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Letzte Ausfahrt: Pakistan

Stürmische Zeiten für Pakistan: das Land braucht dringend mehr Aufmerksamkeit – nicht nur weil Deutschland im benachbarten Afghanistan Truppen stationiert hat. Foto: openDemocracy Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

10. Januar 2011
Von Britta Petersen, Lahore
Dichter Nebel lag über Islamabad als Guido Westerwelle am Samstagmorgen in der pakistanischen Hauptstadt landen sollte. Das Flugzeug musste umgeleitet werden, erst am Abend traf der Außenminister per Bus ein. Die Episode ist symptomatisch für das deutsche Verhältnis zu Pakistan: Erst spät wurde das Land überhaupt zur Kenntnis genommen. Und auch jetzt weiß Berlin nicht recht etwas damit anzufangen.

Dabei ist die Situation vor Ort dramatisch und das Land braucht dringend mehr Aufmerksamkeit – nicht nur weil Deutschland im benachbarten Afghanistan Truppen stationiert hat.

Vergangene Woche wurde der Gouverneur der wichtigsten Provinz Punjab, Salman Taseer, auf offener Straße in Islamabad von seinem Leibwächter erschossen, weil er sich für eine Reform des Blasphemiegesetzes einsetzte. Eine Woche zuvor war die Koalitionsregierung unter Führung der Pakistanischen Volkspartei (PPP) an einem Streit um die Erhöhung des Benzinpreises zerbrochen. In weiten Teilen des Landes ist die Industrieproduktion zusammen gebrochen, weil es nicht genügend Strom und Gas gibt. Pakistan ist eine Atommacht am Rande des Abgrunds.

Um eine angemessene Politik gegenüber dem Land zu formulieren ist wichtig, das zugrunde liegende Muster der wiederholten Krisen zu erkennen. Allem voran die systematische Radikalisierung der Öffentlichkeit, die inzwischen in eine neue Phase getreten ist. Sie kann als geistige Vorbereitung zu einer islamistischen Machtübernahme gelesen werden, die nun in ihre letzte Phase getreten ist. Die Schwäche der demokratischen Institutionen begünstigt diese, ist aber zugleich aber auch eine Folge der vom Militärapparat (dem „tiefen Staat“) gestützten Einschüchterungspolitik liberaler Kräfte.

Während diese noch glauben, sie könnten die Islamisten mit Zugeständnissen beschwichtigen, wird ihr Handlungsspielraum immer weiter eingeschränkt. Kein liberaler Politiker kann sich mehr seines Lebens sicher sein – das ist die Botschaft des Mörders Taseers’, der zu einer Eliteeinheit der Sicherheitskräfte gehört. Die frühere Informationsministerin Sherry Rehman, die sich wie Taseer für eine Änderung des Blasphemiegesetzes einsetzt, hat inzwischen so viele Morddrohungen erhalten, dass sie sich gezwungen sah, in den Untergrund zu gehen.

Am Ende der Entwicklung steht nach dem Plan der Radikalen ein islamisches Emirat in Pakistan und Afghanistan, das über die bisher einzige „muslimische“ Atombombe verfügt. Da diese Strategie mit beachtlicher Konsequenz und einigem Erfolg seit Jahrzehnten vorangetrieben wird, kann sich der Westen gegenüber Pakistan keine Naivität und schon gar keine Müdigkeit erlauben.

Taseers Ermordung ging eine beispiellose Hetzkampagne von islamistischen Parteien und den Urdu-sprachigen Medien gegen den PPP-Mann voraus, die nicht nur seinen Mörder motiviert haben dürfte. Sie hat auch dazu geführt, dass erhebliche Teile der pakistanischen Öffentlichkeit glauben, Taseers Vorschlag für eine vorsichtige Gesetzesänderung komme einer Beleidigung des Islam gleich und der Gouverneur habe den Tod verdient.

Alle religiösen Parteien, auch die dem moderaten Sufi-Islam näher stehenden Barelvis, verboten ihren Anhängern, an der Beerdigungsfeier teilzunehmen. Auch Präsident Asif Ali Zardari, ein Parteifreund des Ermordeten, sowie Oppositionsführer Nawaz Sharif blieben der Beisetzung fern. Stattdessen demonstrierten Tausende am Sonntag für die Freilassung des Mörders.

Damit haben sich die Islamisten die Interpretationshoheit über die wichtigsten gesellschaftspolitischen Fragen gesichert. Zugleich betreiben verbotene Terrororganisationen wie Jaish-e-Mohammed and Lashkar-e-Taiba nach wie vor Trainingslager im südlichen Punjab. Die Autorin dieses Textes hat bei einem Besuch in der Stadt Bahawalpur die Zentralen beider Organisationen sehen können, die dort so offen operieren wie Versicherungskonzerne. Journalisten sind dort nicht zugelassen. Denn der „tiefe Staat“ betrachtet diese Gruppen – trotz allem Druck aus Washington – nach wie vor als ein probates Mittel, seine Interessen gegenüber Indien und in Afghanistan durchzusetzen.

Angesichts dieser systematisch voran getriebenen Islamisierungspolitik, die vor keinem Mittel zurückschreckt, muss der Westen seine berechtigte Skepsis gegenüber den demokratischen Parteien Pakistans ablegen. Wie sich während der Flutkrise gezeigt hat, waren viele Geberländer – darunter auch Deutschland – zögerlich mit der Vergabe von Hilfsgeldern, weil sie fürchten, das Geld werde im Sumpf der Korruption verschwinden.

Doch die Antwort auf dieses Problem kann nicht darin bestehen, Pakistan links oder rechts liegen zu lassen. Wenn wir die demokratischen Kräfte und vor allem auch die Krisen geschüttelte Wirtschaft des Landes nicht mit weitaus mehr Geld und Expertise unterstützten, werden früher oder später islamistische Kräfte die Macht übernehmen.

Die vom „tiefen Staat“ gewünschte Regierungsbeteiligung der Taliban in Afghanistan, die derzeit der kriegsmüden deutschen Öffentlichkeit als Lösung der Probleme am Hindukusch verkauft wird, ist deshalb mit größtmöglicher Skepsis zu betrachten.

Gewalttätige, ideologisch-motivierte, anti-westliche Regierungen in Kabul und Islamabad sind eine ernsthafte Bedrohung für unsere Sicherheit. Wie die Krise in Pakistan zeigt, ist Appeasement gegenüber den radikalen Islamisten keine Lösung, sondern spielt diesen in die Hände. Der Westen muss endlich verstehen, dass nur demokratische Kräfte seine Partner sein können.

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Britta Petersen leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Lahore. Dieser Artikel erschien zuerst in der Printausgabe der Financial Times Deutschland.