Die Plakatsammlung

6. März 2008
Von Anne Vechtel

Von Anne Vechtel

Im Archiv Grünes Gedächtnis befindet sich der wohl größte Fundus an zeitgeschichtlichen Plakaten, der eine intensive Beschäftigung mit der Plakatkultur der grünen Partei ermöglicht. Gut 3.000 Motive dokumentieren die Entwicklung und politische Arbeit der Partei und einiger ihr nahestehender Protestbewegungen von der Mitte der 1970er Jahre bis heute.

Vom sicherlich bekanntesten grünen Plakat, dem Sonnenblumenplakat von 1979, das sloganartig die vier ideologischen Standbeine «ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei» propagiert, bis zum Kopfplakat des Politstars Joschka Fischer aus dem Bundestagswahlkampf 2002 «Grün wirkt: Außen Minister, innen grün», das eindringlich darauf hinweist, dass Fischer trotz seines hohen Staatsamtes Grüner geblieben ist, finden sich in der Sammlung die bildsprachlichen Dokumente zur nunmehr 28jährigen Parteigeschichte.

Ein kurzer Rückblick auf diese 28 Jahre macht deutlich, dass die Grünen mit Teilen der Protestbewegungen der Bundesrepublik Deutschland in den 1980er Jahren eng verflochten waren, so z.B. mit Teilen der Anti-AKW-Bewegung, der Frauen- und Friedensbewegung, der internationalen Solidaritätsbewegung. Spätestens in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und besonders im Vorfeld der rot-grünen Koalition, die im September 1998 ihre Arbeit aufnahm, wurde deutlich, dass es großen Teilen der Partei nicht mehr in erster Linie darum ging, Protestbewegungen und ihre Themen im Parlament zu vertreten, sondern die Partei auf eine Regierungsbeteiligung vorzubereiten. Die Grünen entwickelten sich also von einer typischen Bewegungspartei mit starken Bezügen zur außerparlamentarischen Opposition zu einer Partei, die in die Regierungsverantwortung wollte.

Anhand der Plakatsammlung des Archivs lässt sich diese Entwicklung bildlich nachvollziehen. Plakate werden in erster Linie für Wahlkämpfe produziert. Ihre Slogans und Bildmotive enthalten zugespitzt die zentralen inhaltlichen und strategischen Aussagen. Und so lässt sich an ihnen auch die Haltung zum und die Stellung der Grünen im parlamentarischen System ablesen.

1979 beteiligen sich die Grünen zum ersten Mal an Europa- und 1980 an Bundestagswahlen. Aber erst über zehn Jahre später, ausgelöst durch die verlorene Bundestagswahl
von 1990, setzt sich eine Plakatgestaltung durch, wie sie für die visuelle politische Kommunikation von Parteien in Deutschland üblich ist. Engagiert werden ab 1994 Werbeagenturen, die mit einem Slogan, einer einheitlichen bildlichen Gestaltung und vor allem mit Personenplakaten für die Grünen und ihre politischen Anliegen werben. Damit fällt auf Bundesebene das bis dahin gültige Tabu, prominente Köpfe für die Vermarktung von Politik einzusetzen. In der Zeit vor 1994 werden Wahlkämpfe zwar von der Bundesebene aus geplant und gesteuert, werden aber teilweise durch eigenständige Aktivitäten einiger grüner Landesverbände ergänzt, die ihren Ausdruck in einer recht vielfältigen grünen Plakatproduktion findet. EinigePlakate kommen zudem mehrfach zum Einsatz. Die Gestaltung liegt oft bei einzelnen politisch befreundeten Grafiker(innen) oder den Aktiven selbst.

Wie kommen Plakate ins Archiv?

Das Archiv arbeitet seit 1992 systematisch am Aufbau eines «grünen Gedächtnisses». Seit dieser Zeit werden die Wahlkämpfe beobachtet und die Wahlkampfmaterialien akquiriert, so dass Belegexemplare der Plakatproduktionen aus den Wahlen auf Länderund Bundesebene ab den 1990er Jahren im Fundus des Archivs vorhanden sind.

Die Zeit um die Parteigründung herum ist dagegen nicht lückenlos überliefert, weil es kein Archiv gab, das zeitnah zu den Wahlkämpfen hätte sammeln können. 1979 richtete die «Sonstige Politische Vereinigung Die Grünen» eine Bundesgeschäftsstelle als Wahlkampfzentrale für die Europawahl in Bonn ein. Daraus wurde 1980 die Bundesgeschäftsstelle der Partei. Landesgeschäftsstellen wurden aufgebaut und 1983 die Bundestagsfraktion. Hier wurden Plakatsammlungen angelegt, auf die das Grüne Gedächtnis Anfang der 1990er Jahre beim Aufbau seines Archivs zurückgreifen konnte und die den Grundstock der heutigen Sammlung bilden.

Darüber hinaus konnte das Archiv 1998 das Spezialarchiv «Die Grünen» des Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche Forschung (ZI 6) der Freien Universität Berlin übernehmen, das den Aufstieg der Grünen aus den sozialen Bewegungen und ihre Etablierung im Parteiensystem der Bundesrepublik wissenschaftlich beobachtete. Es enthielt eine wertvolle Sammlung alter Plakate, mit der große Lücken geschlossen werden konnten.

Weitere Überlieferungslücken werden durch die Aktenabgaben von grünen Geschäftsstellen auf Landes- und Bundesebene und von einzelnen Politiker(innen), Aktivist(innen) und politischen Initiativen, Gruppen und Organisationen geschlossen. Diese Abgaben enthalten oft auch Plakatsammlungen aus früheren Wahlkämpfen. Dennoch ist die grüne Plakatproduktion aus der Zeit vor der Bundestagswahl 1983 in der Sammlung des Archivs schwach vertreten und das Archiv sehr daran interessiert, Materialien aus dieser Zeit zu akquirieren.

Was ist nun genau im Grünen Gedächtnis zu finden?

Zur Zeit umfasst die Sammlung gut 3.000 Plakate, deren Ursprung bis in die Mitte der 1970er Jahre zurückreicht. Plakate der grünen Vorläuferorganisationen in Bremen, Schleswig-Holstein und Hessen, der vielen bunten und alternativen Listen aus deutschen Großstädten, Bürgerinitiativen, von alternativen Presseprojekten, Gruppen aus der internationalen Solidaritätsarbeit, der Friedens-, Anti-AKW-Bewegung und weiteren internationalen grünen Organisationen sind in der Sammlung.

Den Hauptbestand bilden die Kampagnen- und Wahlplakate der bündnisgrünen Partei auf Länder-, Bundes- und Europaebene: Landtags-, Bundestags- und Europawahlen, Kongressplakate, politische Kampagnen- und Themenplakate. Damit ist die Arbeit der Partei ikonographisch relativ lückenlos seit ihrer Gründungsphase Ende der 1970er Jahre greifbar.

Wie halten wir diese Plakate für zukünftige Generationen vor?

Als Archiv haben wir die Aufgabe diese zeitgeschichtlich bedeutenden politischen Quellen zu sichern und so zu erschließen, dass sie öffentlich genutzt werden können. Plakate werden im Grünen Gedächtnis deshalb möglichst in mehrfacher Ausfertigung aufgehoben. So können sie einerseits gesichert und andererseits für kulturelle Produktionen wie Ausstellungen, Publikationen, Schul- und Lehrveranstaltungen, politische Bildungsarbeit und Forschungsvorhaben ausgeliehen werden.

Plakate kommen heute digital und analog, als Bilddatei und als Papierdruck, ins Archiv. Sie werden physisch getrennt in einem digitalen und einem analogen Archiv abgelegt, sind aber in der Datenbank zusammengeführt und über diese zugänglich. Die Bilddateien sind als kleines Image in die Datensätze eingebunden, die zu jedem Plakat angelegt werden, um systematisches Recherchieren zu ermöglichen. Zur Beschreibung der Plakate werden Angaben zum Herausgeber, zu Anlass und Datum der Produktion, zu Grafik und Design erhoben. Mit Hilfe eines systematischen Schlagwortthesaurus werden sie inhaltlich beschrieben, so dass z.B. nach Plakaten aus der Friedensbewegung, nach Themen- und Kampagnenplakaten zur Frauenpolitik, Globalisierung, Homosexualität, Ökologie aber auch nach Plakaten von Veranstaltungen, zur Mitgliederwerbung etc. recherchiert werden kann. Darüber hinaus werden technische Daten wie z.B. das Format, die Stückzahl oder die Farben erfasst. Alles dies zusammen erlaubt einen gezielten, schnellen Zugriff für ganz unterschiedliche Interessen.

Eine besondere Herausforderung sind die veränderten Nutzungsanforderungen im digitalen Zeitalter. Für Buchpublikationen werden beispielsweise nur noch Bilddateien angefordert und Ausstellungen werden auch online angeboten. Eigentlich müssten heute alle Plakate digital und analog vorliegen. Für die neueren Plakate ab Ende der 1990er Jahre ist dies prinzipiell auch möglich, da sie digital generiert wurden und die Agenturen Belege an ihre Auftraggeberin abgeben und diese auf CDs und DVDs dann später bei den regulären Aktenabgaben auch ins Archiv gelangen. Für die analoge Zeit sieht das anders aus. Im Grünen Gedächtnis werden nach und nach die wichtigsten Plakate digitalisiert, damit die alten Plakate nicht mehr für jede Nutzung herausgegeben werden müssen und somit geschont werden können.

Zur Nutzung der Plakatsammlung im Archiv

Plakate kleben an Bauzäunen, Betonwänden, in Unterführungen, an Straßenlampen, Hausfassaden, an Aufstellern entlang breiter Straßen und großen Plakatwänden imöffentlichen Raum. Interessierte ziehen sie ab, nehmen sie mit nach Hause und legen Sammlungen an oder stellen sie in ihren Büros aus. Oft geben Interessierte öffentlich ihre Meinung zum Motiv ab, indem sie Plakate beschreiben, bekleben und verändern. Dies ist gängige Praxis, obwohl es im juristischen Sinn Sachbeschädigung ist und zur Anzeige gebracht werden kann. In der Regel können Interessierte aktuelle Produktionen aber auch bei den jeweiligen Parteien kostenlos beziehen.

In der virtuellen Welt des Internets sieht es vergleichbar aus. Politisch Engagierte holen sich Bilddateien aus dem Netz und bauen Archive auf, häufig als systematisch angelegte Übersichten im Rahmen von politischen Bildungsprojekten zu Plakaten bundesrepublikanischer Parteien. Viele dieser Projekte sind sich der Tatsache bewusst, dass sie sich im Internet nicht in einem rechtsfreien Raum bewegen, und machen auf Copyright und Verwertungsrechte aufmerksam. Für viele andere dagegen scheinen mit dem Objekt Plakat und dem Medium Internet Urheber- und Verwertungsrechte ausgehebelt zu sein bzw. keine Gültigkeit mehr zu haben.

Welchen Wert hat also die Nutzung der Plakatsammlung des Archivs angesichts dieser analogen und digitalen, scheinbar frei zugänglichen Plakatflut?

Durch die Erschließung der Archivalien sind die Urheber- und Verwertungsrechte in den meisten Fällen bekannt und das Archiv in der Lage, den Nutzer(innen) gezielt bei der Einhaltung dieser Rechte behilflich zu sein und für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Die Urheberrechte an den Wahlkampfproduktionen liegen bei den Agenturen oder Grafiker(innen) und Künstler(innen), mit denen die Partei in ihrer Frühgeschichte zusammengearbeitet hat. Die Verwertungsrechte liegen zumeist bei der Partei, in deren Auftrag die Agenturen tätig sind. Neben dem Mehr an Rechtssicherheit, das eine Archivnutzung bringt, bietet sie auch ein mehr an Informationen besonders für die wissenschaftliche Arbeit mit dieser Archivalienart. Wer mit den Plakaten im Archiv arbeitet, ist nicht auf eine einzige Quelle beschränkt, sondern kann aus einem großen Fundus systematisch Quellenmaterial zusammenstellen und z. B. vergleichende Fragestellungen bearbeiten. Im Archiv befinden sich zudem die Akten der bündnisgrünen Gremien und Wahlkampfkommissionen, die Kontextinformationen zu den Plakaten liefern.

Weiterführende Links

Grüne Anschläge. 25 Jahre Grüne Plakatkunst - Wahlplakate
Grüne Anschläge. 25 Jahre Grüne Plakatkunst - Themenplakate