Der Start der Wahlsaison Nigeria 2011 war holperig. Die erste Runde – geplant für den 2. April – wurde gleich zwei Mal verschoben. Die Berichterstattung von organisatorischen Schlappen reflektierte wenig, was in Nigeria auf dem Spiel stand: das Stimmrecht an sich. Nach mehr als 10 Jahren Demokratie und 3 Wahlen, die von Korruption und Betrug gekennzeichnet waren, hatten viele nigerianische Bürger die Hoffnung, dass 2011 ihre Stimme wirklich gezählt wird.
Dass die Bürger Nigerias überhaupt noch Hoffnung auf demokratische Wahlen haben, muss man ihnen hoch anrechnen. Denn die drei allgemeinen Wahlen seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahre 1999 waren keine Meisterwerke. Schon die Wahllisten zeugten von Betrug: Einen „Copy and Paste Job aus dem Internet“ nannte der Leiter der nigerianischen Wahlbeobachter aus der Zivilgesellschaft die alten Wahllisten, auf denen zig-tausende von falschen Wählern registriert waren. Der eigentliche Wahlverlauf war in der Vergangenheit ebenso problematisch: Abtransport von Wahlurnen, auch durch Sicherheitskräfte, wie vermeintliche Wahlbeteiligungen von fantastischen 98 Prozent in einigen Bundesländern.
Zeit für eine authentische, demokratische Wahl 2011? Mit der Ernennung des renommierten Akademikers Attahiru Jega als Leiter der Wahlbehörde schien letztes Jahr ein solcher Anfang gemacht, und als Jega einen umfassenden Plan zur Neuerstellung der Wahllisten vorlegte, war das nationale und internationale Echo sehr positiv. Dass das Geld für die satellitengestützte Erfassung der Wähler in dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas erst viele Monate später bereitgestellt wurde, bedeutete die erste Feuertaufe für den obersten Wahlleiter.
Die Wähler ließen sich in Scharen registrieren, und waren auch durch tagelanges Warten nicht abzuhalten. Mehr als 70 Millionen Bürger erhielten ihre Wahlkarten – wie viele Bürger dies allerdings zu Wahlzwecken taten, oder um die nun fast wie ein Personalausweis angesehene digitale und angeblich fälschungssichere Karte zu bekommen, wird sich noch zeigen.
Mehr Demokratie in den Wahlen 2011?
Die drei Wahlgänge im April waren von sehr verschiedener Dynamik gezeichnet. Die Wahl zum Nationalparlament am 9. April wurde zu einem Hoffnungsträger für viele Nigerianer, denn es gab kaum Zwischenfälle, Berichte von Betrug waren unerheblich und es machte sich sogar eine gewisse Euphorie breit, dass Nigeria trotz international schlechtem Ruf eine demokratische Wahl organisieren könne. Das lag auch an der zweimaligen Verschiebung des Wahldatums. Wegen mangelnder Ausstattung der Wahlbüros hatte die Unabhängige Wahlkommission INEC das Datum um zwei Tage verschieben wollen, woraufhin aber viele politische Parteien monierten, dass nur die regierende PDP-Partei die finanziellen Mittel hätte, ihre Parteivertreter von einem Tag auf den anderen neu zu engagieren und erneut in die Wahlbüros zu befördern. „Cash-and-carry“ ist in der nigerianischen Politik die Devise; selbst Parteimitglieder werden nur gegen Barzahlung aktiv. Die Wahlkommission setzte sich daraufhin mit allen Parteien zusammen und gemeinsam wurde die zweite Verschiebung der Wahlen um eine ganze Woche beschlossen. Dies war „democracy-in-action“, und hatte in dieser Form in Nigeria in der Vergangenheit nicht stattgefunden. Die bisherigen Wahlkommissionen arbeiteten in undurchsichtiger Weise und beschränkten „Bürgerbeteiligung“ auf Pressekonferenzen.
Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück?
Die Ergebnisse der Parlamentswahlen wurden umgehend veröffentlicht, und zur Überraschung vieler Bürger hatte die regierende PDP-Partei einige wichtige Sitze verloren. Dazu gehörten auch eminente PolitikerInnen wie die Tochter des ehemaligen Präsident Olusegun Obasanjo, die ihren Sitz im Senat aufgeben musste. Gerade diese Ergebnisse führten bei vielen Bürgern zu der kleinen Welle von Euphorie, aber es ist anzunehmen, dass die PDP nun kalte Füsse bekam und ihren Machtvorteil durch diese Art von Rechtsstaatlichkeit bedroht sah.
Auch die folgenden Präsidentschaftswahlen wurden von den Beobachtern der Afrikanischen Union als free and fair eingestuft, aber nun tauchten Berichte in den Medien auf, wo von massiver Korruption, Stimmeneinkauf und Stimmenfälschung die Rede war. Die Ergebnisse waren teilweise zu gut, um wahr zu sein: in einigen südlichen Bundesländern erhielt der amtierende Präsident Jonathan Goodluck fast 99 Prozent aller Stimmen. Den gewalttätigen Ausschreitungen, die dieser Wahlrunde folgten, fielen bis zu 500 Menschen zum Opfer, hauptsächlich in den nördlichen Bundesländern, wo der stärkste Gegenkandidat, Mohammadu Buhari, seine Heimat hat. Ob die Unruhen nun innerhalb einer frustrierten Jugend zum Kochen kamen, oder ob die Gewalt von Drahtziehern in der Politik angestiftelt wurden, es bleibt eine wahrlich traurige und ernüchternde Bilanz, die den öffentlichen Diskurs wieder auf business as usual zurückwarf.
Seit dem Ende der Militärdiktatur 1999 wird Nigeria von Wellen der Gewalt heimgesucht, die sich oft in Form von religiösen oder ethnischen Konflikten zeigt. Die tieferen Gründe der Gewalt liegen aber oft in schwindenden Lebensgrundlagen, denn im Zuge von Klimawandel und Ausbreitung der Sahara verlassen Tausende von Menschen ihre unbewohnbar gewordenen Heimatorte und ballen sich im sogennanten middle belt von Nigeria. Wahlveranstaltungen in diesen Ballungsregionen uferten seit Beginn des Jahres oft in Gewalt aus, denn lokale Politiker sehen ihre Chance darin, den Gegner oder die „gegnerische Ethnie“ zu schwächen. Kurz vor dem ersten Wahlgang am 9. April gab es einen Bombenanschlag auf ein Büro der Wahlkommission in einem Vorort von der Hauptstadt Abuja, bei dem mehr als ein Dutzend Menschen umkamen.
Wegen der kriegerischen Gewalt wurde in einigen Bundesländern eine Ausgangssperre verhängt, und der dritte Wahlgang – nun für die Gouverneure und Länderparlamente – um eine knappe Woche verschoben. Die Beteiligung der Wähler an diesem letzten Schritt des Wahlmarathons war deutlich niedriger, zum einen aus Angst vor weiterer Gewalt, in einigen Bundesländern wie Lagos State aber auch, weil der Ausgang der Wahl wohl ziemlich vorhersehbar war. Die Befürchtungen von weiterer Gewalt haben sich anscheinend als unnötig erwiesen, auch weil die Sicherheitskräfte im Norden nun massiv in Erscheinung traten. Allerdings gab es Berichte aus dem Osten des Landes, so zum Beispiel aus Imo State, dass in einigen Orten der Ausgang der Wahl durch Stehlen der Wahlurnen (auch durch Polizisten) und durch Intimidierung der Wähler beeinflusst wurde. In einem Ort weigerten sich die Bürger zu wählen, da sie annahmen, die Wahlpapiere seien gefälscht.
Die männliche Politikerklasse herausgefordert
Die wenigen Politikerinnen, die sich in das Gebiet der „old boys‘ clubs“ vorwagen, sind meist Kandidatinnen für die Landesparlamente, oder für Repräsentantenhaus sowie Senat auf Bundesebene. Auch sie berichten von Gewalt; auch körperlicher Gewalt: „Die Schläger kamen in großer Zahl, mit gefährlichen Waffen, sie sangen Parolen und drohten, mich und meine Anhänger zu töten“ sagt Balaraba Lawal Bello aus dem Bundesland Bauchi im Norden Nigerias. Eine andere Kandidatin, Halima Aminu Tijjani, zitiert ihren Parteivorsitzenden, der lieber einen männlichen Kandidaten in den Wahlkampf schicken wollte: „Er sagte mir, ich hätte kein Geld, ich könnte niemals die Wahlen gewinnen und dass ich mich geweigert hätte, für den anderen Kandidaten abzutreten…“.
Das Verhalten des Parteivorsitzenden ist symptomatisch für die männliche Politikerklasse in Nigeria, die inzwischen – anstatt nur müde zu lächeln – kalte Füße bekommt, wenn Frauen politisch aktiv werden. Denn Kandidatinnen ziehen Wählerinnen an, und wenn die nigerianischen Wählerinnen aus den Schatten ihrer Männer treten, tut sich ein ganz neues Feld auf, das die bisherige Machtkonstellation verändern kann. Das geht aber nur, wenn die einzelnen Stimmen von Bürgern und Bürgerinnen wirklich zählen.
Ende gut, alles gut?
Der Leiter der Wahlbehörde, Attahiru Jega, beschrieb den Tod der Opfer der Ausschreitungen im Norden Nigerias als ultimate sacrifice for democracy. Das mag in anderen Ländern zynisch klingen, hier in Nigeria aber stimmt das Bild, denn in diesen Wahlen stand das Stimmrecht, die Rechtsstaatlichkeit und somit die Demokratie auf dem Spiel. Trotz der Gewalt scheint der Konsens nun dahin zu schwingen, dass man die Wahlen als ein relativ gelungenes Experiment in demokratischer Regierungsführung ansieht. Das sollte man im nigerianischen Zusammenhang lesen, wo kleine Schritte in Richtung Rechtsstaatlichkeit honoriert werden müssen, damit der Korruption und Elitenwirtschaft im politischen wie wirtschaftlichen Sinne entgegengehalten werden kann. Slowly but surely ist die Devise der Optimisten hier.
Der Artikel wurde von der Autorin am 11. Mai 2011 geupdated
Einen Hintergrundartikel zu den Wahlen von Jaye Gaskia finden Sie auf der Webseite unseres Landesbüros in Abuja »
Eine Analyse der Frauenbeteiligung an den Wahlen »
Christine K ist Leiterin unseres Landesbüros in Abuja, Nigeria.
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Weitere Beiträge zu den Wahlen in Nigeria
- Towards Democratic Consolidation: The 2011 Election and Governance in Nigeria
Einen Hintergrundartikel zu den Wahlen von Jaye Gaskia (englisch) - Strategie ohne Ideologie?
Eine Kolumne zum ersten Wahlgang in Nigeria von Ako Amadi.