008 waren in jedem der mehr als 10.000 kebele und in rund 600 Bezirken (woreda) jeweils zwischen 100 und 300 Mandate zu besetzen. Für die Wahlen in Addis Abeba (Stadtparlament und in den kebeles) stellte die EPRDF knapp 99 Prozent aller Kandidaten; ähnliche Verhältnisse herrschten fast im ganzen Land. Insgesamt standen rund 3,6 Millionen Sitze zur Wahl – eine für die Oppositionsparteien nicht zu mobilisierende Masse an Kandidaten.

Klare Ergebnisse

Bei den Nachwahlen ging es um 39 Mandate im 587 Sitze umfassenden House of Representatives. 20 Mandate waren vakant, weil sich nach den Wahlen 2005 die Führer der CUD aus Protest gegen angebliche Wahlfälschungen und das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte geweigert hatten, ihre Sitze einzunehmen; ein anderer Teil war aufgrund von Todesfällen frei geworden. 38 Sitze gingen 2008 an die Regierungspartei EPRDF, die damit ihre Mehrheit auf rund 74 Prozent ausbaute.

Von den 138 Sitzen im Stadtparlament von Addis Abeba – die 2005 bis auf einen Sitz an die CUD gefallen waren – gewann diesmal die EPRDF 137 Sitze. Es wären die kompletten 138 Sitze geworden, hätte sie nicht freiwillig einen Kandidaten zurückgezogen. Die Botschaft dieses Ergebnisses ist klar: „Wir haben alles wieder vollkommen unter Kontrolle!“ Welche Bedeutung die äthiopische Regierung der wieder gewonnenen Macht in Addis Abeba zubilligt, lässt sich daran ablesen, dass Verteidigungsminister Kuma Demeksa auf den Bürgermeisterposten wechselt. Der ehemalige Informationsminister und jetzige Berater des Premierministers, Bereket Simon, erklärte den Erfolg damit, dass die Wähler – anders als 2005 – erkannt hätten, dass es in ihrem eigenen Interesse sei, die EPRDF zu wählen.

In der zweitgrößten Stadt des Landes, Dire Dawa, gewann die (somalische) Oppositionspartei SPDP knapp 40 Prozent der Stimmen. Dies war das beste Ergebnis der Opposition in ganz Äthiopien.

Bei den Lokalwahlen gewann die EPRDF nahezu alle der rund 3,6 Millionen Mandate. Damit ist sichergestellt, dass der gesamte politische Prozess von der Regierungspartei EPRDF beherrscht wird.

„Ich wähle so, dass es mir gut geht!“

Durch die Kommunalwahlen wurde eine wichtige politische Vorentscheidung für die nächsten Jahre getroffen: Gegen den Machtapparat und das Patronagesystem der Regierung wird es keine Möglichkeit auf einen (friedlichen) politischen Wandel geben. Im Hinblick auf die nächsten nationalen Wahlen 2010 ist sichergestellt, dass

• Oppositionsparteien weitgehend auf kleine Kreise von Unterstützern in den Städten reduziert sind. Regionale Parteien wie die UEDF und OFDM haben durch ihren Boykott einen Teil ihrer Macht eingebüßt.
• es für bestehende oder neue Oppositionsparteien kaum möglich ist, Wahlkampf auf dem Lande (wo rund 80 Prozent der Wähler leben) zu betreiben.
• den Bürgern klar gemacht wurde: Wer Zugang zu sozialen ‚Wohltaten’ haben will, muss die EPRDF wählen oder Parteimitglied werden.

Die hohe Wahlbeteiligung und das Ergebnis spiegeln insgesamt weniger einen grundlegenden Meinungswandel wider, noch sind sie ausschließlich mit Zwang und der Furcht vor dem Entzug materieller Unterstützung zu erklären. Viele Äthiopier haben den Glauben daran verloren, dass sie mit ihrer Stimme etwas ändern können. Diese Einstellung drückt sich in einem oft gehörten Satz aus: „2005 hab ich mit dem Herzen gewählt, aber 2008 wähle so, dass es mir gut geht!“

Christian Peters-Berries leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Addis Abeba.