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Rechtsstaatlichkeit ist der Schlüssel zur Demokratie in Pakistan

Lesedauer: 5 Minuten
Foto: Gregor Enste

26. Oktober 2009

 


Pakistan ist ein Kriegsgebiet. Es hat neben einer Vielzahl anderer Probleme, die dringend die Etablierung von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Strukturen erfordern, mit großen Bedrohungen von Militanten, Aufständischen und Terroristen zu kämpfen. Im Lichte der derzeitigen Krise diskutierten hochrangige Gäste aus Pakistan und mehrere deutsche Experten über Strukturen und Defizite der Rechtsstaatlichkeit wie auch die derzeitige Sachlage, parallele Rechtssysteme, die Beziehungen zwischen Politik und Judikative und die Rolle politischer Parteien und der Gesellschaft.


Die Taliban profitieren von der Schwäche der Rechtsstaatlichkeit und Staatsgewalt



Natürlich konzentrierten sich die Gespräche auf die aktuelle Situation in den Stammesgebieten (FATA), die die pakistanische Armee von Kämpfern zu befreien versucht. Die Krise dort ist nicht nur ein militärischer, sondern auch ein Herrschaftskonflikt. Daher müssen diese Gebiete in die Provinz- und die Nationalversammlung eingebunden und die Verfassung und die Gesetze auf sie ausgedehnt werden. Ferner steht die Rechtsstaatlichkeit in engem Zusammenhang mit dem Kampf gegen Extremismus und Militanz. Die Taliban sind nicht stark, doch sie profitieren von den Schwächen und Defiziten des Staates hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit und Regierungsgewalt. Sie erstarkten, weil die Regierung nicht für grundlegende Rechte wie Bildung, Gesundsheitsfürsorge und vor allem Gerechtigkeit sorgt.


Dikaturen haben die Rechtsstaatlichkeit geschwächt


Jahrzehnte der Diktatur in Pakistan haben demokratische Strukturen und Rechtsstaatlichkeit geschwächt. Seit der Oberste Gerichtshof in den 1950er Jahren erstmalig einen Militärputsch legitimierte, ist die Judikative den jeweils regierenden Regimes dienstbar geworden. In dieser Hinsicht überschreiten die Gerichte ihre Kompetenzen zwar nicht, doch sie nutzen ihre Gewalt im Bedarfsfall nicht genügend aus. Erst im März 2007 widersetzte sich der Oberste Richter des Landes erstmals einem regierenden Regime und brachte damit eine Bewegung in Gang, die sich für die Etablierung von Rechtsstaatlichkeit einsetzte. Dieses Lawyers Movement hat zu einem allgemeinen Verständnis für die Bedeutung der Wiedereinsetzung der abgesetzten Richter und zur Installierung einer unabhängigen Rechtsprechung beigetragen. Und damit konnte auch ein neues Pakistan mit einer starken Zivilgesellschaft, freien Medien und aktiven politischen Parteien entstehen.


Demokratisierung der Parteien

Aber trotz bedeutender Entwicklungen in den vergangenen beiden Jahren gilt es, die demokratischen Strukturen weiter zu stärken. Ein Land kann nicht demokratisiert werden, wenn zum Beispiel eine der tragenden Säulen der Demokratie, die politischen Parteien, völlig undemokratisch, korrupt und von familiären Machenschaften dominiert ist. Die politischen Parteien haben wesentlich zum Machtverlust des Parlaments beigetragen. Deshalb ist die Stärkung der Institutionen sehr stark mit der Stärkung der politischen Parteien verknüpft. Es muss in dieser Hinsicht eine besondere Betonung auf programmatische Parteien gelegt werden, weil die in Pakistan präsenten charismatischen Klientelparteien der Demokratie abträglich sind.

Bedeutende Sektoren der gesellschaftlichen und politischen Strukturen Pakistans, insbesondere die Politik und Institutionen der Regierungsgewalt, werden von den Eliten oder feudalen Familien dominiert, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit je nach Lage ihrer Interessen behindern. Hinsichtlich ökonomischer und sozialer Gerechtigkeit, Zugang zu guter Bildung und medizinischen Einrichtungen oder zum Rechtssystem profitiert hauptsächlich die Elite.

Ferner wird das System von Korruption und dem Fehlen von Verantwortlichkeit bestimmt, und so lange jene, die die Verfassung verletzen, nicht zur Verantwortung gezogen werden, kann der Durchschnittsbürger kaum Gerechtigkeit oder Rechtsstaatlichkeit erwarten. Aus diesem Grunde wenden sich die Menschen auf ihrer Suche nach Gerechtigkeit frustriert anderen Institutionen zu und tragen so zum Entstehen verschiedener miteinander konkurrierender Systeme mit bei. Vor allem die bestehenden parallelen Rechtssysteme lassen Defizite und Widersprüche erkennen, von denen hauptsächlich Frauen und Minderheiten betroffen sind. Um Gerechtigkeit für die Menschen zu garantieren, muss demnach anstelle solcher paralleler Strukturen ein einheitliches Rechtssystem etabliert werden. Allerdings können neben nationalen Rechtsinstitutionen bestehende Institutionen des islamischen Rechts auch dazu dienen, normative Konflikte hinsichtlich gewisser religiöser Fragen zu überbrücken.


Kräftegleichgewicht statt Putsche

Wenn die Demokratie in Pakistan Erfolg haben soll, muss dringend ein Kräftegleichgewicht der staatlichen Strukturen geschaffen werden, vor allem hinsichtlich der Beziehungen zwischen Militär und Regierung sowie Präsident und Premierminister. Zusätzlich muss das Land eine demokratische Politik und Wahlverfahren schaffen, mit denen für oder gegen politische Kräfte gestimmt werden kann, damit nicht Putsche des Militärs eine schlecht funktionierende zivile Regierung aus dem Amt drängen. Eine wichtige Erfahrung der Demokratie ist, Regierungen scheitern zu lassen. Allerdings funktionieren Demokratien erst dann gut, wenn Rechtsstaatlichkeit bereits etabliert ist; diese funktioniert jedoch nicht, wenn eine Demokratie erst versucht, sie einzuführen. Dessen ungeachtet kann Rechtsstaatlichkeit nicht mechanisch installiert oder durchgesetzt werden – sie ist ein Prozess und muss langsam wachsen.

Mehrere Sprecher betonten, dass Rechtsstaatlichkeit die einzige Lösung für die diversen und komplexen Probleme Pakistans sei - Rechtsstaatlichkeit als der einzige Weg, die Herzen und Köpfe der Menschen, vor allem in den Stammesgebieten, zu gewinnen. Deshalb muss die Demokratie die an sie gestellten Erwartungen – einschließlich Gerechtigkeit – erfüllen, wenn das Land wieder auf den Weg der Stabilität zurückfinden soll. Die große Frage ist jedoch, wer dafür Sorge tragen wird.

Übersetzung: Heinz Tophinke


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