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Wahlbeobachtung in Pakistan

Interview zur Wahlbeobachtung in Pakistan

21. Februar 2008
Von Schakeela Malik

» Zu den Texten im Dossier: Wahlen in Pakistan 2008

Ein Interview mit Dr. Andrea Fleschenberg, zurzeit in Pakistan zur Durchführung einer von der The Asia Foundation geförderten Wahlbeobachtungsstudie für die NGO „The Researchers“. In dieser Funktion ist Dr. Andrea Fleschenberg bei der Election Commission of Pakistan als internationale Wahlbeobachterin für die Parlamentswahlen am 18. Februar 2008 registriert.


Frau Dr. Fleschenberg, wie ist Ihre Beobachtungsmission aufgenommen worden, sowohl bei den WählerInnen als auch bei den Behörden?

Mit den Behörden direkt hatte ich kaum etwas zu tun, da die gesamte Organisation von unserer Partner-NGO übernommen wurde.
Bei den Wählerinnen und Wählern ist unsere Wahlbeobachtung sehr positiv aufgenommen worden. Wir konnten Interviews zum Wahlgang durchführen, kaum jemand hat dies verweigert. In den ländlichen Wahllokalen sind Frauen auf uns zugekommen und haben sich beschwert, dass die Schlange zu den Wahlurnen zu lang sei und es zu wenige Wahlkabinen gäbe. Nur in einer Wahlstation, die aufgrund der Sicherheitslage als „sensitiv“ eingestuft war, wurden wir von der Polizei auf Schritt und Tritt „begleitet“ und mein Photoapparat vorübergehend konfisziert. Insgesamt gesehen durften wir aber überall bei der Stimmabgabe und –auszählung in den elf von uns besuchten Wahllokalen beobachten und Interviews durchführen, ohne weitere Probleme.

Was haben Sie letzte Woche im Vorfeld der Wahlen in Islamabad und in Lahore beobachten können?

Ich habe in den letzten Tagen viele Gespräche mit pakistanischen Freunden und Kollegen geführt. Insgesamt herrschte eine sehr diffuse Stimmung der Angst und Unsicherheit über den Wahltag an sich und darüber, wie die Oppositionsparteien auf das Wahlergebnis und ein mögliches Ausmaß der Wahlmanipulationen reagieren werden. Ich habe von einigen gehört, dass sie aus Protest und Symphatie zur Anwaltsbewegung nicht wählen gehen werden. Von anderen wiederum, das sie aufgrund von Transportproblemen nicht in ihren entfernt liegenden Wahlbezirk fahren können oder weil kein Familien-/Clanmitglied (biradari-System) antritt nicht zur Wahl gehen. Unter den Jugendlichen, so Erzählungen, scheint große Apathie gegenüber der Politik zu bestehen und sie fühlen sich sehr weit von den politischen Geschehnissen entfernt – eine Erfahrung, die ich bereits letztes Jahr als Gastprofessorin in Lahore machen konnte. Viele Studenten in meinen Seminaren sagten mir, sie würden nur wählen gehen, wenn es die Familie verlange. Auf der anderen Seite gibt es engagierte und zutiefst überzeugte Parteianhänger, denen es völlig egal ist, wie schwierig die Stimmabgabe wird, und die alles daran setzen, wählen zu gehen und auch andere zu mobilisieren.
Sowohl in Islamabad und Lahore sind überall an Strassen, Privathäusern, öffentlichen Gebäuden, Straßenkreuzungen und Mauern Wahlplakate und Banner zu sehen. Auch in den vielen privaten Fernsehsendern und Tageszeitungen gibt es kein anderes Thema als die anstehenden Wahlen – ein wenig im Gegensatz zur Angst, Unsicherheit und Unentschlossenheit der Menschen, ob sie wählen gehen werden. Das öffentliche Bild ist sehr von den Wahlen geprägt, obwohl die Menschen selbst sehr zurückhaltend sind. 

Wie sehen Ihre Beobachtungen am Wahltag selbst aus?

Insbesondere die Tage vor und nach den Wahlen waren sehr ruhige Tage; es herrschte fast eine sonntägliche Ruhe mit weniger Verkehr und Menschen als sonst üblich auf den Straßen Lahores und Islamabads. Ich konnte mir am Wahltag insgesamt 11 Wahlstationen ansehen. Aufgefallen ist mir hierbei, dass einige Wahllokale später als zum angekündigten Wahlbeginn geöffnet haben. Insbesondere in den ländlichen Gebieten mussten die Wählerinnen und Wähler sehr lange anstehen, da es nicht genügend offizielle Wahlhelfer und Wahlkabinen gab. In einigen ärmeren und ländlicheren Vierteln der Millionenstadt Lahore waren die Wahlkabinen teilweise so platziert, dass sie von Wahlhelfern oder anwesenden „polling agents“ (Wahlbeobachtern und –helfern der verschiedenen politischen Parteien) eingesehen werden konnten. Gründe waren u.a. zu kleine Wahllokale für zu viele Menschen, d.h. es fehlte an ausreichend Platz, Wahlkabinen und geschultem Personal, so dass sich lange Schlagen von Wählerinnen und Wählern bildeten.
Die offiziellen Wahlregularien wurden größtenteils eingehalten während wir unsere Beobachtung durchführten; aber dies sind natürlich immer nur Momentaufnahmen, die wir festhalten konnten. Es gab transparente Wahlurnen, neues Wahlmaterial, nicht abwaschbare Tinte und Poster zum Wahlablauf. Allerdings waren es in fast allen von mir besuchten Wahllokalen die „polling agents“ der Parteien, die zunächst die Wähler identifizierten und ggf. an die richtige Wahlstation weiterleiteten und nicht die dafür zuständigen offiziell eingesetzten Wahlhelferinnen und -helfer.
Die von uns angesprochenen Frauen – Wählerinnen, Wahlhelferinnen und „polling agents“  – hätten sich aufgrund der Sicherheitssituation mehr Polizeipräsenz gewünscht und aufgrund der langen Schlangen mehr Wahlkabinen. Eine Wahlhelferin ging davon aus, dass wegen der Angst und Unsicherheit weniger Frauen wählen kommen würden.
Die Unterschiede der Wahllokale in ländlicheren und ärmeren Gegenden Lahores zu den städtischen waren frappierend. In wohlhabenderen Gegenden lief die Wahl viel organisierter, ruhiger und korrekter ab. Zum Beispiel hingen immer alle Informationsposter an allen einzelnen Wahlkabinen, die Wahlkabinen waren nicht einsehbar, es gab kaum lange Warteschlangen, die Polizei hatte die Zugänge entsprechend abgeriegelt, die Camps der politischen Parteien und Wahlbanner waren in der erforderlichen Distanz aufgestellt. Etwas, was wir in den anderen neun Wahllokalen nicht gesehen und zu beanstanden hatten.  

Wie sah die Wahlbeteiligung der Frauen aus und wie wurde ihre aktive Beteiligung gewährleistet?

Wie ich aus den Medien erfahren habe, gab es im Sindh, NWFP und in Balotschistan von verschiedenen lokalen Führern und selbst Kandidaten der verschiedenen politischen Parteien erneut ausgesprochene Verbote für Frauen an den Wahlen teilzunehmen.
Wir konnten beobachten, dass viele Frauen in den von uns besuchten Wahllokalen ihre Stimme abgeben wollten, teilweise aber noch Erklärungen bei Wahlhelfern und „polling agents“ einholten. In den reinen Frauenwahllokalen gab es bis auf zwei Ausnahmen nur weibliches Personal, dies ist für  pakistanische Frauen (aber auch deren männlichen Familienangehörigen) sehr wichtig. Das Sicherheitspersonal, d.h. Polizei und Spezialkräfte, war jedoch bis auf zwei Ausnahmen ausschließlich männlich. Frauen mussten teilweise sehr lange an den Wahlurnen anstehen. Teilweise warteten mehr als zwanzig oder fünfzig Frauen auf ihre Stimmabgabe. Dies ist ebenfalls problematisch, so sagten uns die besorgten Frauen bei unserer Ankunft, da sie zu viel Zeit mit dem Warten auf die Stimmabgabe verbringen und so nicht rechtzeitig zu Hause sind, um ihren familiären Pflichten nachzukommen. Problematisch ist dies, meiner Meinung nach, auch für jene Frauen, die gegen den Willen von Familienmitgliedern wählen gegangen sind. 

Sie kennen Pakistan gut, Sie haben dazu geforscht, Sie haben die ermordete Benazir Bhutto gekannt und Sie waren vor einem Jahr zu einer Gastprofessur längere Zeit in Lahore. Wie erleben Sie das Land zurzeit, jenseits der Wahlkampfstimmungen?

Ich bin dieses Mal nur wenige Tage hier und diese sind zu sehr von den Wahlen beeinflusst, daher kann ich diese Frage nur mit Abstrichen beantworten. Was mir jedoch aufgefallen ist, ist dass die Turbulenzen und Ereignisse der letzten Monate sehr schwer auf den Menschen lasten. Es gibt aufgrund dessen eine starke Resignation, Unsicherheit und Zynismus unter der Bevölkerung. Insbesondere durch die ansteigenden Preise für Grundnahrungsmittel herrscht große Besorgnis und eine große Not in der Bevölkerung. Andererseits gibt es auch Leute, die sagen, dass Leben gehe weiter und der Notstand habe sie gar nicht so schwer getroffen. Diese gehören aber einer anderen sozialen Schicht an. Seit gestern ist eine gewisse Hoffnung zu spüren, ein leichtes Aufatmen unter den Personen, mit denen ich bisher sprechen konnte, dass der Wahltag ohne größere Gewaltausschreitungen und Anschläge ablief und die Opposition nach den noch vorläufigen Ergebnissen einen deutlichen Sieg davon tragen konnte. Aber die Wahlen waren nur ein erster Schritt und auch geprägt von Toten und vielen Menschen, die von der Wahl ausgeschlossen waren oder nicht teilnehmen wollten. Jetzt geht es um die Regierungsbildung und Aushandlung der politischen Machtverteilung, eine schwierige und sicherlich konfliktgeladene Phase.

Das Interview wurde durchgeführt von Schakeela Malik, Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung in Lahore.