Umschuldung Griechenlands jetzt vorbereiten – Neubeginn solidarisch unterstützen
– in proelio iis maximum est periculum, qui maxime timent –
Dies wussten die militärisch erfahrenen Römer: Im Kampf schweben diejenigen in größter Gefahr, die sich am meisten fürchten. Die europäische Politik hat diese Einsicht vergessen: sie wird seit einem Jahr von der Furcht vor einem Finanz-GAU von Rettungspaket zu Rettungspaket getrieben, ohne dass sich ein Ausweg abzeichnet. Der Kampfwille der Fusstruppen, um im Bild zu bleiben, schwindet täglich. Politische Reserven, die für die Neugruppierung zur unvermeidlichen Umschuldung Griechenlands und für die Finanzierung eines Neuanfangs notwendig wären, werden aufgerieben. Am Ende bleibt nur noch der erschöpfte Zusammenbruch. Dabei ist die Sammlung zu einem letzten, genau umrissenen Gefecht zur solidarischen Überwindung der Schuldenkrise möglich – wenn es bald kommt.
Die europäische Politik kann das verlorene Vertrauen nur mit politischer Ehrlichkeit und mit einem Masterplan für den Weg aus der Krise zurückgewinnen. Dieses wären seine Elemente:
- die Währungsunion muss anreizkompatibel werden;
- ansteckungsgefährdete Länder sind zu zusätzlichen Konsolidierungsschritten aufzufordern;
- unter dieser Bedingung sind kurzfristige EU-Garantien für diese Länder zu bestätigen;
- Griechenlands baldige Umschuldung muss vorbereitet werden.
Kreditbremsen für Euroland
Europa ist durch die schiere Höhe des Schuldenberges einiger Banken und Mitgliedstaaten in der Krise. Dass er sich zehn Jahre lang aufbauen konnte, hat mit Markt- und Politikversagen zu tun – und mit einem schlechten Design der Euro-Regeln. Das macht die Schuldenkrise aber noch nicht zu einer Eurokrise. Ihre Überwindung muss aber an ihren Ursachen ansetzen. Dazu sind drei Maßnahmen erforderlich:
a) Banken sollten gezwungen werden, auch für Staatsanleihen Eigenmittelreserven aufzubauen
b) Liquiditätsdarlehen im Rahmen des europäischen Währungssystems sollten ähnlich wie im amerikanischen Zentralbanksystem marktgängige Sicherheiten erfordern;
c) ein glaubwürdiges Insolvenzverfahren für EU-Mitgliedstaaten sollte eingeführt werden.
Nur durch diese Schritte können die Akteure gezwungen werden, höhere Investitionsrisiken entweder zu meiden oder mit höheren Eigenmittelreserven abzusichern – und damit nicht von ihren Schuldnern abhängig zu werden.
Dominoeffekt verhindern, Konsolidierung vorantreiben
Ein Jahr nach Ausbruch der griechischen Krise haben die privaten Gläubiger verstärkt Rücklagen gebildet. Die Gefahr eines Ansteckungseffektes für andere europäische Krisenländer ist damit nur abhängig von der Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Konsolidierungsanstrengungen. Durch die Beschwörung der Gefahr machen sich die Geberländer zur Geisel ihrer eigenen Rhetorik.
Deutschland fährt – trotz dramatischen Anstiegs der Schuldenquote im letzten Jahr und trotz boomender Wirtschaft – noch immer ein Defizit von zwei Prozent; es gibt ein schlechtes Beispiel ab. Leider scheint die Opposition bereit, die Konsolidierung auf Zeiten geringeren Wachstums und eigener Regierungsbeteiligung zu verschieben.
Neue Chancen schaffen
Griechenland braucht aber auch neue Perspektiven. Der deutsche Vorschlag zu griechischem Solarstrom ist allerdings ein schlechtes Plagiat: So zentral die Förderung regenerativer Energien für Europa ist, so wenig erfordert dies eine öffentliche Trägerschaft. Denn dann bliebe ja das Grundproblem unverändert: Wer leiht dem griechischen Staat das Geld für die Investitionen? Die Grünen sollten hier gegen Dirigismus und Spendierfreudigkeit und für eine marktwirtschaftlichere Lösung einstehen. Investitionen sollten vor allem privat über europäische Projektfonds bereitgestellt werden; der europäische Haushalt sollte allein Ausfallversicherungen für ein oder zwei Prozent des Projektvolumens übernehmen.
Die Wirtschaft entfesseln
Die Europäische Kommission hat eine Milliarrde Euro an zusätzlichen Investitionshilfen für Griechenland vorgeschlagen, ohne allerdings zu sagen, warum diese effektiver wären als die vorherigen sechzig Milliarden Euro. Sie sollten daher nicht in öffentliche Infrastrukturen fließen, sondern zum Beispiel in spezielle Kreditlinien für kleine und mittlere Unternehmen.
Allerdings wird jede Hilfe verpuffen, wenn die griechische Wirtschaft nicht entfesselt wird. Laut dem "Doing Business" Index der Weltbank haben es Unternehmer in Albanien und Ägypten deutlich leichter als in Griechenland – Differenz zunehmend. Wer ein Gewerbe anmelden, in ein Unternehmen investieren oder Eigentum registrieren lassen will, findet einige der weltweit schlechtesten Bedingungen vor. Umgekehrt betrachtet: Hier schlummert großes Wachstumspotenzial.
Den Bürgern reinen Wein einschenken
Griechenland lebt nach wie vor über seine Verhältnisse. Das Haushaltsdefizit liegt noch immer bei rund zehn Prozent und muss durch öffentliche Darlehen anderer Euroländer mitfinanziert werden. Daneben kommt es durch das klaffende Außenhandelsdefizit – und vermutlich durch Kapitalflucht – zu einem unkontrollierten Kapitalabfluss von mehr als zwei Milliarden Euro monatlich. Die Darlehen der Eurogruppe an Griechenland sind für den Fall einer Umschuldung nicht besser gesichert als Darlehen des Privatsektors. Wenn Forderungen teilweise abgeschrieben werden müssen, werden sich die öffentlichen Gläubiger ihrer Verantwortung nicht entziehen können, umso mehr, je weiter ihr Anteil am Gesamtschuldenstand anwächst. Neue Hilfen des Rettungsfonds werden damit zu Scheindarlehen. Die meisten Bürger durchschauen dies und finden es unredlich.
Politische und finanzielle Ressourcen, die zum Management einer griechischen Umschuldung notwendig sein werden, zehren sich rapide auf. Es ist die Fortsetzung dieser verfehlten Politik, die die Märkte verunsichert. Das „Weiter So“ droht Europa den nationalen Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Die durchaus vorhandene Solidaritätsbereitschaft der Bürger sollte für einen Neuanfang Griechenlands nach der unvermeidlichen Umschuldung reserviert werden, statt diese Bereitschaft ziellos auszuzehren. Hierbei ist zwischen dem Umgang mit den Altschulden und der Nettoneuverschuldung zu unterscheiden.
Altschulden reduzieren
Ohne Verkleinerung des Altschuldenberges kann Griechenland nicht auf die Beine kommen und damit letztlich auch seine Schulden nicht zurückzahlen. Der Freikauf privater Gläubiger durch die Eurozone überträgt daher ein immer größeres Risiko vom Privatsektor auf die Steuerzahler. Auch der mögliche Aufkauf von Anleihen zum Marktpreis durch den Rettungsfonds ist fragwürdig, da dies wie auch die Aussicht auf den neuen Rettungsmechanismus (ESM) die Preise künstlich hoch hält. Und Eurobonds helfen schon deswegen nicht, weil sie das Risiko lediglich auf den von ihnen nicht gedeckten Teil der Staatsschuld konzentrieren, der damit völlig unfinanzierbar wird.
Banken beteiligen – aber nur um Umschuldung vorzubereiten
Das neue Modell für die Beteiligung von Banken an der Refinanzierung fälliger griechischer Staatsanleihen erfordert keine Abschreibungen. Nur die Hälfte des fällig gewordenen Betrages fließt an Griechenland zurück – zu hohen effektiven Zinsen. Gleichzeitig finanziert die Eurozone die Auszahlung der Banken weiter mit. Griechenland wird nicht wirklich entlastet. Zudem werden die amerikanischen Kreditausfallversicherer künstlich subventioniert. Skeptisch stimmen auch Abreden europäischer Regierungschefs mit China zum Kauf von Euroanleihen. Wurden hier etwa Garantien gegeben?
Neuanfang solidarisch gestalten – Gläubigerkonferenz einberufen
Zur Organisation der Umschuldung Griechenlands bedarf es einer Gläubigerkonferenz. Diese muss die Kosten für einen Neuanfang gerecht unter Beteiligung des griechischen Staates, der privaten Gläubiger und der EU aufteilen. Allerdings dürfen private Forderungen nicht leichtfertig europäisch sozialisiert werden. Zudem ist über eine möglicherweise notwendig werdende Re-Kapitalisierung des griechischen Bankensektors zu diskutieren, die ebenfalls auch die Privaten einbinden kann.
Keine neuen Rabatte
Wenn die Ansteckungsgefahr der Krise von den bei den Großbanken akkumulierten Kreditausfallrisiken ausgeht, dann macht das gegenwärtige Krisenmanagement der Eurozone Großbritannien mit seinem riesigen Bankensektor zum Trittbrettfahrer. Sofern finanzielle Hilfen für die Krisenländer fortgesetzt werden, müssten diese auf die breiteren Schultern der gesamten EU verteilt werden, statt Großbritannien wieder einen Rabatt zu gewähren.
Laufendes Defizit muss aus eigener Kraft finanziert werden
Anders als die Altschuldenfrage, muss die Finanzierung des laufenden Defizits und seine schnelle Reduzierung allein in der Verantwortung der griechischen Gesellschaft liegen. Bis zum Ausgleich des Haushaltes sollte Griechenland von seinen Rücklagen leben – dem Verkauf oder der Verpfändung jener Aktiva, die für den Staat erreichbar sind. Dies ist zentral für die Bildung eines Reformkonsenses in Griechenland – und zentral für die europäischen Bürger/innen. Die einzigen ehrlichen Alternativen zu diesem Vorgehen wären die Wandlung von EU-Darlehen in Zuschüsse oder aber der Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Beide stehen nicht auf der Tagesordnung. Europa sollte Griechenland aber unter die Arme greifen:
- Griechenland ohnehin zustehende Agrar- und Strukturfonds aus dem EU-Haushalt sollten – im Bewusstsein, dass die Alternative hierzu Scheindarlehen aus dem Rettungsfonds wären – ausnahmsweise vorzeitig ausgezahlt werden. Während die Strukturfonds dabei z.T. in ungebundene Zuschüsse umgewandelt werden sollten, würde Griechenland gegenüber seinen Landwirten eine zukünftige Zahlungsverpflichtung übernehmen.
- Soweit weitere Darlehen aus dem Rettungsschirm notwendig werden, sollten sie mit Werten der griechischen Privatisierungstreuhand gesichert werden. Da dies allein jene Ausgaben betrifft, um die Griechenland über seine Verhältnisse lebt, ist dies keineswegs unmoralisch. Dies könnte auch mehr Zeit beim Verkauf der Aktiva einräumen und damit ein hektisches Verramschen öffentlicher Werte verhindern.
- Schließlich müssen die Zinssätze der EU-Hilfskredite auf ihre Refinanzierungskosten gesenkt werden, denn sie bremsen die Herausbildung des notwendigen griechischen Konsolidierungskonsenses.
Licht am Ende des Tunnels
Die griechische Gesellschaft, die Gläubiger und die Geberländer haben eines gemeinsam: Um den Mut für die notwendigen Anstrengungen aufzubringen, müssen sie ein Licht am Ende des Tunnels erkennen können. Junge Griechen werden nicht eine Generation lang einen wirtschaftlichen Niedergang akzeptieren, um Gläubiger ihrer Eltern auszuzahlen. Die Gläubiger brauchen Klarheit über die Zukunft ihrer Papiere und Kreditausfallversicherungen. Die Bürger der Geberländer wollen nicht länger Darlehen an Griechenland finanzieren, solange sie nicht abgesichert sind und nicht zur Lösung der Schuldenfrage beitragen. Die Finanzmärkte schließlich brauchen ein Signal der Fähigkeit der EU zu klaren Entscheidungen.
Europa robuster machen
Europa kann nicht wie ein Nationalstaat funktionieren, in dem die Hauptstadt den Provinzen Sparanweisungen erteilt, die – berechtig oder nicht – in den Kern staatlicher Souveränität eingreifen. Eine robuste Währungsunion darf Konvergenz daher nicht als Erfolgsbedingung vorauszusetzen. Das Bild von der Ehe passt nicht: Wenn sie der gegenseitige Liebe und einer Transferunion bedarf, wird sie scheitern. Der Euro braucht daher ein robustes ökonomisches Anreizsystem und klare Zinssignale, die seinen Mitgliedstaaten ein Eigeninteresse an finanzpolitischer Stabilität vermitteln. Weniger pauschale Europabekenntnisse und mehr Währungsingenieure sind gefragt. Es ist Zeit, Europa vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Rainer Emschermann ist Volkswirt und wohnt in Brüssel.
Dieser Artikel gibt ausschließlich die Meinung des Autors wider.