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Internationale Konferenz zu Afghanistan in Den Haag – Die Stimmen der Zivilgesellschaft

30. März 2009
Von Bente Aika Scheller
Von Bente Aika Scheller

Um die Zukunft Afghanistans soll es auf einer eintägigen Konferenz am Dienstag in Den Haag gehen. Die Konferenz, die unter dem Motto „Eine umfasssende Strategie in einem regionalen Kontext“ steht, knüpft an die Veranstaltungen in Bonn, London und Paris an. Schirmherrinnen der Konferenz sind die UNO und Afghanistan, die die Veranstaltung gemeinsam mit der niederländischen Regierung ausrichten. Wie ernst das Thema international genommen wird, zeigt sich an der Bereitschaft von mehr als 75 Ländern, ihre Außenminister zu entsenden. Selbst der Iran sagte die Teilnahme eines Vertreters zu.

Doch gerade angesichts dessen, dass die Konferenz auf so hoher politischer Ebene angesiedelt ist, befürchten viele zivilgesellschaftliche Aktivisten, dass ihre Ansichten – oder überhaupt Stimmen aus Afghanistan – nicht gehört werden. Drei Minuten, so heißt es, seien jedem Land vorbehalten, um seine Sichtweise der Entwicklungen in Afghanistan zu präsentieren. Für die Zivilgesellschaft wird allem Anschein nach eher Raum bei den Nebenveranstaltungen als auf der eigentlichen Konferenz sein. Dabei ist gerade ihr Engagement unverzichtbar: Akteure der Zivilgesellschaft liefern lokale Expertise; sie sind vernetzt in Bereichen, in denen nicht die im Aufbau befindliche afghanische Regierung und erst recht nicht die internationale Gemeinschaft Zugang hat. In der Zivilgesellschaft kanalisieren sich originäre Interessen der Bevölkerung, und durch sie werden gesellschaftliche und politische Veränderungsprozesse angestoßen.

In Afghanistan mangelt es trotz aller Bemühungen auch sieben Jahre nach dem Fall des Taliban-Regime noch an Grundlegendem. Gerade die Sicherheitslage hat sich in weiten Landesteilen über die Jahre deutlich verschlechtert und die spürbaren Verbesserungen im Alltagsleben sind rar. Es gibt Erfolge  – im Bildungssektor, beim Minenräumen und auch im viel kritisierten Polizeiaufbau ist bereits Beachtliches geleistet worden. Dennoch bestehen Zweifel daran, wie ernst es die internationale Gemeinschaft mit ihrem Einsatz für Menschen- und Frauenrechte, für Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit meint. Zu offensichtlich ist, dass weder die afghanische Regierung noch die internationale Gemeinschaft darauf dringen, diese Prinzipien durchzusetzen.

Unter dem Druck, Mittel in vergleichsweise kurzen Zeiträumen abfließen zu lassen, ist oft nicht gewährleistet, dass sie in nachhaltige Projekte investiert werden. Ein heikler Punkt bei den Bemühungen um den Wideraufbau sind auch die unterschiedlichen Prioritäten, Interessen und Herangehensweisen innerhalb der Gebergemeinschaft: Selbst zwischen Organisationen, die eigentlich die gleichen Ziele verfolgen, werden Projekte unzureichend koordiniert. Nirgends wird deutlicher sichtbar, wie Ressourcen versickern, anstatt zielorientiert eingesetzt zu werden – nicht zuletzt, weil lokale Nicht-Regierungs-Organisationen nicht gefragt werden oder ihr Rat ignoriert wird.

Die afghanische Zivilgesellschaft ist in Vorbereitung auf die Konferenz mit gutem Beispiel vorangegangen: Eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen und afghanischer NGOs hat sich in einer Reihe von Treffen vorab zusammengesetzt, um gemeinsam Empfehlungen an die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft zu formulieren.

Daran beteiligt war federführend das Afghan Civil Society Forums (ACSF), weiterhin u. a. der Agency Coordination Body for Afghan Relief (ACBAR), die Humanitarian Association for Women and Children of Afghanistan (HAWCA), die Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC), die Women’s Political Participation Commission (WPPC), Global Rights und die Heinrich-Böll-Stiftung.

This article is also available in English.

Foto: lafrancevi. Dieses Foto ist unter einer Creative-Commons-Lizenz.

Empfehlungen der afghanischen Zivilgesellschaft für die Konferenz

In Vorbereitung auf die internationale Afghanistan-Konferenz in Den Haag, die am 31. März 2009 stattfindet, hat eine Vielzahl afghanischer Zivilgesellschaftsakteure und Vertreter von Nicht-Regierungs-Organisationen auf mehreren Treffen Vorschläge erarbeitet, um der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft Empfehlungen für Strategien zur Konsolidierung des Friedensprozesses in Afghanistan zu geben. Die Empfehlungen basieren auf den folgenden grundlegenden Prinzipien und Werten:


  1. Das Konzept von „Federführung durch Afghanen“ darf nicht länger Rhetorik bleiben, sondern sollte als authentisches Konzept verfolgt werden, das oberste Zielsetzung der strategischen Diskussionen um die Zukunft Afghanistans ist. Bei der Umsetzung muss eine große Bandbreite afghanischer Akteure einbezogen werden, darunter auch zivilgesellschaftliche Akteure.

  2. Während die afghanische Bevölkerung einen breit angelegten, umfassenden Dialog und Versöhnungsbemühungen unterstützt, muss dabei klar sein, dass diese Prozesseauf nichtverhandelbaren Positionen beruhen müssen: Diese sind Respekt und Einhaltung der afghanischen Verfassung und der grundlegenden Werte, die sie beinhaltet – Menschenrechte zu respektieren, Frauenrechte, Rechtssicherheit und die Prinzipien demokratischer Regierungsführung eingeschlossen. Demokratische Prinzipien, wofür Afghanen ihr Leben geopfert haben und wofür sie sich das letzte Jahrhundert über eingesetzt haben, können nicht von der afghanischen Regierung oder der internationalen Gemeinschaft unter dem Deckmäntelchen, im Interesse von “Frieden und Sicherheit” zu handeln, veräußert werden. 

Die wichtigsten Empfehlungen    

Menschenrechte
Die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft müssen Prioritäten setzen und alle notwendigen Maßnahmen treffen, um zivile Opfer zu verhindern, und um Mechanismen zu schaffen, die Verantwortlichkeit, Transparenz und Wiedergutmachung an Opfern gewährleisten. Die Taliban müssen gleichfalls für ihre Rolle beim Tod von Zivilisten und bei Schäden im zivilen Bereich zur Rechenschaft gezogen werden.   Die Praxis des straflosen Davonkommens muss beendet werden. Hierbei spielen insbesondere konkrete Maßnahmen wie Unterstützung und politische Willensbekundung eine Rolle, um die transitionale Justiz voranzutreiben und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten.

Frauenrechte
Frauen müssen in alle Gespräche und politische Prozesse, insbesondere Verhandlungen und Versöhnungsprozesse, einbezogen werden.

Meinungsfreiheit und Medienfreiheit
Die Rolle der unabhängigen und überparteilichen Medien sollte gestärkt und insbesondere im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen durch politische und finanzielle Unterstützung vorangetrieben werden. Der Einfluss der Regierung auf die „Media Complaints Commission“ sollte zurückgedrängt werden, und es sollte sichergestellt werden, dass Wahlbeobachtung und „Watchdog Groups“ der Meinungsfreiheit und dem Schutz bedrohter Journalisten Nachdruck verleihen.   

Effektivität internationaler Hilfe
Die internationale Gemeinschaft muss die Koordination innerhalb der Gebergemeinschaft verbessern und strategisch aktiv werden, um sicherzustellen, dass lebenswichtige Ressourcen bereitgestellt werden, um das Leben der einfachen Bürger Afghanistans zu verbessern und extreme Armut zu bekämpfen.