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Er oder Sie: Wahlkampf ohne Begeisterung

Auch eine Wahl ohne Begeisterung?
Foto: SusanAstray (Quelle: Flickr.com). Dieses Foto steht unter einer Creative Commons-Lizenz

2. Februar 2010
Von Dr. Kyryl Savin
Von Dr. Kyryl Savin

Eine Woche vor der entscheidenden Runde in den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine ist der Ausgang zwar noch nicht sicher, jedoch scheint tendenziell das Pendel in Richtung Janukowytsch auszuschlagen. Dennoch kann eine Überraschung nicht ausgeschlossen werden. Insgesamt konzentrieren sich die Kandidaten jedoch weniger auf den klassischen Wahlkampf, als auf gegenseitige Anschuldigungen und Provokationen. Die Wähler_innen schauen dabei unbeteiligt zu.

Janukowytsch lässt nichts anbrennen

Bislang gelang es Julia Tymoschenko noch nicht, Wiktor Janukowytsch zu einer Fernsehdebatte zu bewegen. So gab es am Anfang der letzten Woche und am Wochenende täglich Aufforderungen von Seiten Tymoschenkos an Janukowytsch sich doch in einem Fernsehduell zu stellen. Darüber hinaus wurden offene Briefe von kritischen Journalisten in den Internetzeitschriften „Telekrytyka“ und „Ukrajinska Prawda“ an Janukowytsch gerichtet. Doch bislang konnte sich Janukowytsch, von einem seiner Vertreter als „Mann der Tat“ gegenüber der „Frau der Worte“ verteidigt, erfolgreich einer öffentlichen Debatte entziehen, trotz der Tatsache, dass ein Viertel der Ukrainer meint, ein Fernsehduell könnte ihre mögliche Entscheidung beeinflussen. Insgesamt ist den derzeitigen Entwicklungen nach jedoch nicht davon auszugehen, dass es noch zu einem solchen TV-Duell kommen könnte - allenfalls in einem Anfall von Selbstüberschätzung durch das Team von Janukowytsch oder von Wiktor Janukowytsch selbst. Gleichwohl hat die Zentrale Wahlkommission den Termin für eine staatlich finanzierte Fernsehdebatte auf Montag den 1. Februar angesetzt.

Anzeichen für Selbstüberschätzung gibt es. So verkündete der ehemalige Finanzminister und jetzige Parlamentsabgeordnete der Partei der Regionen, Mykola Asarow, dass er bereits auf den Posten des Premierministers Anspruch erhebt und seine Parteikollegin Irina Akimowa Wirtschaftsministerin werden soll. Zudem gäbe es noch genügend professionelles Personal für eine Regierungsbildung. Ebenfalls wähnt er für eine stabile Regierung bereits eine überzeugende Mehrheit in der Werchowna Rada hinter sich. Dies zeugt davon, dass man die Partei der Regionen den Siege bei den Wahlen bereits als sicher sieht.

Tymoschenko fehlen die Unterstützer_innen

Auch auf der anderen Seite keimte für kurze Zeit etwas Hoffnung auf: So äußerte sich Serhij Tihipkos am Dienstag, den 26. Januar, dass die Angebote Julia Tymoschenkos schwergewichtiger waren – ihm wurde offiziell und öffentlich der Posten des Premierministers angeboten – als die von Janukowytsch und die Verhandlungen mit Tymoschenko weiter fortgeschritten seien. Überall – und dabei insbesondere beim Wahlkampfstab von Julia Tymoschenko – wird das als insgeheimes Eingeständnis der Existenz von Abmachungen zwischen Tihipko und Tymoschenko interpretiert. Übersehen wurde dabei jedoch, dass eben Tihipko in allen seinen öffentlichen Äußerungen auch betonte, dass er keine geheimen Abmachungen treffen wird, da diese nach den Wahlen hinfällig wären, und auch keinen der Kandidaten vor dem zweiten Wahlgang unterstützen wird.

Auch das wiederholte Werben um eine öffentliche Unterstützungserklärung von Seiten Tihipkos (13,05%) und Jazenjuks (6,96%) in Davos bei der Liveschaltung zum „Ukrainian Lunch“ brachte keine neuen Ergebnisse für Tymoschenko. Weder sie noch Janukowytsch können eine Woche vor der Wahl darauf hoffen, öffentliche Unterstützung von einem der beiden ehemaligen Präsidentschaftskandidaten zu bekommen. Tymoschenkos Werben rief im Gegenteil bei Jazenjuk bereits eine heftige Gegenreaktion hervor: In einer Livesendung aus Davos am Abend des 29. Januar schloss er sehr heftig jegliche Unterstützung für Tymoschenko aus.
Der fünftplazierte Juschtschenko (5,45%) hat derweil öffentlich erklärt, für keinen der beiden KandidatInnen zu stimmen, was als indirekte Unterstützung für Wiktor Janukowytsch verstanden werden kann. Denn jede Stimme „gegen alle“ und eine niedrige Wahlbeteiligung nützen Wiktor Janukowytsch. Wie zu erwarten, haben die „linken und linkszentristischen“ Kräfte (Petro Symonenko mit 3,54%) mit Wiktor Janukowytsch einen Vertrag über die Unterstützung im zweiten Wahlgang unterzeichnet und Wolodymyr Lytwyn (2,35%) vermeidet jeglichen Kommentar bezüglich einer Wahlunterstützung.

Neue Konfliktlinien

Eine andere Front im Wahlkampf wurde am Morgen des 25. Januar eröffnet. Ort des Geschehens war die staatliche Druckerei „Ukrajina“, in der neben Passdokumenten und Wertpapieren auch die Stimmzettel gedruckt werden. Die Druckerei wurde am frühen Morgen von unbekannten Personen besetzt, woraufhin sich Abgeordnete der Partei der Regionen einmischten. Am Ende wurde die Fabrik auf Befehl von Innenminister Luzenko durch die Miliz gestürmt. Anlass für die Aktion war der Austausch des der „Partei der Regionen“ nahestehende Direktors des Werks in der letzten Woche durch den kommissarischen Finanzminister der Regierung Tymoschenko. Beide Seiten werfen sich den Versuch vor, zusätzliche Stimmzettel für die Abstimmung drucken zu lassen. Offensichtlich geht es hierbei jedoch mehr um die lukrativen Einnahmen aus dem Monopol auf die Passausgabe. Inzwischen wird die Fabrik durch den Sicherheitsdienst der Ukraine und die dem Präsidenten unterstehenden „Inneren Streitkräfte“ bewacht.

Auch aufgrund dieses Vorfalls erreichte die Partei der Regionen am Donnerstag, den 28. Januar, in der Werchowna Rada mit 231 Stimmen (sie verfügt nur über 172 der insgesamt 450 Sitze) die Entlassung von Innenminister Jurij Luzenko. Dieser wurde von Julia Tymoschenko jedoch sofort zum Ersten Stellvertreter des Innenministers ernannt. Hierüber kann er die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines neuen Innenministers weiter leiten, auch wenn hierfür gerichtliche Entscheidungen ignoriert werden müssen.

Interessant an der Abstimmung in der Werchowna Rada (450 Abgeordnete) ist ein offensichtliches Umschwenken eines Teiles der Abgeordneten aus der bisherigen formal existierenden Regierungskoalition (Block Julia Tymoschenko, Block „Unsere Ukraine – Selbstverteidigung des Volkes“, „Block Lytwyn“). Wie oben erwähnt, stimmten zusätzlich zu den Abgeordneten der Partei der Regionen (171 von 172) noch Abgeordnete anderer Fraktionen für die Entlassung Luzenkos. Das betrifft neben dem Block Lytwyn (19 von 20) und der Fraktion der Kommunistischen Partei der Ukraine (27 von 27), Teile der Fraktion von „Unsere Ukraine – Selbstverteidigung des Volkes“ (11 von 32) und einen Abgeordneten des Blockes Julia Tymoschenko (1 von 153). Dies spricht dafür, dass sich ein Teil der Werchowna Rada bereits auf einen Wahlsieg Janukowytschs eingestellt hat und einige Abgeordnete bereits vorab ihre Verlässlichkeit für eine neue Koalition unter Beweis stellen.

Wähler warten ab

Insgesamt ist jedoch unter der Bevölkerung weiterhin wenig Anteilnahme an dem anstehenden Wahlgang zu verspüren, so ist weder Begeisterung für den einen noch Entrüstung über den anderen Kandidaten zu bemerken. Alles scheint in einer Wartehaltung zu verharren. Selbst die sonst so erfolgreich wahlkämpfende Julia Tymoschenko schaffte es in ihrem Kernland Lwiw nur mühsam 5.000 Zuschauer_innen für ihren Auftritt zu organisieren. Ein Grund dafür war auch, dass die Lufttemperatur in Lwiw an diesem Tag unter -20˚C lag.

Auch scheinen ihre Anstrengungen bei der Außenreklame nachzulassen, denn die Kiewer Metro wurde den Plakaten Wiktor Janukowytschs überlassen, was kein Zeichen für einen Wahlkampf bis zur letzten Minute ist. Die allerorts zu verspürende „Zuschauerdemokratie“ lässt für die Wahlbeteiligung am 07. Februar nichts Gutes erwarten. So scheint sie momentan eher niedriger auszufallen als die 67,76% vom 17. Januar. Vielleicht behindern aber auch die sibirischen Temperaturen von -20 bis - 30°C der letzten Tage eine Aktivierung der Wähler. Die Ukraine ist eben immer für eine Überraschung gut.


Dr. Kyryl Savin
ist Büroleiter im Auslandsbüro der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, er wird unterstützt von Andreas Stein, der dort als Praktikant arbeitet.

Dossier

Die Ukraine auf dem Weg zur Demokratie

Seit 1991 ist die Ukraine unabhängig. Trotz Reformen hat die Demokratie in der Ukraine immer noch große Defizite. Die Orangene Revolution 2004 hat den Prozess der Demokratisierung beschleunigt, doch ist die Demokratie im Lande weiter instabil und die Zivilgesellschaft zu schwach, um Politiker und Politikerinnen kontrollieren zu können. Ein Schritt zurück zur Autokratie ist bei der andauernden politischen und wirtschaftlichen Krise nicht ausgeschlossen. Das Dossier begleitet die aktuellen Entwicklungen mit Artikeln und Hintergrundberichten.