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ANC-Parteitage in Polokwane und Mangaung - Unterschiedliche Schattierungen

Jeder der fünf Parteitage des ANC seit der Befreiung hat in einer  anderen Epoche für die regierende Partei stattgefunden, und allesamt sind sie von dem jeweiligen Kontext geprägt worden. Der 49. Parteitag, der 1994 in Bloemfontein abgehalten wurde, war die erste Versammlung des ANC seit der Einführung der Demokratie und zugleich die Feier der Organisation zum Sieg über die Apartheid und zu ihrem Aufstieg an die Macht. Der ANC richtete sich in der Regierungstätigkeit ein und musste zum allerersten Mal einen Plan für die weitere Entwicklung des Staatswesens vorlegen.

Damals richtete ANC-Präsident Nelson Mandela in seinem politischen Bericht folgende Worte an den Parteitag: 

„Wenn wir uns heute hier zu dieser 49. nationalen Tagung des African National Congress versammeln, kommen wir aus den Union Buildings (1) und dem Tuynhuis (2), aus dem nationalen Parlament und regionalen Legislativen, aus Ministerien und Provinzregierungen – und wir tun das als die von der Mehrheit getragene Organisation in der in den ersten demokratischen Wahlen bestimmten Regierung unseres Landes. Wir haben uns aus Unternehmen und aus informellen Siedlungen hier zusammengefunden, aus Stätten der religiösen Verehrung und des Lernens, aus städtischen und ländlichen Gebieten, als Geschäftsleute und Experten – Afrikaner, Farbige, Inder und Weiße – als ein Mikrokosmos der südafrikanischen Gesellschaft.

Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes haben wir Delegierte aus allen Bereichen der südafrikanischen Gesellschaft unter einem Dach vereint, darunter auch die höchsten Amtsinhaber des Landes -  wir teilen als Gleichberechtigte miteinander dieselbe Vision, arbeiten an den gleichen Vorhaben. Dies allein führt bereits anschaulich die qualitative Veränderung in unserem Land vor Augen: ein Traum ist wahr geworden und ein Versprechen wurde eingelöst.“

Der nächste Parteitag, 1997 in Mafikeng, wurde von der Ernennung Thabo Mbekis, dem Kronprinzen des ANC, zum Präsidentschaftskandidaten bestimmt. Mbeki war darauf vorbereitet worden, 1999 die Herrschaft über den Staat von Mandela zu übernehmen, aber die Übertragung der Macht begann bereits mit dem 50. Parteitag des ANC achtzehn Monate zuvor.

Die wahrscheinlich denkwürdigste Begebenheit dieses Parteitags ereignete sich, als Mbeki in seiner Ansprache sagte: „Madiba (3), Mitglieder der Presse fragen mich immer wieder, wie es ist, in deine Schuhe zu schlüpfen und in deine Fußstapfen zu treten. Ich habe geantwortet, dass ich mich, selbst tot, niemals in solchen Schuhen blicken lassen würde, so hässlich wie sie sind!“

Bis zu diesem Tag kursieren die unterschiedlichsten Auslegungen darüber, ob dies nur ein Scherz sein sollte oder ob Mbeki tatsächlich damit feststellen wollte, dass er nicht die Absicht hatte, auch nur im Entferntesten Mandela nachzueifern und dass er ganz gewiss nicht vorhatte, in dessen Fußstapfen zu treten.

Dann fügte er auf isiXhosa (4) etwas noch Kurioseres hinzu: „Auch wenn du keine Tränen in unseren Augen siehst, Madiba, heißt das nicht, dass wir glücklich sind ... Wir werden dich wohl immer wieder um Hilfe bitten, selbst wenn es nur darum geht, dass du mir die Aktentasche abnimmst, damit ich die Hände die Hosentaschen stecken kann.“

Wer besäße wohl die Frechheit, Nelson Mandela aufzufordern, ihm die Aktentasche zu tragen?

In den darauffolgenden fünf Jahren konsolidierte der Meister der Anspielungen seine Macht und bezwang seine potenziellen Herausforderer, ungeachtet der Warnung, die ihm Mandela in Mafikeng mit auf den Weg gegeben hatte:

„Eine der Versuchungen eines unangefochten gewählten Führers ist, dass er seine starke Position nutzen sollte, um noch ausstehende Rechnungen mit seinen Gegnern zu begleichen, sie somit an den Rand zu drängen und unter Umständen auch ganz loszuwerden und sich mit Befürwortern zu umgeben ... Die Führung muss die Kräfte bündeln, aber das geht nicht ohne Widerspruch ... Die Menschen sollten die Führung kritisieren dürfen, ohne Repressalien befürchten oder Gefallen erbringen zu müssen. Nur so wird es vermutlich gelingen, die Mitstreiter zusammenzuhalten“, riet Mandela.
 
Genau dies sollte zehn Jahre später zu Mbekis Verhängnis werden und zu seinem Niedergang in Polokwane beitragen. Aber zuvor fand der 51. Parteitag des ANC 2002 in Stellenbosch statt, wo Mbeki, auf dem Höhepunkt seiner Macht, unangefochten in die zweite Amtszeit als Präsident ging.

Im vorausgegangenen Jahr waren alle etwaigen Präsidentschaftskandidaten durch abenteuerliche Verschwörungsvorwürfe außer Gefecht gesetzt und verdrängt worden. Im Vorfeld des Parteitags 2002 attackierte Mbeki die Kommunistische Partei SACP und den Gewerkschaftsdachverband COSATU, bezeichnete sie als „Ultralinke“ und gab zu verstehen, dass der ANC ohne sie besser dran sein würde.

Ein paar Wochen vor dem Parteitag in Stellenbosch wurde bekannt, dass Jacob Zuma im Rahmen der Ermittlungen gegen Schabir Shaik als in das Rüstungsbeschaffungsgeschäft (5) verwickelt benannt worden war. Zuma kam mit einer düsteren Wolke über dem Kopf nach Stellenbosch, und Mbeki konnte als edelmütiger Führer auftreten, der sich mit großer Geste vor seinen Stellvertreter stellte.

Zwischen den Parteitagen der Jahre 2002 und 2007 zerbrach ihre Beziehung und die Auseinandersetzungen entluden sich öffentlich. Die Verurteilung Shaiks führte dazu, dass Mbeki Zuma den Laufpass gab und Zuma daraufhin selbst wegen Korruption angeklagt wurde. Während sie weiterhin als Präsident und Vizepräsident des ANC fungierten und sich ihr Machtkampf zusehends verschärfte, spaltete sich die Organisation immer weiter und wurde in ihrem Innersten erschüttert.

Als Mbeki und Zuma nach Polokwane kamen, führten sie zwei individuelle Lager an, beide bereit für das finale Kräftemessen, aus dem nur einer von ihnen als Sieger hervorgehen würde. Mbeki war fest entschlossen, sich eine dritte Amtszeit als ANC-Präsident zu sichern und das Land von der ANC-Zentrale aus zu leiten, da die Verfassung eine dritte Amtszeit als Staatspräsident untersagt. Zuma war von dem Vergewaltigungsvorwurf freigesprochen worden und auch der Korruptionsverdacht gegen ihn war im Vorjahr fallengelassen worden, weshalb 2007 zu seinem Comeback-Jahr werden konnte.

Denkt man an Polokwane, kommen einem unweigerlich noch weitere Bilder in den Sinn. Die Bekanntgabe der Wahlergebnisse für die höchsten sechs Amtsträger in jener feucht-schwülen Dezembernacht hat sich unausweichlich in die Erinnerung der Menschen eingebrannt: Mbeki und Zuma schlenderten gemeinsam die Rampe zur Bühne hinauf, aber nur Zuma blieb oben.

Die Auflehnung der Delegierten am ersten Tag der Konferenz, während der damalige nationale Vorsitzende des ANC Mosiuoa Lekota darum rang, die Menge unter Kontrolle zu bringen, war ein weiterer dieser Anblicke. Die Frustration über die Akkreditierung sowie Mbekis nervtötend lange Rede und der unaufhörliche Regen hatten etwas gleichermaßen Unvergessliches.

Aber in erster Linie war die Polokwane-Konferenz von der demütigenden Niederlage Mbekis und dem Triumph Zumas gekennzeichnet. An die politischen Diskussionen dieser Konferenz erinnert sich kaum jemand, da die Delegierten fast ausschließlich mit dem Ausgang der Wahl beschäftigt waren.

Von da an veränderte sich der Lauf der Geschichte. Ein paar Tage nach seiner Wahl zum ANC-Präsidenten wurde Zuma abermals angeklagt, doch Richter Chris Nicholson befand im September darauf, dass die Anklage gegen Zuma fallen zu lassen sei. Er bestätigte außerdem ganz offiziell, dass es eine politische Verschwörung gegen Zuma gegeben hatte, was eine Woche später zu Mbekis Abberufung aus dem Amt führte, die ihrerseits die Abspaltung des Congress of the People (Cope) vom ANC zur Folge hatte.

Wenn der ANC zu seiner 53. Tagung in Mangaung antritt, ist es eine ganz andere Organisation als noch vor fünf Jahren. Viele derer, die beim letzten Parteitag noch das Sagen hatten, sind inzwischen nicht einmal mehr Mitglieder des ANC. Das Lager um Zuma ist während der Amtszeit des Präsidenten zersplittert, aber er hat es geschafft, die zunächst verlorene Unterstützung von COSATU wiederzugewinnen. Die Youth League dagegen, die Jugendliga des ANC, damals bei der Wahl in Polokwane seine größte Unterstützergruppe, stellt sich jetzt einer zweiten Amtszeit Zumas entschieden entgegen. Auch die Unterstützung für Zuma aus den Provinzen sieht diesmal anders aus, aber KwaZulu-Natal, seine Heimatprovinz, ist nach wie vor seine stärkste Bastion.

Der größte Unterschied besteht darin, dass der Mann, der die Dinge in Polokwane zusammenzuhalten versuchte und damals neben Zuma gewählt worden war, jetzt in der Lage wäre, die Führung für sich zu beanspruchen. Damals in Polokwane beendete Kgalema Motlanthe seine zweite Amtszeit als ANC-Generalsekretär und musste erst noch über die Lagerkämpfe hinauswachsen. Jetzt wird der Kampf gegen Zuma in Motlanthes Namen geführt; dass er sich zurückhält und seinen Hut nicht in den Ring wirft lässt darauf schließen, dass er über kein klar definiertes Lager verfügt.

Deshalb stehen sich beim Gefecht von Mangaung Zuma und sein Lager auf der einen Seite und die anderen Fraktionen und Interessengruppen, die gegen seine Wiederwahl sind, auf der anderen gegenüber. Dass die Bündnisse der „Alles außer Zuma“-Kampagne, der „Kräfte für den Wandel“-Bewegung und der Befürworter Motlanthes – unterschiedlichste Gruppierungen mit dem gemeinsamen Ziel Zuma abzusetzen – so schlecht organisiert sind, ist wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass der Präsident seinen Platz behaupten wird.

Aber die Wahlen werden nicht der einzige Kampf sein, den es in Mangaung auszufechten gilt. Wirtschaftspolitik, insbesondere das Thema der strategischen Verstaatlichung, wird voraussichtlich an oberster Stelle der Tagesordnung zu finden sein. Die Youth League wird einen letzten verzweifelten Versuch unternehmen, den Ausschluss ihres ehemaligen Präsidenten Julius Malema  aufheben zu lassen.

Es gibt noch andere brisante Themen, denen sich der ANC stellen werden muss – die Krise im Bergbau etwa, die negative Außenwahrnehmung des Landes, der Zustand der Justiz, das Bild der Polizei, die Korruption in der Regierung und die Schwächen der regionalen Verwaltungsbehörden. Dies lässt darauf schließen, dass im Gegensatz zum letzten Parteitag die Diskussionen und Beschlüsse der zwölf Kommissionen diesmal äußerst wichtig sein werden.

Aber Mangaung wird, ebenso wie die vier unmittelbar vorausgegangen Parteitage, seine eigene Geschichte schreiben. Selbst wenn der Kern der Führung derselbe bleibt, sind die Einsätze zu hoch und das Land steckt zu tief in der Krise, als dass dies zu einer gewöhnlichen Veranstaltung werden könnte. Bei dieser Tagung im 100. Jahr des ANC, geht es nicht nur um Gewinner und Verlierer in der Partei, sondern vielmehr darum, das Land zu retten und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Unzufriedenheit der Massen so offensichtlich zu Tage tritt und es an Führung fehlt.

Mangaung wird nie mehr wieder bloß der Name eines Ortes sein, sondern vielmehr für immer als ein entscheidender Augenblick im Zeitgeschehen stehen.


(1) Die Union Buildings in Pretoria sind der Sitz der südafrikanischen Regierung. In den Union Buildings befinden sich außerdem Amtsräume des Präsidenten der Republik Südafrika.

(2) Das Tuynhuys (Gartenhaus) in Kapstadt wurde 1700 erbaut. Hier tagt das Parlament in der Zeit von Januar bis Juni. Es dient heute auch als Residenz des südafrikanischen Präsidenten.

(3) Madiba ist der Clan-Name Mandelas und wir als respektvolle Anrede gern gebraucht.

(4) Sprache der Xhosa und eine der elf Amtssprachen in der Republik Südafrika

(5) Der arms deal von 1999, ein großes Rüstungsbeschaffungsgeschäft,  überschattet bis heute die Politik des ANC, der zu verhindern versucht, dass die korrupten Absprachen aufgeklärt und die Schuldigen bestraft werden.


Ranjeni Munusamy ist Redakteurin des Daily Maverick.

Bei dem Artikel handelt es sich um die Übersetzung des Artikels von Ranjeni Munusamy, der am 2. November auf der Website des Daily Maverick erschienen ist.