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Mali: Der Gipfel des Glücks

Ousmane Diarra ist Romanautor, Erzähler und Poet. In seiner Heimat hat er eine ganze Reihe von Büchern für Kinder und Jugendliche veröffentlicht. Foto: Les Francophonies en Limousin

Von Ousmane Diarra
Dass es so etwas wie Unabhängigkeit gibt, habe ich zum ersten Mal bemerkt, als ich noch nicht zur Schule ging. Ich war Viehhirte und ging hinter den Tieren her, als plötzlich von irgendwo die Nationalhymne auf Französisch erklang. Die Musik kam aus einem Radio, von jemandem, der auf dem Fahrrad vorbeifuhr. Das Lied erschien mir zunächst sehr eigenartig, aber dann habe ich mich ein wenig inspirieren lassen und fing zu brummen an: „Tklo, tkla, matékalolao, tklo, tkla, matékalolalo.“ All das hatte natürlich keinerlei Bedeutung; es war nur Lautmalerei, die Nachahmung eines Kindes.

Den Kampf um die Unabhängigkeit habe ich nicht selbst erlebt. Überhaupt bin ich mir des Landes, in dem ich lebte, erst dann bewusst geworden, als ich mir auch meiner eigenen Existenz bewusster wurde – in etwa nach dem Staatsstreich von 1986. Richtig aufgewacht bin ich dann erst, als ich nach Bamako kam.

Die Tatsache, dass ich schreibe, hat viel mit Unabhängigkeit zu tun. Ich schreibe, weil ich im Kopf frei bin. Das ist das Wichtigste, diese Freiheit ist in meinem Kopf gespeichert. Und wenn ich schreibe, schreibe ich wirklich frei. Die Tatsache, dass ich in einem unabhängigen Land lebe, in einer Nation mit einem Namen, mit einer Fahne, in einem Land, das in der Welt vertreten ist, das ist - wie soll ich es ausdrücken? – der Gipfel des Glücks.

Ich weiß nicht, wer ich geworden wäre, wenn ich während der Kolonialzeit gelebt hätte. Ich wäre sicher ein ganz anderer Mensch, ich wäre sicher auch ein anderer Autor geworden. Es gibt nichts Wichtigeres für mich als zu wissen, dass ich zu einem Land gehöre, das seinen Platz in der Welt hat und eine Geschichte, die bis in uralte Zeiten zurückreicht - auch wenn man ihm all das lange abgesprochen hat.

Ich habe eine Persönlichkeit, bin eine eigenständige, freie Person durch die Freiheit meines Landes.

 

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Ousmane Diarra wurde 1960 in Bassala, Mali, geboren. Er arbeitet als Bibliothekar im Kulturzentrum von Bamako, aber er sieht sich auch als Romanautor, Erzähler und Poet und hat eine ganze Reihe von Büchern für Kinder und Jugendliche in seiner Heimat veröffentlicht. Nach der Veröffentlichung einer Reihe von Erzählbänden hat er 2006 seinen ersten Roman Vieux lézard („Alte Eidechse“, Gallimard, Paris) vorgelegt, der viel Beachtung fand. Sein zweiter Roman Pagne de femme („Wickelrock“, Gallimard, Paris 2007) war auf der Auswahlliste für den bedeutenden Literaturpreis Prix Renaudot.


Dossier

50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika

Das Jahr 1960 war für viele Afrikaner/innen ein Jahr der Hoffnungen. 17 Länder erlangten die Unabhängigkeit von den kolonialen Mächten. Das Dossier soll „Blitzlichter“ auf die Länder werfen, die 1960 unabhängig wurden: mit ganz persönlichen Beiträgen. Daneben gibt es Hintergrundartikel von renommierten Autoren aus Deutschland und verschiedenen Ländern Afrikas sowie Auszüge aus den Reden, Schriften und Kurzporträts, die die Aufbruchstimmung von 1960 deutlich machen.