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Europawahl in Polen: Gibt es überhaupt einen Wahlkampf?

In Polen finden die Wahlen zum Europäischen Parlament am Jahrestag der Wendewahl vom Juni 1989 statt, die den Prozess des demokratischen Wandels in Osteuropa hervorrief. Diesmal sollte man jedoch keine spektakuläre Wende erwarten. Die zwei wichtigsten Aspekte der aktuellen politischen Lage sind zum einen die seit den Wahlen im Herbst 2007 andauernde Dominanz der konservativ-liberalen Bürgerplattform (PO) auf der politischen Szene und zum anderen der symbolische Konflikt um den Jahrestag der Wahlen von ´89.

Keine Konkurrenz für die Bürgerplattform

Viele politische Beobachter sind der Meinung, dass sich die dominierende Stellung der Bürgerplattform (die Befürwortung für die Regierungspartei liegt derzeit bei nahezu 50 Prozent) nicht so sehr aus der Attraktivität bzw. Effizienz der Regierung Tusk ergibt, sondern vielmehr aus der Unfähigkeit des rechten und linken Oppositionsflügels, sich als eine glaubwürdige Alternative darzustellen. Einige vertreten sogar die Ansicht, dass die Unterstützung für die PO auch deswegen so hoch sei, weil die Regierungspartei der Bevölkerung das Gefühl gebe, die heraufziehende Wirtschaftskrise einfach ignorieren zu können. Denn obwohl die Wirtschaftskrise real immer mehr Polinnen und Polen betrifft, möchte man doch so gern verdrängen, dass „das wirklich passiert“.

So wird weniger beispielsweise über die Zukunft des europäischen Wirtschaftssystems gesprochen als vielmehr über den Konflikt um den Jahrestag der Wahlen von '89. Bezüglich des Letzteren verläuft die Konfliktlinie nicht direkt zwischen den politischen Parteien Polens, sondern vielmehr zwischen der Regierungspartei PO und den Gewerkschaftern „Solidarność” (insbesondere der Danziger Werft, die durch Liquidation bedroht ist). Zunächst planten die Gewerkschafter, die Proteste während der Feierlichkeiten am 4. Juni zu organisieren, zu denen Tusk die europäischen Spitzenpolitiker nach Danzig einlud. Letztendlich wurden die Feierlichkeiten jedoch nach Krakau verlegt. Gleichzeitig schlug die Regierung Tusk eine Rechtsänderung vor, die die Möglichkeit zur Gründung und die Funktionsweise von Gewerkschaften wesentlich einschränkt.

Reichlich politische Spiele bei wenig öffentlichem Interesse

An der Europawahl ist die polnische Gesellschaft scheinbar nicht besonders interessiert. Vielen Polinnen und Polen ist nicht bewusst, dass Europa-Abgeordnete in direkter Wahl gewählt werden. Die Prognosen gehen zudem von einer Wahlbeteiligung von etwa 20 bis höchstens 30 Prozent aus. Die wichtigsten politischen Akteure sind – abgesehen von der regierenden Bürgerplattform – die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der sozialdemokratische Bund der Demokratischen Linken (SLD). Die mitregierende Polnische Volkspartei (PSL) führt zwar keine klare Wahlkampagne durch, sie kann jedoch dank ihrer stabilen Strukturen in ländlichen Gebieten mit einigen Mandaten im Europaparlament rechnen.

Vor dem Hintergrund der Europawahlen spielt auch Libertas eine Rolle. Auf den Listen kandidieren die religiösen Fundamentalisten der Liga der Polnischen Familien (LPR). Die Sichtbarkeit von Libertas wird einerseits durch das öffentliche und von der LPR dominierte Fernsehen gefördert und andererseits durch den ehemaligen Staatspräsidenten Lech Wałęsa. Da aber Wałęsa offiziell die PO befürwortet, ist ein Teil der Öffentlichkeit und der Medien der Meinung, dass Wałęsa mit seiner Anwesenheit die Absicht hat, der PiS zu schaden. In der Tat könnte Libertas einen Teil der konservativen und euroskeptischen Wähler zu Lasten der PiS gewinnen.

Und wie sieht es mit den Inhalten aus?

In der Wahlkampagne dominieren eher Symbole als Themen. Abgesehen von den mittlerweile routinemäßigen und gegenseitigen Vorwürfen der Korruption tauchen zwei wichtige Symbole auf: ein starkes Polen in Europa und die Frage nach den polnischen Werften.

Bei den Werften greift keine der Parteien die Europäische Kommission direkt an. Die rechte Opposition – PiS und zu einem bestimmten Grad auch Libertas – richten ihre Anklagen an die Regierung Tusk. Die Linken schweigen. Und die Regierungspartei PO ist der Meinung, sie tue das Beste, was sie könne und dank der guten Beziehungen zu José Barroso könne sie vielleicht besondere Bedingungen für Polen aushandeln.

Die starke Position Polens in Europa thematisieren sowohl PiS als auch PO. Allerdings verstehen beide Parteien etwas anderes unter einem starken Polen. PiS versucht Gleichbehandlung im Orchester der europäischen Großmächte zu erringen, während PO das polnische nationale Interesse als Kampf für den gemeinsamen Markt und gegen Protektionismus definiert. In der Wahlkampagne von PiS ist das Werben für eine starke Stellung Polens vor allem ein Anliegen seiner politischen Anführer, Tusk dagegen gilt als nachgiebiger und kompromissbereiter Politiker, der nicht fähig ist, einen erfolgreichen Kampf für das polnische Nationalinteresse zu führen. In der Wahlkampagne der PO wird die starke Stellung Polens mit der starken Stellung der PO innerhalb der Europäischen Volkspartei gleichgesetzt. Die Regierung spielt bewusst mit den Gefühlen des nationalen Stolzes und stellt die Europäische Politik genauso wie auch die polnischen Medien als ein Nullsummenspiel dar, bei dem es darum geht, dass „die unseren gewinnen“. PO verspricht, dass ihr gutes Ergebnis die Chancen von Jerzy Buzek (1) als Kandidaten zum Vorsitzenden des Europäischen Parlaments vergrößert. Eine starke PO ist ein starkes Polen und ein starkes Polen ist eine starke PO.

Die Linke - und zwar sowohl die SLD als auch die Mitte-Linke - versucht, mit der proeuropäischen Rhetorik zu spielen, allerdings wenig überzeugend. Als Symbol dieser Strategie kann der  Kommentar des ehemaligen Vorsitzenden der SLD, Wojciech Olejniczak, auf dem Deckblatt einer der Wochenzeitschriften gelten. Dort ist er mit bloßer Brust zu sehen: „Ich habe mich für Europa ausgezogen“. Im Vergleich zu der Wahlkampagne der PO, die alle möglichen symbolischen Persönlichkeiten Europas um sich herum sammelte (José Barroso, Jerzy Buzek, Danuta Hübner (2), Róża Thun ), erscheint dieser Werbetrick eher miserabel. Damit stellt die Linke keine eigene Vision von Europa dar. Und obwohl ihr Symbole zur Verfügung ständen (wie etwa Poul Nyrup Rasmussen), kann sie diese in ihrer Wahlkampagne nicht nutzen. Sie wagt es nicht, die von Barroso geführte Politik zu kritisieren. Die Linke kann bzw. möchte nicht thematisieren, dass heutzutage nicht alles in Europa zufriedenstellend läuft. Stattdessen scheint sie zu suggerieren, in Europa wäre alles in Ordnung. Leider kann sie damit niemanden mobilisieren, ihr eine Stimme abzugeben. Denn wenn tatsächlich alles in Ordnung wäre, so könnte man seine Stimme entweder der regierenden PO geben oder aber gar mit gutem Gewissen am Wahltag zu Hause bleiben.

Bei dieser Europawahl gibt es keine politischen Kräfte in Polen, die sich einer Anti-EU-Rhetorik bedienen. Die Opposition gegen die europäische Integration kommt einerseits im Narrativ über ein soziales Europa zum Ausdruck (die radikal linke Polnische Arbeitspartei und die populistisch-linke Selbstverteidigung), andererseits in Ausdrücken wie ein “Europa der Heimaten“ (von allen anderen Parteien in Polen, inklusive Libertas). Laut der Mehrheit der Polinnen und Polen ist die Bilanz der Mitgliedschaft Polens in der EU insgesamt positiv. Keine politische Kraft – selbst wenn sie kritisch gegenüber der EU eingestellt ist – kann es sich leisten, diese dominierende Meinung frontal in Frage zu stellen.

Grüne Ideen

Die grünen politischen Ideen werden bei dieser Wahl lediglich von den Kandidaten der Grünen (Zieloni 2004) vertreten, die im Rahmen einer Mitte-Links-Koalition mit Sozialdemokraten und Liberalen „Porozumienie dla Przyszłości - CentroLewica” (Verständigung für die Zukunft – MitteLinks) kandidieren. Es ist ungewiss, ob diese Koalition die Fünf-Prozent-Klausel überschreiten wird, aber bei einer so niedrigen Wahlbeteiligung ist dies möglich. Da bei niedriger Wahlbeteiligung die Stimmen der Wähler mit klarer, dezidierter Meinung ein stärkeres Gewicht haben, wird der Erfolg der Grünen davon abhängen, ob es ihnen gelingt, eben solche klar Positionierten zur Wahl zu motivieren.

Das einzige grüne Thema, dass in dieser Wahlkampagne parteiübergreifend eine Rolle spielt, ist die Frage nach der europäischen Energiesolidarität. In Polen besteht Einigkeit darüber, doch die Art und Weise, wie diese Übereinstimmung formuliert wird, ist vielsagend. Letztere bezieht sich darauf, dass die Erlangung und Aufrechterhaltung eines starken Polens in Europa Priorität hat und eine von Polen mitbestimmte gemeinsame Europäische Energiepolitik dafür ausschlaggebend ist.

Es zeigt sich also, dass auch die grünen Themen eine nationale Färbung bekommen können. Paradoxerweise resultiert das zum großen Teil aus der Tatsache, dass es sich um einen Europawahlkampf handelt und nicht um einen rein nationalen Wahlkampf. In den Wahlen zum Sejm, zum polnischen Parlament, sind die Polen vor allem entweder konservativ oder liberal oder sozialdemokratisch. Bei der Europawahl dagegen werden die Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten vor allem eins: Polen.

In dieser Situation kann man erwarten, dass die neuen Repräsentanten Polens im Europäischen Parlament – grob  gesagt – ähnlich wie die bisherigen sein werden. Die Polinnen und Polen wählen ungefähr dieselben Kandidaten auf denselben Listen. Einen realen Unterschied gäbe es nur dann, wenn grünnahe Kräfte ins Europäische Parlament kämen. Die größten Chancen, ein Mandat zu erlagen, haben folgende grüne Kandidaten: die liberale Feministin Magdalena Środa und der Ko-Vorsitzende der Grünen Partei Dariusz Szwed. Ihre Chancen hängen jedoch von der Mobilisierung zumindest von einem Teil der progressiven Wähler ab und von der Überzeugung dieser potenziellen Wähler, dass ihre Stimme reale Auswirkungen haben wird.

 

Adam Ostolski ist Soziologe, Philosoph, Übersetzer und Redakteur der Zeitschrift „Krytyka Polityczna“.

 

Bemerkungen:

1. Jerzy Buzek – Premierminister in den Jahren 1997-2001, seit 2004 Abgeordneter zum Europäischen Parlament aus der Liste der Bürgerplattform
2. Danuta Hübner – die erste polnische EU-Kommissarin für Regionalpolitik; Róża Thun – polnische Aktivistin im Nichtregierungssektor; seit 2005 Leiterin der Vertretung der Europäischen Kommission in Polen.

 
 
Dossier:

Europawahl: Demokratie in Zeiten der Krise

Am 7. Juni 2009 wählten Wahlberechtigte aus 27 Staaten das neue Europäische Parlament. Die Heinrich-Böll-Stiftung begleitet die Wahl mit Berichten aus anderen EU-Staaten und analysiert die Erwartungen an die EU.