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Rede der Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries, MdB, bei der Preisverleihung

Lesedauer: 8 Minuten

3. Dezember 2008

Rede der Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries, MdB
bei der Verleihung des Petra-Kelly-Preises an Herrn Zhang Sizhi
2. Dezember 2008, Berlin

Sehr geehrter Herr Zhang,
sehr geehrte Frau Unmüßig,
sehr geehrter Herr Fücks,
meine sehr geehrten Damen und Herren.

Herzlichen Dank für Ihre Einladung! Ich freue mich sehr, heute Abend bei Ihnen zu sein und dabei auch die wunderbaren neuen Räumlichkeiten der Heinrich-Böll-Stiftung kennenzulernen. Und es ist mir eine große Ehre, die Laudatio auf den diesjährigen Träger des Petra-Kelly-Preises, Herrn Zhang Sizhi, halten zu dürfen.

Wie Sie wissen, ist mir die deutsch-chinesische Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rechts ein besonderes Anliegen. Wir stehen jetzt schon im 9. Jahr des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs. Ich meine, das ist ein Erfolg. Aber diese Ansicht teilen nicht alle. Es hat mich deshalb sehr gefreut zu hören, dass Herr Zhang ein Befürworter des Rechtsstaatsdialogs zwischen Deutschland und China ist und ihn noch weiter vertiefen möchte. Das ist eine besonders wertvolle Bestätigung unserer Arbeit. Denn sie kommt aus dem Mund eines Mannes, der mit seiner Person und seiner Arbeit wie kaum ein anderer gezeigt hat, dass man mit vielen kleinen Schritten in China Großes erreichen kann.

Meine Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Zhang,

vor einigen Wochen habe ich mich mit den deutschen Akteuren des Rechtsstaatsdialogs im Bundesministerium der Justiz getroffen. Wir kommen einmal im Jahr zusammen, um unsere Erfahrungen auszutauschen. Da sind Vertreter der Bundesregierung, Nichtregierungsorganisationen, die Wissenschaft und die Vertreter der juristischen Berufsverbände dabei. In diesem Jahr hatte unser Großer Runder Tisch so viele Teilnehmer wie noch nie. Das zeigt, wie groß das Interesse an China ist und welch hohe Bedeutung der Dialog mit China für die deutschen Partner hat.

Ein wesentlicher Teil der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rechts ist der Menschenrechtsdialog. Er ist Teil des Rechtsstaatsdialogs. Wir führen den Rechtsstaats- und den Menschrechtsdialog unter einem Dach. Hier ist viel geschehen, das Gesamtbild bleibt freilich widersprüchlich. Aber ich meine: Dass wir den Menschenrechtsdialog überhaupt wieder führen, ist ein Erfolg.

Ich habe bei meinem Treffen mit Minister Cao im April die klare Zusage erhalten, dass dies so bleibt und auch der Menschenrechtsdialog ernsthaft weitergeführt wird. Auch China ist an diesem Dialog interessiert, vor allem an unseren Erfahrungen im Verwaltungs- und Religionsrecht. China ist dabei, einen nationalen Aktionsplan für Menschenrechte zu entwickeln. Das Thema steht dort auf der Tagesordnung. Natürlich reden wir regelmäßig auch über Einzelschicksale. Dabei werden Meinungsunterschiede deutlich, aber auch konstruktive Ansätze und Gemeinsamkeiten.

Meine Damen und Herren,

Ziel aller Initiativen des Rechtsstaatsdialoges ist es, unser gegenseitiges Verständnis von Kultur und Tradition zu verbessern und das rechtsstaatliche Denken und Handeln zu fördern. Wir wollen die rechtsstaatlichen Reformen in China inspirieren und begleiten.

Den Petra-Kelly-Preis erhält heute ein Mann, der den schwierigen Weg Chinas in Richtung Freiheit und Demokratie seit vielen Jahrzehnten mit herausragendem persönlichem und beruflichem Engagement begleitet. Wir ehren einen Anwalt des Rechtsstaats und einen Liebhaber der Freiheit. Zu dieser Ehrung gratuliere ich Ihnen, sehr geehrter Herr Zhang, vielmals!

Lieber Herr Zhang,

Sie sagen von sich selbst, Sie seien ein „ganz normaler Anwalt“. Und alle, die Sie kennengelernt haben, wissen, dass das kein „fishing for compliments“ ist. Sehen Sie es mir also bitte nach, wenn ich gleichwohl einige Facetten Ihres Lebens und Arbeitens schildern möchte, die Sie aus meiner Sicht zu einer ganz außergewöhnlichen Anwaltspersönlichkeit machen. Ich möchte drei Aspekte herausgreifen, die Sie als Verteidiger des Rechtsstaats, als Anwalt und als Mensch in besonderer Weise auszeichnen.

Meine Damen und Herren,

der Rechtsstaat ist nicht immer leichte Kost. Er kann bisweilen eine Zumutung sein. Seine größten Stärken sind oft zugleich seine größten Herausforderungen. Das gilt ganz besonders für die Pflicht, Freunde und Feinde in jeder Situation gleichermaßen fair zu behandeln. Welche ernorme Belastung sich hinter dieser Pflicht verbergen kann, zeigt die bevorstehende Entlassung von Christian Klar noch einmal eindrucksvoll: Trotz des unermesslichen Leids, das er angerichtet hat, war es rechtsstaatlich richtig, den Rest seiner Strafe zur Bewährung auszusetzen. Das ändert aber nichts daran, dass seine Entlassung vor allem für die Angehörigen der Opfer eine erhebliche Belastung darstellt. Eine Belastung, die ich sehr gut nachvollziehen kann. Diese Ambivalenz können wir im Rechtsstaat nicht auflösen. Sie auszuhalten, ist die Aufgabe jedes Verteidigers rechtsstaatlicher Strukturen.

Ihnen, lieber Herr Zhang, hat sich diese Herausforderung schon zu Beginn Ihrer anwaltlichen Tätigkeit mit besonderer Schärfe gestellt. Und Sie haben sie in beeindruckender Weise bewältigt.

Nach Ihrem Jurastudium in Peking durften Sie zunächst nur ein Jahr als Rechtsanwalt arbeiten. Weil Sie nicht bereit waren, dem vorgegebenen politischen Weg zu folgen,  hat man Sie 1957 als „Rechtsabweichler“ zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Aber nach dem Ende der Kulturrevolution, als die chinesische Justiz langsam wieder aufgebaut werden sollte, da waren Richter und Anwälte rar. Vor allem für den Prozess gegen die sogenannte „Viererbande“ brauchte man dringend Anwälte. Die Viererbande war Ende der 60er Jahre mit kaum vorstellbarer Brutalität gegen alle politischen Abweichler und kritischen Intellektuellen vorgegangen. Dafür sollte der Gruppe um Maos Witwe 1980 der Prozess gemacht werden.

Ihnen, lieber Herr Zhang, hat man die Verteidigung der Viererbande angetragen. Nachdem Sie selbst Opfer diktatorischer Machtausübung geworden waren, sollten Sie nun also gerade jene Menschen verteidigen, die über Jahre jeden unabhängigen Geist brutal verfolgt hatten. Sie haben diese Aufgabe nicht mit Freuden angenommen. Aber Sie haben sie übernommen und Sie haben sie sehr ernst genommen. Im Sinne des Rechtsstaats haben Sie sich dafür eingesetzt, dass auch seine Feinde eine faire Verteidigung und ein gerechtes Urteil bekommen. Dafür gebühren Ihnen größter Respekt und Hochachtung. 

Sie haben den Prozess gegen die Viererbande später als Beginn der chinesischen Anwaltschaft bezeichnet. Das Berufsethos, das Ihre Arbeit in diesem Verfahren geleitet hat, ist jedenfalls Motivation und Vorbild für viele Juristinnen und Juristen geworden. Und ich denke, wir alle wünschen uns, dass es noch viele weitere Generationen prägt.

Sehr geehrter Herr Zhang,

in den drei Jahrzehnten, in denen Sie mittlerweile als Anwalt arbeiten, haben Sie praktisch alle politisch bedeutsamen Kämpfer für Freiheit und Demokratie verteidigt. Sie haben die Studenten der Tiananmen-Bewegung vertreten; Sie haben Dissidenten und tibetische Mönche verteidigt; und Sie haben es als erster Anwalt in der jüngeren chinesischen Geschichte gewagt, in einem Verfahren wegen „Aufhetzung und Verrat von Staatsgeheimnissen“ einen Freispruch zu beantragen.

Sie verfolgen Ihre Ziele mit großer Genauigkeit und Hartnäckigkeit. Aber – und das ist der zweite bemerkenswerte Aspekt, den ich heute hervorheben möchte – ein Vorgehen nach dem Prinzip „mit dem Kopf durch die Wand“ kommt für Sie nicht in Betracht. Im Gegenteil: Ein Anwalt muss auch strategisch sein, haben Sie gesagt. Ihr Weg ist nicht die Konfrontation. Sie wägen genau ab, ob sich der Preis für eine politisch riskante Strategie wirklich lohnt – natürlich auch aus Selbstschutz, aber vor allem im Interesse Ihrer Mandanten. Denn die würden am meisten darunter leiden, wenn Sie Ihre Anwaltslizenz verlören.

In China braucht man noch immer viel Mut, um einen Menschenrechtsaktivisten zu verteidigen. Diesen Mut bringen nicht viele Anwälte auf. Die Gesetzeslage ist oftmals gar nicht so schlecht, aber es scheitert an der Durchsetzung. Zu den wenigen, die nie abgelehnt haben, wenn sie jemand um Hilfe gebeten hat, gehören Sie, sehr geehrter Herr Zhang Sizhi. Dafür wird Ihnen weltweit Respekt und Anerkennung entgegen gebracht. Wenn Sie heute mit dem Petra-Kelly-Preis ausgezeichnet werden, dann verbinde ich damit auch die Hoffnung, dass Ihre Arbeit dadurch noch vielen weiteren Anwältinnen und Anwälten bekannt wird und ihnen den Mut gibt, Recht und Gerechtigkeit einzufordern.

Der Rechtsstaat wird sich kraft seiner eigenen Überzeugung und seiner besseren Argumente in China durchsetzen. Auch der deutsch-chinesische Rechtsstaatsdialog wird seinen Beitrag zu dieser Entwicklung leisten. Ich habe mit meinen Kollegen Cao deshalb vereinbart, dass sich das übernächste Ministertreffen mit dem jährlich stattfindenden Symposium im Jahr 2010 mit der Stellung des Rechtsanwalts befassen wird. Ich erhoffe mir deutliche Fortschritte von diesem Symposium, zumal wir dieses Thema mit einer Reihe kleinerer Veranstaltungen in China und in Deutschland gut vorbereiten werden. Daran werden sich auch die Rechtsan-waltsorganisationen unserer beiden Länder beteiligen.

Meine Damen und Herren,

lassen Sie mich abschließend noch eine Eigenschaft unseres Preisträgers beschreiben, die mich ganz persönlich sehr beeindruckt hat.

Lieber Herr Zhang,

Sie kämpfen seit Jahrzehnten für Freiheit und Gerechtigkeit. Sie haben für Ihre Überzeugung Zwangsarbeit und ständige Beobachtung in Kauf genommen. Und viele Ihrer Mandanten sind unschuldig verurteilt worden, obwohl Sie die Fehler und Lücken in den Anklageschriften im Einzelnen nachgewiesen hatten. Doch trotz alldem sind Sie nicht bitter geworden. Sie haben nie den Glauben daran verloren, dass Wandel möglich ist. Das beeindruckt mich sehr! Es zeugt nicht nur von einer schier unerschöpflichen Kraft. Es ist ein Zeichen von menschlicher Größe und der Fähigkeit zu verzeihen.

Meine Damen und Herren,

der Petra-Kelly-Preis wird heute an Zhang Sizhi verliehen. Einen mutigen Anwalt, einen Kämpfer für den Rechtsstaat und ein Vorbild an Menschlichkeit.

Mit Blick auf den deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog hat Herr Zhang einmal sinngemäß gesagt: Es ist wichtig zu wissen, wie sich Recht und Politik international entwickeln. Wir müssen es vor allem den jungen Menschen vermitteln. Das ist dann zumindest eine Saat.

Sehr geehrter Herr Zhang,

wenn diese Saat eines Tages aufgeht und sich in China rechtsstaatliche Strukturen und eine freie Anwaltschaft entwickeln, dann ist das nicht zuletzt Ihr persönliches Verdienst.

Zur Verleihung des Petra-Kelly-Preises gratuliere ich Ihnen vielmals, und ich wünsche mir, dass Sie noch viele dazu motivieren können, den Rechtsstaat in China mit kleinen Schritten zu erstreiten.