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Parlamentswahlen in Kambodscha: „Hundert Prozent für den Sieger“

Plakat der Cambodian Peoples' Party zu den Wahlen 2008. Foto: Bart Geesink. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons-Lizenz

11. August 2008
Von Katrin Seidel
Von Katrin Seidel

Das Ergebnis der vierten Parlamentswahlen seit Ende des Bürgerkriegs hat viele in Kambodscha zutiefst frustriert. Rund 8 Millionen Stimmberechtigte waren aufgerufen, am 27. Juli 2008 ihre Abgeordneten zu wählen. Zwar hatte kaum einer an der Wiederwahl des Ministerpräsidenten Hun Sen und seiner Cambodia Peoples’ Party (CPP) gezweifelt. Dennoch überrascht die Höhe des Wahlsieges.

Überschattet wurden die Wahlen von einem Grenzkonflikt, der wenige Tage zuvor zwischen Kambodscha und Thailand ausgebrochen war. Anlass war, dass eine im Grenzgebiet der nördlichen Provinz Preah Vihear gelegener hinduistischer Tempel von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Der Streit darüber, zu welchem der beiden Länder der Tempel gehört, ist alt: Bereits 1962 hatte der Internationale Gerichtshof diese Frage zugunsten Kambodschas entschieden. Die Landkarte, die dem Antrag Kambodschas an die Weltkulturerbe-Kommission beigefügt war, betrachtete Thailand als Verletzung seiner territorialen Integrität. Und so standen sich am Wahltag Soldaten an der Grenze gegenüber.

Grenzkonflikt am Wahltag

Es ist unklar wie stark der Vorfall den Wahlausgang beeinflusst hat – häufig stärken außenpolitische Konflikte und der dadurch entfachte Nationalstolz die Machthabenden. Die Situation löste eine Welle der Solidarität unter der kambodschanischen Bevölkerung aus. In einem der ärmsten Länder der Region spendeten die Menschen fast eine halbe Million US-Dollar für die Truppen an der Grenze.

Das Wahlergebnis ist noch nicht offiziell. Das neue Parlament wird erst Ende August zusammentreten. Den vorläufigen Ergebnissen zufolge konnte die CPP weitere 17 Sitze hinzugewinnen und würde demnach mit insgesamt 90 von 123 Sitzen über eine deutliche Zweidrittel-Mehrheit verfügen. Keine der Oppositionsparteien hat das Ergebnis akzeptiert. Durch Manipulation der Wählerlisten, so die Opposition, soll etwa eine Million Menschen von der Wahl ausgeschlossen worden sein. Tatsächlich war die Wahlbeteiligung mit knapp 70 Prozent so gering wie nie zuvor – 2003 gaben noch über 80 Prozent, 1998 sogar über 90 Prozent ihre Stimme ab. Wahlbeobachter bestätigten, dass in den Wahllokalen viele Wähler ihre Namen nicht auf den Listen finden konnten.

Fragwürdige Wählerlisten

Schon der starke Rückgang der Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen 2007 hatte Zweifel an den Wählerlisten aufkommen lassen. Das Nationale Wahlkomitee nahm dies zum Anlass, die Wählerlisten zu bereinigen, über 600.000 „Geisternamen“ zu streichen sowie neue Wahlberechtigte hinzuzufügen. Mangelnde Transparenz im Prozess und die Weigerung des Komitees, noch bis zum Wahltag Korrekturen zuzulassen, hatte bereits im Vorfeld der Wahlen viel Kritik ausgelöst.
Internationale Wahlbeobachter bestätigen Probleme vor den Wahlen, bezweifeln aber, dass dadurch das Ergebnis beeinflusst worden sei. „Die CPP hat eine solch große Mehrheit, dass es eindeutiger Beweise ebenso großer Unregelmäßigkeiten bedürfte, um das Ergebnis in Frage zu stellen“, sagte der Leiter der Europäischen Wahlkommission.

In vielen Provinzen fehlte der nach ihrem Vorsitzenden benannte Sam Rainsy Partei (SRP), der größten Oppositionspartei, nur wenige Stimmen, um einen Sitz im Parlament zu gewinnen. Die SRP erhielt nach bisherigen Ergebnissen 26 Sitze. Bei den letzten Parlamentswahlen in 2003 war sie auf 24 Sitze gekommen, hatte jedoch besonders in den städtischen Gebieten sogar Mehrheiten erzielen können. 2003 erhielt die SRP in der Hauptstadt Phnom Penh fast 50 Prozent der Wählerstimmen, 2008 war es nur noch ein Drittel der Stimmen. Da besonders in Phnom Penh die Wahlbeteiligung auffällig niedrig war, verwundert es nicht, dass die Opposition der Regierung Wahlbetrug vorwirft. Dennoch: Dies sind Zahlenspiele – der Sieg der Regierungspartei war überdeutlich, und die Regierung von Ministerpräsident Hun Sen, der bereits seit 28 Jahren das Schicksal des Landes bestimmt, wurde bestätigt.
 
Korruption und Wirtschaftswachstum 

Das im Dezember 2007 von Transparency International veröffentlichte Globale Korruptionsbarometer zeigt Kambodscha zusammen mit Kamerun am untersten Ende des Index. Drei von vier Kambodschanerinnen und Kambodschanern haben in den vergangenen zwölf Monaten Bestechungsgelder für eine Dienstleistung gezahlt. Dennoch glauben laut einer jüngsten Meinungsumfrage 77 Prozent, dass sich ihr Land auf dem rechten Weg befände. Diejenigen, die sich in dieser Umfrage mit ihrer Regierung zufrieden zeigten, führten dafür vor allem Fortschritte im Aufbau der Infrastruktur an. Zudem verzeichnete das Land in den letzten zehn Jahren Wirtschaftswachstum im zweistelligen Bereich.

Hun Sen wird nicht müde, bei der Eröffnung von Straßen, Schulen, Krankenhäusern und Pagoden persönlich anwesend zu sein. Staat und Regierung werden von der Bevölkerung als wohlwollende Patrone wahrgenommen. Niemanden wundert sich über Schilder an Brücken, die stolz verkünden: „Gespendet von der kambodschanischen Regierung“.

Finanziert werden die Projekte nicht zuletzt von Kambodschas 35 Entwicklungspartnern, die derzeit über 700 Projekte im Land umsetzen. Von ausländischen Gebern kommt jährlich eine finanzielle und technische Unterstützung in Höhe von etwa 20 Prozent des kambodschanischen Haushaltes. Deutschland ist dabei der viertgrößte Geber.
Politische Patronage findet in Kambodscha auch statt durch Geschenke und Privilegien für loyale Bürgerinnen und Bürger beziehungsweise durch den Entzug eben dieser für Befürworter der Opposition.

Entwicklungshilfe und Patronage

Die Ermordung eines der Opposition nahestehenden Journalisten und seines Sohns wenige Wochen vor den Wahlen wurde von der Opposition als Warnung verstanden – auch wenn ein politischer Hintergrund nicht eindeutig erwiesen ist. Noch immer bedeutet die Mitarbeit bei oder offene Sympathie für eine der Oppositionsparteien eine Gefahr für die persönliche Sicherheit. Das gilt besonders in ländlichen Gebieten.

In Kambodscha werden Wahlen auf dem Land entschieden. Nur etwa 15 Prozent der Kambodschaner leben in den Städten. Kontrolle über den Zugang zu Informationen ist daher ein wichtiges strategisches Element im kambodschanischen Wahlkampf. Es gibt nur einen einzigen von der Regierung unabhängigen landesweiten Radiosender. Alle sieben Fernsehkanäle gehören entweder direkt der Regierung, oder ihre Besitzer stehen ihr nahe. Den Versuch, einen privaten unabhängigen Radiosender im Nordosten des Landes zu etablieren, hatte das Informationsministerium Ende Mai nach nur zwei Wochen unterbunden.

Gestützt auf sein Medienmonopol, ein dichtes Netzwerk der Patronage und die Loyalität der Wirtschaftsbosse war sich Hun Sen seines Erfolges schon vor den Wahlen sicher. Ein Slogan der CPP im Wahlkampf lautete „Der Sieger bekommt hundert Prozent“ – was auch einiges über das Demokratieverständnis des Regierungschefs aussagt. Was bedeutet das Ergebnis der Parlamentswahlen für den Demokratisierungsprozess des Landes?

Kein Platz für Mitbestimmung und Teilhabe

Die starke politische Dominanz einer Partei lässt wenig Raum für gelebte Demokratie. Allerdings könnte der deutliche Sieg der CPP langfristig auch dazu führen, dass sich Unzufriedene verstärkte der Opposition zuwenden.

Derzeit hält sich die CPP trotz ihrer Mehrheit die Möglichkeit offen, erneut mit der royalistischen Front Uni National pour un Cambodge Indépendent, Neutre, Pacifique et Coopératif (FUNCINPEC) eine Koalition zu bilden. Seit den ersten, 1993 von den Vereinten Nationen durchgeführten, Wahlen haben beide Parteien gemeinsam die Regierung Kambodschas gestellt. Zwar konnte FUNCINPEC aufgrund innerer Krisen und Machtkämpfe nur zwei ihrer 26 Sitze wiedergewinnen, doch eignet sich die Partei, wie bereits in der Vergangenheit geschehen, hervorragend als Sündenbock für den politischen Unmut der Bevölkerung.

Wahlen in Kambodscha sind politische Possen, die Elemente liberaler Demokratie als Maske für die Kontinuität bisheriger Praktiken nutzen. In den dichten Netzwerken der Patronage, die die Regierungspartei nicht nur mit wirtschaftlichen Eliten und Staatsbeamten, sondern auch direkt mit den Wählern verbindet, gibt es keinen Platz für Mitbestimmung und Teilhabe. Hun Sens öffentliche Bekenntnisse zu demokratischen Prinzipien werden konterkariert von Demonstrationsverboten und Medienzensur. Das Wahlergebnis bildet insofern die Machtverhältnisse im Land treffend ab, kann aber nicht als demokratische Legitimation der Regierenden gewertet werden. Die Tatsache, dass die Regierungspartei durch eine Günstlingswirtschaft regiert und die Medien fast komplett kontrolliert, zeigt: Es gibt keinen Willen, Reformen hin zu einer gelebten Wahldemokratie anzuschieben.


Katrin Seidel leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Kambodscha