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Christine Lagardes Herausforderungen

Die ehemalige Wirtschafts- und Finanzministerin Frankreichs, Christine Lagarde, ist seit dem 5. Juli 2011 neue Vorsitzende des IWF. (Hier auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Jahr 2007). (Foto: World Economic Forum Quelle: Flickr Lizenz: CC BY-SA 2.0)

5. Juli 2011
Rainer Falk und Barbara Unmüßig
Von Rainer Falk und Barbara Unmüßig

Christine Lagarde, die erste Frau an der Spitze des Internationalen Währungsfonds. Das ist zweifelsohne schon ein Fortschritt und wäre vor Jahren kaum denkbar gewesen. Zugleich ist es den Europäern und den USA mit Lagarde erneut gelungen, sich mit einem überkommenen Verfahren durchzusetzen, wonach sie unter sich die internationalen Spitzenposten  aufteilen: Für die Europäer den IWF, für die USA die Weltbank. Ihren Anteil daran tragen freilich auch die Schwellen- und Entwicklungsländer, die nicht in der Lage waren, einen gemeinsamen Kandidaten zu präsentieren.

Einmal mehr wurde so die Chance verpasst, nach dem Rücktritt des „Reformdirektors“ Dominique Strauss-Kahn („DSK“) einen entscheidenden Reformschritt zu gehen und ein offenes Auswahlverfahren für die Spitzenposition im Fonds, in dem es ausschließlich um die Qualifikation und die Verdienste des Kandidaten geht, zu etablieren. Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, ist ein Beleg dafür, dass es im IWF nach wie vor nach den alten Machtrelationen zugeht. Diese zu überwinden oder zumindest an entscheidenden Punkten zu durchbrechen, gehört nichtsdestotrotz zu den Herausforderungen, vor denen die neue Direktorin Lagarde stehen wird.

In der Diskussion um die DSK-Nachfolge wurden die Europäer nicht müde zu betonen, dass es angesichts der Rückkehr des IWF nach Europa nur recht und billig sei, wenn ein Europäer oder eine Europäerin in der Spitze des Fonds stünde. Kaum ein Argument könnte blamabler sein! Oder wurde jemals während der lateinamerikanischen Schuldenkrise oder der asiatischen Finanzkrise der Ruf laut, einen Lateinamerikaner oder Asiaten zum IWF-Direktor zu machen?

Richtig ist, dass etliche europäische Länder – von Lettland bis Griechenland, von Ungarn bis Portugal - inzwischen zu den neuen Großkunden des IWF gehören. Das Gros der Klientel sind aber nach wie vor Entwicklungsländer, darunter dutzende Länder mit niedrigem Einkommen, die am Tropf des Fonds hängen. Die Äußerungen Lagardes vor ihrer Wahl deuten durchaus darauf hin, dass sie eine klare Vorstellung von der Breite der Aufgaben, die sie erwarten, hat: „Der Fonds hat eine Menge unmittelbare Aufgaben angesichts einer ungleichen Erholung der Weltwirtschaft, der wieder zum Vorschein kommenden globalen Ungleichgewichte, der potentiell destabilisierenden Kapitalflüsse, des hohen Niveaus der Arbeitslosigkeit, der steigenden Inflation und schwieriger Länderfälle,“ sagte sie in ihrer Bewerbung.

Die neue IWF-Direktorin wird in den kommenden Monaten und Jahren daran zu messen sein, ob sie die von ihrem Vorgänger begonnenen Reformprozesse beim IWF weiter vorantreiben wird. Dazu gehört an erster Stelle, den Fonds endlich aus seiner Rolle  als Disziplinierungsinstrument der Gläubiger gegenüber den zumeist südlichen Schuldnern zu entlassen. Das ist ein Selbstverständnis, das  auf Asymmetrie basiert. Es ist aber auch beim Management der europäischen Schuldenkrise kein probates Mittel. Auch in Europa werden rigide Anpassungsprogramme gegenüber den Schwächeren, den Defizitländern, durchgesetzt, während die Starken, die Überschussländer, ungeschoren davonkommen. Was viele nicht wissen ist, dass die größten sparpolitischen Scharfmacher gegenüber den Krisenländern der Eurozone nicht aus Washington, sondern aus Berlin und Brüssel kamen.

Eine der größten Reformbaustellen des IWF – das zeigt gerade die Eurokrise – ist die Reform der Konditionalitäten, die der Fonds mit seinen Krediten verknüpft. Diese Reform steht immer noch  am ganz am Anfang. Sie voranzutreiben, ist eine der wichtigsten Herausforderungen für Christine Lagarde. Wieder einmal findet derzeit eine Überprüfung der Konditionalitäten des Fonds  statt. Die Hilfsorganisation Oxfam International weist besorgt darauf hin, dass gerade die Länder mit niedrigem Einkommen (LICs) nach wie vor negativ von den wirtschaftspolitischen Konditionen betroffen sind:

Nach der globalen Finanzkrise behindert die Rückkehr zur „haushaltspolitischen Konsolidierung“ viele LICs dabei, zügig an der Verwirklichung der Millenniumsziele, darunter die Halbierung der absoluten Armut, zu arbeiten, argumentiert Oxfam. Die im letzten Jahr vom IWF versprochene höhere Flexibilität bei Inflationszielen wird nicht wirklich umgesetzt. Die Inflationsbekämpfung zwingt viele Länder zu schärferen geldpolitischen Maßnahmen, um den gestiegenen Nahrungsmittel- und Brennstoffpreisen zu begegnen. Zudem gibt es zahlreiche Belege dafür, dass die in den IWF-Programmen neu eingezogen Grenzen für die Kürzung von Sozialausgaben in der Praxis nicht ernst genommen werden bzw. sich in der Ausgabenpolitik der Regierungen kaum bemerkbar machen.

Angesichts solch fortbestehender Defizite in der Vergabepolitik des IWF macht es Hoffnung, dass sich Christine Lagarde in ihrer schriftlichen Bewerbung der Kritik der Unabhängigen Evaluierungskommission des IWF angeschlossen hat, die dem Fonds kürzlich in Bezug auf seine klägliche Rolle im Vorfeld der Finanzkrise ideologische Einseitigkeit, „Gruppendenken“ und „Silomentalität“ bescheinigt hat. Mehr Offenheit für unterschiedliche Positionen, jenseits der überkommenen Orthodoxie, ist sicherlich eine Grundvoraussetzung für mehr Effektivität des IWF.

Unvollendet – und dies ist die dritte Herausforderung für Lagarde – ist schließlich auch die Reform der Entscheidungsstrukturen  des IWF, ohne die der Fonds schwerlich die Legitimität zurück gewinnen kann, die er als globale Institution braucht. Da Lagarde in ihrem „Wahlkampf“ den Schwellenländern Hoffnung auf eine weitere Aufwertung ihrer Rolle im Fonds gemacht hat, wird sie jetzt „liefern“ müssen. Fraglich ist jedoch, ob dabei die Vollendung der noch laufenden Stimmrechtsreform und danach die ständige Anpassung der Quoten an die globalen ökonomischen Kräfteverhältnisse ausreichen wird, um den erforderlichen Ausgleich zwischen Nord und Süd, zwischen Arm und Reich herbeizuführen.

Es gibt durchaus Vorschläge, die darüber hinausgehen: So könnte sich der IWF künftig von einem Regime der doppelten Mehrheiten regieren lassen, dass bei zentralen Entscheidungen jeweils Mehrheiten unter Geber- und Nehmerländern, Schuldnern und Gläubigern verlangt. Zugegeben: eine visionäre Vorstellung angesichts der Tatsache, dass im IWF heute immer noch nach dem Modell „Ein Dollar – eine Stimme“ entschieden wird. Aber ohne das alte Besitzstandsdenken zu überwinden, wird es keine IWF-Reform geben, die diesen Namen verdient.

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Rainer Falk ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung.

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.