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Interview mit Abbas Rashid: "Wir brauchen eine regionale Lösung"

Lesedauer: 8 Minuten
Abbas Rashid in Berlin. Das Foto (hochauflösend) steht unter einer Creative Commons Lizenz und darf weiterverwendet werden.

22. Februar 2010

Abbas Rashid zählt zu den bekanntesten Journalisten Pakistans. Er schreibt regelmäßig für die Daily Times, eine der führenden Tageszeitungen Pakistans und ist Autor zahlreicher Bücher. Er gilt als Experte für Außen- und Sicherheitspolitik und arbeitet hier vor allem zu den US-Pakistan Beziehungen und der Politik gegenüber Indien. Abbas war Dozent an der "Federal Governments Civil Services Academy" und ist Vorsitzender der "Society for Advancement of Education" (SAHE) in Lahore. Wir haben ihn bei seinem Besuch in der Heinrich-Böll-Stiftung am 10. Februar interviewt.


Herr Rashid, für Deutschland ist das Thema Afghanistan und die ganze Region sehr aktuell. Deshalb würde ich gerne mit einigen Fragen zur Außenpolitik anfangen. Afghanistan und die westlichen Verbündeten vereinbarten auf der Londoner Afghanistan-Konferenz Fortschritte im Friedensprozess mit Hilfe einer umfassenden Strategie, die auch die Versöhnung mit moderaten Taliban beinhalten soll…

...sie machen diesen Schritt und darauf werden auch viele Taliban reagieren. Aber ich denke, die eigentliche Bewährungsprobe dieser Strategie wird erst kommen, wenn die ausländischen Truppen abgezogen sind. Denn das Problem der Strategie ist, dass sie davon ausgeht, dass die Karsai Regierung in der Lage ist, die Sicherheit zu gewährleisten. Es ist aber unrealistisch, dass die Regierung Karsai dazu fähig ist.


Die afghanischen Sicherheitskräfte sollen vom Ende des Jahres an zunehmend Kontrolle über die Sicherheitslage im Land übernehmen, was den USA und den NATO-Verbündeten ermöglichen soll, ihre Truppen zurückzuziehen. Wie wurden diese Ergebnisse der Londoner Konferenz in Pakistan aufgenommen und diskutiert? Was wird der geplante Abzug der westlichen Truppen für Pakistan und die Stabilität in der Region bedeuten? 

Die USA haben nun einen Zeitplan für den Abzug ihrer Truppen vorgelegt. Das Problem ist, dass die regionale Dimension des Konflikts nicht genügend berücksichtigt wird. Wenn zum Beispiel Pakistan und Indien gegensätzliche Interessen im Bezug auf Afghanistan haben, sind wir nicht auf dem Weg zu einer langfristigen Lösung. In der Tat haben wir mehr Soldaten in Kämpfen mit den Aufständigen verloren als die ISAF-Truppen. Zur gleichen Zeit ist die Struktur des pakistanischen Militärs weiterhin auf den Konflikt mit Indien ausgelegt. Dazu kommen Interessen von Seiten des Irans und Russlands in Afghanistan. Wenn man diese Spannungen ignoriert, denkt man nicht über eine langfristige Lösung des Konflikts nach.


Glauben Sie, dass sich die Diskussion in Pakistan immer noch stärker auf den Kaschmir-Konflikt konzentriert, als auf die Auseinandersetzungen an der Grenze zu Afghanistan?

Ich würde sagen, dass sich die Diskussion stärker auf die Geschehnisse an der westlichen Grenze konzentriert. Absolut! Aber drei Viertel der pakistanischen Streitkräfte leisten ihren Dienst an der östlichen Grenze. Zum anderen hat Indien legitime Interessen in Afghanistan. Aber auch Pakistan hat diese.


Pakistans oberster General Kayani bot letzte Woche Unterstützung für die Ausbildung der afghanischen Armee an. Dies soll die Beziehungen der beiden Staaten zueinander verbessern. Auf der anderen Seite macht sich Islamabad Sorgen über einen zunehmenden Einfluss Indiens in Afghanistan, dessen Regierung kürzlich ein ähnliches Angebot gemacht hat. Kayani betonte, dass es notwendig sei, Pakistans langfristige Bedürfnisse nach Stabilität in der Region deutlich zu machen und wiederholte, dass ein friedliches Afghanistan eine Voraussetzung dafür sei.

 
In Pakistan blickt man mit Sorgen auf die Präsenz von Indien in Afghanistan. Wenn man sich nicht zusammen an einen Tisch setzt, zusammen mit dem Iran und Russland, die zentral in diesem Konflikt sind, wird es zu keiner Lösung kommen.       


Wie bewerten Sie den Standpunkt zur regionalen Sicherheit des obersten Generals? Was sind aus ihrer Sicht die langfristigen strategischen Anliegen von Pakistan?

Ich würde dem Konzept der “strategischen Tiefe“ nicht zustimmen. Eine Lösung ist für alle Beteiligten wichtig, weshalb eine regionale Lösung gefunden werden muss. Zu Recht kann Pakistan behaupten, dass man Indien nicht in einer vorherrschenden Rolle in Afghanistan sehen möchte. Aber das bedeutet auch nicht, dass Pakistan diktieren kann, wie eine afghanische Regierung auszusehen hat. Sie können lediglich versuchen die äußeren Einflüsse möglichst gering zu halten. Man hat also diese gegenseitigen Interessen in Afghanistan. Darum muss verhindert werden, dass Afghanistan eine Arena für einen Stellvertreterkrieg zwischen Indien und Pakistan wird, was zu einer Destabilisierung  von Afghanistan und der ganzen Region führen würde. Indien und Pakistan müssen deshalb ihre Konflikte beilegen und einen Rahmen für Verhandlungen schaffen. Nochmals, wenn man die Hauptakteure außen vor lässt, wird es keine vernünftige Lösung geben.


General Kayani stellt den Erfolg der Militäroperation in Swat, Süd Waziristan und anderen Regionen in Zusammenhang mit der Abnahme der Angriffe auf NATO-Streitkräfte an der Grenze zu Afghanistan. Außerdem wies er die Behauptung zurück, dass man nicht gegen die Aufständigen in Nord Waziristan kämpfen wolle. Er betonte, dass es aber vorher wichtig wäre, die Streitkräfte zu konsolidieren, bevor man eine weitere Offensive startet. Wie beurteilen Sie die Strategie des pakistanischen Militärs und den Erfolg im Kampf gegen die Aufständigen auf pakistanischem Gebiet?

Es wurde weitreichend anerkannt, dass die Operation in Swat, in Süd Waziristan ein Erfolg war, der aber hart zu erkämpfen war und viele Opfer zur Folge hatte. US-Verteidigungsminister Gates forderte zwar kürzlich ein Fortführen der Operation in Nord Waziristan, aber an dieser Stelle sagen die Pakistanis zu den Amerikanern:

“Ihr unterscheidet jetzt zwischen guten und bösen Taliban. Ihr kämpft und verhandelt zugleich. Warum sollten wir nicht dasselbe tun?” Es sollte Teil der Strategie sein, die Erfolge erst einmal zu festigen. Dies würde eine Botschaft vermitteln, dass Pakistan zum Kämpfen bereit ist, aber gleichzeitig offen für Verhandlungen ist, genauso wie es die Amerikaner tun. 


Wie gestaltet sich die momentane Situation im Bezug auf die pakistanische Innenpolitik und das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive?

Die Situation ist sehr schwierig. Dies hat mit einer gerichtlichen Anfrage zu tun, die sich mit der Tatsache beschäftigt, dass Präsident Zadari unter der jetzigen Rechtssprechung nicht als Kandidat bei den Wahlen hätte antreten können. Wenn das Verfassungsgericht dies bekräftigt, könnte die Präsidentschaft angefochten werden. Viele Menschen empfinden aber den Einfluss des Gerichts jetzt schon zu groß. Rechtlich ist Zadari Präsident und steht unter der Immunität der Verfassung und kann nur durch ein Amtsenthebungsverfahren abgesetzt werden. Man würde dafür eine Zweidrittellmehrheit der Parlamentsmitglieder benötigen. Es handelt sich um ein politisches Thema, welches auch politisch entschieden werden sollte. Lassen sie doch die Opposition versuchen, diese Zweidrittelmehrheit zu bekommen.


Denken Sie, dass diese Entwicklung einen destabilisierenden Einfluss auf die Situation haben kann?

Das könnte der Fall sein, wenn sich die Dinge weiter so entwickeln, wie sie es gerade tun. Wenn das Parlament nicht handelt und das Gericht seinen Kurs fortführt, wird die Entscheidung politisiert werden. Die Menschen empfinden in diesem Bereich schon sehr viel Korruption. Wenn eine Entscheidung getroffen werden sollte, dann sollte diese vom Parlament getroffen werden. Dann haben die Menschen bzw. ihre Repräsentanten entschieden. Eine große Mehrheit ist davon überzeugt, dass Zadari nicht der richtige Präsident ist. Deshalb sollte es die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens geben. Ansonsten gibt es ein Potential für Instabilität.


Angesichts schwacher ökonomischer Entwicklung und anhaltender Inflation, steigender Preise für Öl, Gas, Nahrung und Bedarfsgüter des Alltags auf der einen Seite und der täglichen Kürzungen von Strom- und Gaslieferungen auf der anderen Seite sinkt das Auskommen der pakistanischen Bevölkerung zunehmend. Was denken Sie über das Versagen der Regierung die Grundversorgung der Bevölkerung zu leisten und wie lange wird die pakistanische Gesellschaft noch bereit sein diese Umstände hinzunehmen?

Das ist sicherlich ein wichtiger Aspekt. Teilweise ist dies auf Ereignisse zurückzuführen die Jahre bzw. Jahrzehnte zurücklegen. Vor allem die Entwicklung Pakistans in einen Sicherheitsstaat anstelle einer fortschrittlichen Nation, das viel mehr Geld in Militär als in Gesundheit, Bildung, Energie und Wasser investiert, ist sicher besorgniserregend. Einige andere Faktoren hat diese Regierung von ihren Vorgängern geerbt. Der Extremismus, den wir zurzeit beobachten können, wird keine ausländischen Investoren ins Land holen. Aber das ist nicht dieser Regierung zu verschulden. Bezüglich des Energiesektors: Hier wurde seit fast zehn Jahren nicht mehr investiert.

Es gibt aber auch positive Entwicklungen. Zum Beispiel die nationale Finanzkommission, die finanzielle Mittel unter den Provinzen verteilt, hat nach Jahren eine Einigung gefunden.  Dies kann als eine positive Entwicklung für die Menschen gesehen werden. Außerdem wurden Maßnahmen in der Region Baluchistan ergriffen, welche den aufkommenden Radikalismus in dieser Region eindämmen sollen. Dies sind einige positive Entwicklungen, aber natürlich noch nicht genug.


Können Sie einen Punkt nennen, der einen direkten Einfluss auf die Menschen in Pakistan haben würde?
 
Bildung und Gesundheitswesen – das sind die Kernbereiche. Ich persönlich setze mich sehr für die Bildung ein. Das ist ein Punkt, den die vorherigen Regierungen nicht gefördert haben. Man muss daran arbeiten, die großen Ungleichheiten in Pakistan umzukehren. Eine kleine Elite macht hier riesige Gewinne. Deshalb muss man z. B. das Steuersystem reformieren und die Landwirtschaft mit Hilfe einer Landreform unterstützen. All diese Dinge haben eine Wirkung, auch auf das Ausland. Es gibt zum Beispiel viel Unterstützung von Seiten der USA, die in den nächsten fünf Jahren jährlich 1,5 Milliarden US-Dollar für den zivilen Sektor bereitstellen wollen. Das ist gut. Aber ich denke, es ist wichtiger darauf zu schauen, in welchen Märkten, wie der Textilindustrie oder bei Lederwaren, Pakistan Vorteile besitzt. Diese Sektoren geben den Menschen Arbeit. Unter Musharraf lag das Wirtschaftswachstum bei fünf bis sechs Prozent. Aber der größte Anteil davon resultierte aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Es ist also wichtig, einen größeren Marktanteil in Europa, den USA und anderswo zu erreichen.

Herr Rashid, wir bedanken uns für das Gespräch.