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Serbien vor dem Rechtsruck?

31. Januar 2008
Von Dragoslav Dedović

Der Nationalist Tomislav Nikolić ist zwar nur Vizepräsident seiner Serbischen Radikalen Partei (SRS), doch faktisch hat der Präsidentschaftskandidat alle Machtbefugnisse eines Parteichefs: Sein Boss, Vojislav Šešelj, sitzt als mutmaßlicher Kriegsverbrecher in Den Haag, wo ihm der Prozess gemacht wird. Lange galt Nikolić bei den koalitionsfähigen demokratischen Parteien als nicht salonfähig: Von 1998 bis 2000 war unter Slobodan Milošević stellvertretender Ministerpräsident; Ende 1999 machte Milošević ihn sogar zum Vizeministerpräsident Rest-Jugoslawiens.

Nikolić ist ein Mann mit Vergangenheit: Trotzdem marginalisierte der Sieg des „Demokratischen Blocks“ im Jahr 2000 und der Sturz Miloševićs seine Partei nur vorübergehend. Ihr großes Comeback feierten die Radikalen in den Jahren nach der Ermordung des Ministerpräsidenten Zoran Djindjić (2003).

Comeback der Radikalen

Als erster brach der konservative Ministerpräsident Vojislav Koštunica den Vorsatz, die Radikalen politisch zu ächten. Die Demokraten hatten sich heillos zerstritten: Koštunica erpresste also die Demokratische Partei (DS) des Präsidenten Tadić mit der Warnung, eine Koalition mit den Radikalen anzustreben. Bei den Parlamentswahlen vom 21. Januar 2007 war Tadićs Demokratische Partei zweitstärkste Kraft geworden.

Am 8. Mai 2007 wählte die Abgeordneten Tomislav Nikolić zum neuen Parlamentspräsidenten Serbiens. Neben den Stimmen seiner Partei – die abermals als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorging – erhielt er auch die Stimmen der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) unter Führung Vojislav Koštunicas. Zwar dauerte Nikolićs Karriere als Parlamentspräsident nur bis zum 13. Mai 2007, doch die Erpressung funktionierte. Präsident Tadić sprach Koštunica den Posten des Ministerpräsidenten zu. Tadić segnete die Koalition seiner Partei mit der DSS ab. Die neuen Koalitionspartner wählten Nikolić wieder ab.

Nationalistisches Mantra

Die Drohung, jederzeit nach Rechtsaußen zu koalieren, blieb Koštunicas stärkste Waffe. Immer wieder disziplinierte er – mehr oder minder unverblümt – den größeren Koalitionspartner. Das erznationalistische Mantra – das Kosovo müsse serbisch bleiben – sollte von Nikolić und Tadić mitgesungen werden. Hauptsächlich in Nikolićs Stimme schwingt dabei Überzeugung mit.

Selbst wenn Tadićs Beteiligung an diesem nationalistischen Chor nur ein taktischer Flirt mit dem Nationalismus ist – keiner kann garantieren, dass die Serben nicht plötzlich das glaubwürdigere Original Nikolić wählen. Zumal Koštunica die Unterstützung Tadićs plötzlich an eine Bedingung knüpfte. Mitten in der heißen Wahlkampfphase wollte er eine Ergänzung des Koalitionsvertrags durchsetzen: Würde die EU ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates eine Mission ins Kosovo entsenden, dann sollte Serbien das paraphierte Stabilisierung- und Assoziierungsabkommen (SAA) automatisch suspendieren, forderte Koštunica. Tadić lehnte diese Erpressung medienwirksam ab; er gewann dadurch an pro-europäischem Profil. Koštunica äußerte sein Bedauern: Er könne Tadić nicht mehr unterstützen, die Entscheidung überlasse er dem Gewissen der serbischen Wähler.

Die Kosovo-Frage

Unklar ist, ob die von Tadić und Koštunica mühsam zusammen gestellte Regierung eine Unabhängigkeit des Kosovos überleben wird. Sollte es zur Unabhängigkeit Kosovos kommen, sind vorgezogene Parlamentswahlen wahrscheinlich, die dann wohl die nationalistischen Kräfte stärken würden. Tadić wäre in diesem Fall ein einsamer Präsident, konfrontiert mit einer mächtigen nationalistischen Exekutive.

Noch ist Tadićs Sieg nicht so sicher, wie die Verlautbarungen aus seinem Wahlkampfteam glauben machen wollen. Ein Vergleich mit den beiden letzten Präsidentschaftswahlen kann leicht zu falschen Schlüssen führen. Nikolić führt bereits zum dritten Mal Wahlkampf: Bei der Präsidentschaftswahl 2000 war er Dritter hinter Vojislav Koštunica und Slobodan Milošević. 2004 erhielt Nikolić in der ersten Runde den größten Stimmanteil, unterlag aber Boris Tadić in der Stichwahl.

Der Wahlkampf des Nationalisten Nikolić läuft – so kurz vor den Stichwahlen – bereits viel besser. Geschickt distanziert er sich von seinem Ruf, ein extrem rechter Nationalist zu sein. Sein neues Image als ehrlicher Staatmann polierte er systematisch mit sozialdemokratisch anmutenden Sprüchen auf: Chancengleichheit, Frauenförderung, Korruptionsbekämpfung, Stärkung der Familie und sogar ein Zugehen auf Minderheiten sind einige Schlagworte. Unermüdlich wiederholt Nikolić, die Zeit sei reif für Veränderungen.

Moskau oder Brüssel?

Sein Kontrahent, Präsident Tadić, hat ebenfalls ein Problem mit der Glaubwürdigkeit. Bei den Parlamentswahlen 2007 schnitt Tadićs Partei besser ab als die des Ministerpräsidenten Koštunica: Trotzdem lässt sich Tadić von Koštunica in vielen Politikbereichen herumdirigieren und erpressen. Tadić hat im Wahlkampf eine Annährung an Europa versprochen, hat aber bis heute noch nicht das Assoziierungsabkommen mit Brüssel unterzeichnet. Sein Umfeld hatte dies für den 28. Februar groß angekündigt. Stattdessen stimmte Tadić – auf Drängen Koštunicas – einem Energieabkommen mit Putin in Moskau zu.
   
Die Schnittmenge zwischen den Wählern des klerikal-nationalistischen Politikers Koštunica und des populistischen Nationalisten Nikolić ist verblüffend groß: Sie sind betont russlandfreundlich, verhalten sich dem Haager Tribunal gegenüber trotzig, misstrauen zivilgesellschaftlichen Organisationen und stehen Kräften innerhalb der
Geheimdienste nahe. Vor allem sind beide gegen eine Mitgliedschaft Serbiens in der NATO und gegen die Unabhängigkeit des Kosovos. Bis 2007 ließ sich Koštunicas Regierung von den alten Verbündeten der Radikalen (Miloševićs Sozialistischer Partei) tolerieren. Warum also sollte er jetzt vor einer Zusammenarbeit mit Nikolić zurückscheuen?

Das kleinere Übel

Was für Tadić spricht, ist nicht die Stärke seines Programms, sondern die Angst vor dem größeren Übel – vor Nikolić. Wenn sich die Serben von dieser Angst mobilisieren lassen, dann hätte Tadić noch eine Chance. Zumindest kann er mit den Stimmen der ethnischen Minderheiten und der städtischen Mittelschicht rechen.

In der einzigen Fernsehdebatte zwischen den beiden Kandidaten wirkte Tadić allerdings ausgelaugt, nervös, in seiner Argumentation nicht schlüssig. Nikolić verkauft sich besser. Sollte Tadićs Strategie des Bangemachens nicht aufgehen, wird Nikolić die Wahlen gewinnen. Sollte es so kommen, wäre Nikolić der weltweit erste Staatspräsident, der von einer Partei gestellt wird, deren Vorsitzender wegen schwerster Kriegsverbrechen vor einem internationalen Gericht steht.