Am 7. Juni haben sich 15 Prozent aller EU-Wähler für Rechtsaußen-Parteien entschieden, die EU-Ablehner aus der Tory und ODS Gruppe noch gar nicht dazugerechnet. Besonders erschreckend sind dabei die Ergebnisse aus England, Holland, Ungarn und Österreich. Dort sind rassistische, antisemitische, islamophobe Parteien zweit oder drittstärkste Kraft geworden. Die ungarische Partei „Jobbik“ verkündete nach der Wahl, sie werde dafür sorgen, dass Ungarn von den Israelis befreit würde. Sie hat auch eine eigene Garde, ist im wahrsten Sinne des Wortes gut „gerüstet“ und mit erheblichem Einschüchterungswillen gegenüber jedem Demokraten.
Auch wenn Linksaußen nicht annähernd so viel dazugewinnen konnte, so haben doch in einigen Ländern die Europakritiker oder -ablehner von Links dazugewonnen. Was sie gemeinsam haben, ist ein populistischer Anti-EU-Diskurs, der die EU wahlweise als „bürokratisches Monster“, geleitet von der „intellektuellen Elite“, als verantwortlich für den „Untergang des Abendlandes“ (auch zu ersetzen durch Untergang Englands oder Ungarns), als neoliberal und imperial oder als undemokratisch bezeichnet. Der „Elitendiskurs“ knüpft im rechtsextremen Lager häufig an eine „Hier das Volk, dort die (jüdischen) Abzocker“-Mentalität an. Vertreter der Linken in Deutschland argumentierten, dass man zur Veränderung der EU-Politik erst einen neuen Vertrag, einen „echt“ demokratischen Vertrag bräuchte. Was ein solcher Vertrag „mehr“ an Demokratie bringen solle als der Lissabonvertrag, wurde dabei häufig nicht erwähnt (vielleicht noch das Initiativrecht des Europäischen Parlaments, ansonsten keine konkreten Antworten).
Generalvorwurf EU-Bürokratie
Ein links und rechts verbreiteter Diskurs stempelt alle Akteure in Brüssel und deren Entscheidungen als „bürokratisch“ ab, entledigt sich dadurch der politischen Verantwortung und entwertet sie gleichzeitig.
Dagegengehalten wurde wenig, außer emphatischen Bekenntnissen zur friedensstiftenden Kraft der EU. Kaum jemand war bereit, auch mal angeblich „bürokratische“ Entscheidungen als politische Richtungsentscheidungen zu verteidigen. Kaum jemand kämpfte für die durchaus sinnvollen Feta- oder Roséherstellungsvorschriften der EU. Gleichzeitig war kaum jemand bereit, sich mit berechtigter Kritik an der EU inhaltlich, aber nicht populistisch, auseinanderzusetzen, wie zum Beispiel mit aktuellen EuGh Urteilen zur Entsenderichtlinie.
Diese Diskurse laufen parallel zu Renationalisierungstendenzen im Umgang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise. Opel wurde eine Woche vor der Wahl als rein deutsches Standortproblem diskutiert und politisch behandelt. Die Rufe aus Belgien für eine gemeinsame europäische Lösung wurden in Berlin geflissentlich überhört. Europäer wieder nach der Europawahl. Europa ist gut, wenn es uns gut geht. In der Krise setzen wir auf den Nationalstaat und unser Volk, dann geht es um unsere Arbeitsplätze. Das ist kein unbekannter Reflex. Auf nationaler Ebene wurde auch schon gewarnt vor potenziellen politischen Konsequenzen der Krise.
EU: die Weimarer Republik des 21. Jahrhunderts
Aber vielleicht ist nicht die nationale Demokratie das Opfer der Krise, sondern die EU. Vielleicht ist die EU die Weimarer Republik des 21. Jahrhunderts. Auch wenn dies historisch natürlich nicht gleichzusetzen ist, kaum jemand kämpft zum Beispiel für einen Kaiser, gibt es doch überraschende Überschneidungen und Ähnlichkeiten der Argumentationsmuster von damals und heute. Vermutlich sollte man aus diesem Vergleich auch nur zwei Dinge mitnehmen: Erstens, genauso wie die Demokratie der Weimarer Republik fragil war, ist der Prozess der europäischen Integration auch heute noch umkehrbar und steht auf gläsernen Beinen. Zweitens und daraus folgend: Die Verantwortung für die Zukunft der EU liegt bei jedem und jeder, und bei allen Politikern, egal ob auf lokaler, nationaler oder Europaebene. Dies wird nur durch einen verantwortungsvollen Umgang mit der EU-Politik gelingen.
Das bedeutet konkret für uns Grüne in den nächsten Wochen und Monaten im Bundestagswahlkampf immer wieder das Mitdenken und Einklagen einer europäischen Herangehensweise an die Wirtschafts- und Finanzkrise und die Frage „Und, wie hältst Du es mit Europa?“ bei jeder inhaltlichen Diskussion, sei es zur Energie- oder Steuerpolitik.
Außerdem müssen wir die bestehende Kritik an einzelnen EU-Politiken ernst nehmen und stärker in der Öffentlichkeit unsere konstruktive Kritik artikulieren. Die EU ist nicht perfekt, aber doch besser als alle Alternativen. Sie ist verteidigungswürdig und einer ernsthaften, verantwortungsvollen Kritik wert, aber eben einer europäischen.
Franziska Brantner kandidierte für Bündnis 90/Die Grünen im Europa und ist zukünftiges Mitglied des Europäischen Parlaments.