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Pakistan: Der General tritt ab

Lesedauer: 4 Minuten
Pervez Musharraf, 2004. Foto: Agência Brasil
Dieses Bild steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

Interview mit Gregor Enste zum Rücktritt von Pakistans Präsident Pervez Musharraf

18. August 2008
Heute ist Präsident Musharraf in Pakistan zurückgetreten, nachdem er die Politik des Landes über neun Jahre lang dominiert hat. Warum gerade zu diesem Zeitpunkt?

Gregor Enste: Der heutige Tag war die letzte Chance für Präsident Musharraf  einen halbwegs ehrenvollen Abgang zu machen. Morgen, am 19. August 2008, wäre ein Ultimatum abgelaufen, dass ihm die seit einem halben Jahr regierende Koalition gestellt hatte: Entweder Musharraf tritt zurück – oder wegen Machtmissbrauchs wird ein offizielles Amtsenthebungsverfahren gegen ihn eingeleitet.

Für den Ex-General war die Aussicht, wochenlang in öffentlichen Anhörungen persönlich zu den Vorwürfen Stellung nehmen zu müssen, unerträglich. Die Palette der am Wochenende bekannt gewordenen gerichtsverwertbaren Anschuldigungen gegen Musharraf reichen von Freiheitsberaubung, Begünstigung, Veruntreuung von staatlichem Vermögen bis hin zu Hochverrat. Hinter den Kulissen war daher – auch unter Vermittlung der USA – eine Art „freies Geleit“ für den Fall seines Rücktritts ausgehandelt worden.

Wie sind die Reaktionen in Pakistan auf Musharrafs Rücktritt?

In vielen Städten gab es spontane Freudenfeste. Ein halbes Jahr nach den Parlamentswahlen vom 18. Februar 2008 – deren Ergebnis eine Ohrfeige für Musharraf  war – freut man sich, dass der Mann endlich weg ist: Ein später Sieg der Demokratie. Dazu kommen inszenierte Kundgebungen, teils von den regierenden Parteien PPP und PML-N. Für sie war Musharraf das personifizierte Übel, der Grund für alles, was falsch läuft in Pakistan.

Pervez Musharraf hat Pakistan in den letzten neun Jahren dominiert. Welche bleibenden Spuren hat er hinterlassen?

In seiner sentimentalen Abschiedsrede an die Nation sagte er, dass er vor neun Jahren einen Staat kurz vor dem Kollaps übernommen habe. Heute hingegen gehe es dem Land sehr gut, die Wirtschaft floriere – und er persönlich habe Pakistan die Demokratie gebracht.

Betrachtet man die Entwicklung der letzten Jahre unbefangen, findet sich nicht viel Positives. Unter Musharraf hat sich in Pakistan eine vergleichsweise vielfältige Medienlandschaft entwickelt. Zudem hat in den letzten Jahren die Annäherung an Indien zu einer deutlichen Entspannung zwischen den beiden alten Rivalen gesorgt. Es überwiegen aber eindeutig die negativen Aspekte. Über Jahre hat der Ex-General Musharraf die pakistanischen Ressourcen zugunsten des Militärs ausgeplündert. Die Gesellschaft ist stark militarisiert worden, und immer öfter ist bei Konflikten Gewalt das Mittel der Wahl.

Dazu kommt die zumindest geduldete militante Islamisierung in den Grenzprovinzen zu Afghanistan und der Verlust der Kontrolle über weite Teile der Nordwestgrenzprovinz Pakistans. Der Staat hat hier abgedankt.

Weiter gewachsen ist unter Musharraf der Einfluss der Geheimdienste. Hier wird doppeltes Spiel getrieben: Offiziell unterstützt man den Westen im Kampf gegen Terrorismus; insgeheim jedoch toleriert man Ausbildungslager militanter Dschihadis, die man als strategische Reserve im Kampf um Kaschmir und um Afghanistan sieht.

Wie könnte die weitere Zukunft Pakistans aussehen?

Innerhalb von 30 Tagen muss auf Vorschlag der Regierung ein neuer Präsident gewählt werden. Der Mann der ermordeten Benazir Bhutto, Ali Asif Zardari, hat das Amt bereits für seine Partei reklamiert. Wichtiger als die Person des neuen Präsidenten ist es aber, dass das Präsidentenamts wieder auf seine ursprüngliche, verfassungsmäßige Rolle zurückgestutzt wird. Musharraf hatte nach und nach immer mehr Macht an sich gezogen und die Rechte von Regierung und Parlament beschnitten.

Die seit einem halben Jahr regierende Koalition hat aber nun auch keine Ausreden mehr für ihre Negativbilanz. Bisher zitierten die Politiker in Islamabad ein altes Sprichwort: „Der tote Hund muss aus dem Brunnen geholt werden, sonst bleibt das Wasser verseucht.“ Der tote Hund war Musharraf, der im „Land der Reinen“ (so die Übersetzung des Landessnamens „Pakistan“) für alle Blockaden verantwortlich sein sollte. Jetzt, da Musharraf weg ist, muss die Regierung endlich die riesigen Probleme des Landes anpacken: Staatsverschuldung, Energiekrise, Ernährungskrise, Hyperinflation und Bildungsnotstand.

Vor allem muss die staatliche Kontrolle in den von den Taliban beherrschten Distrikten der Nordwestgrenzprovinz wieder erlangt und der Dschihadi-Terrorismus von Taliban und Al-Qaida eingedämmt werden.

Gregor Enste leitet das Büro Pakistan der Heinrich-Böll-Stiftung.
Die Fragen stellte Karoline Hutter.

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