Von Hanna Behrend und Madeleine Porr
So sinnvoll es ist, wenn sich die Öffentlichkeit immer wieder aufs Neue der emanzipatorischen Tradition der feministischen Bewegung erinnert, so wenig produktiv erscheint uns das periodisch wiederkehrende Wedeln des roten Tuches mit dem Aufdruck „Neuer vs. alter Feminismus?“, wann immer sich junge, in den Mainstream drängende Frauen zu Wort melden. Wir wünschen uns stattdessen Bemühungen, die alten Ausgrenzungsmechanismen aufzulösen. Dazu ist es sicherlich hilfreich, wenn wir einen kurzen Exkurs in die oben genannte emanzipatorische Tradition unternehmen.
Rückblick
Im Verlauf der Geschichte haben unterdrückte, benachteiligte, verfolgte Menschengruppen immer wieder versucht, sich von ihren Bedrückern zu befreien. Waren sie erfolgreich, d. h. hatte sich die betreffende Gruppe von entscheidenden politischen, sozialen und kulturellen Fesseln befreit, dann verschwand mit der Zeit die besondere Form der Unterdrückung und der Unterdrücker und machte neuen Formen der Ausbeutung und Diskriminierung und schließlich neuem Widerstand Platz. Im 19. und bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts sahen viele Menschen in der Arbeiterbewegung und den aus ihr hervorgegangenen zwei großen Richtungen Sozialdemokratie und Kommunismus BefreierInnen von Ausbeutung. Obwohl diese Bewegungen weder Armut noch Ausbeutung abschafften, haben sie ein paar Schritte in die richtige Richtung getan: Sie haben den Ausgebeuteten das Bewusstsein vermittelt, dass sie sich wehren können, dass sie gemeinsam handelnd eine Macht sind. Ja, sie haben sogar vielfältige Visionen hervorgebracht, wie ein ausbeutungsfreies Leben aussehen könnte.
Der rote Faden in der Geschichte: Ausgrenzung
Allerdings ist bei alledem stets die grundlegende Ungerechtigkeit ungelöst geblieben: das patriarchale, besser gesagt das androzentrisch-androkratische Wesen der menschlichen Gesellschaft, das im Laufe der Geschichte immer mehr Raum besetzte und bekanntlich in der „Hexenverfolgung“ des Mittelalters einen seiner Höhepunkte
erreichte.
Am Ausschluss der halben Menschheit von einem „ganzen Leben“, das selbstbestimmte Teilhabe an allen menschlichen Aktivitäten und am geschaffenen Eigentum umfasst, hat die Arbeiterbewegung nur halbherzig gerüttelt. Der „Familienlohn“, der auch dem Arbeiter eine aus „Liebe“ 24 Stunden/Tag einsetzbare Haus- und Kinderfrau ermöglichte, entsprach seinen Interessen; an dem unfreien fremdbestimmten Leben der überwältigenden Mehrheit der Frauen änderte er nichts.
So entwickelten sich die erste (bereits ab dem Ende des 18. Jh.) und die als Teil der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre hervorgegangene zweite Frauenbewegung, die der „anderen Hälfte der Menschheit“ das Bewusstsein ihrer Unterdrückung vermittelte. Vor allem im letzten halben Jahrhundert gelang es dieser Bewegung, gewaltige Veränderungen im Denken und Handeln von Frauen, aber auch von Männern auszulösen. Doch war diese zweite Frauenbewegung im Wesentlichen weiß und mittelständisch und grenzte Frauen aus, die nicht weiß und nicht bürgerlich waren. Diese Beschränktheit veranlasste vor allem schwarze Frauen in den USA und in Afrika, aber auch andere Frauen aus nicht-dominanten sozialen und nationalen Gruppen, Fragen zum Zusammenhang von Gender und Ethnie zu stellen. Sich mit den bürgerlichen weißen Frauen zu solidarisieren ließ sich ihrer Meinung nach nur vertreten, wo diese zugleich auch die Diskriminierung von Frauen und Männern bekämpfen, die eine andere Hautfarbe und einen anderen ethnischen Hintergrund haben. Die ethnischen, sozialen, politischen und kulturellen Differenzen unter den Ausgegrenzten wurden als etwas hervorgehoben, das in Solidarität zelebriert und nicht borniert ignoriert oder verachtet werden sollte, so dass diese Unterschiede im gemeinsamen Interesse liegende Ziele befördern könnten, anstatt sie zu konterkarieren.
Damit waren diese Frauen zugleich Teil der feministischen und der antikolonialen Befreiungsbewegungen, die in den 1960er und 1970er Jahren zur Unabhängigkeit zahlreicher afrikanischer und asiatischer Völker führten. In Kuba waren sie selbstverständlicher Bestandteil der Revolutionsbewegung von 1959.
Gefordert: statt Streit neuer Ansatzpunkt
Es gelang den verschiedenen Befreiungsbewegungen, immer andere Gruppen von Ausgegrenzten zum Widerstand zu mobilisieren. Bis heute gibt es jedoch noch keine Bewegung, die die Interessen aller Ausgebeuteten, Diskriminierten, Benachteiligten vertritt und dabei keine Gruppe und kein Individuum ausgrenzt. Wir brauchen politische und Gewerkschaftsbewegungen, die sozial – und damit nicht-sexistisch und nichtrassistisch – sowie ökologisch sind, kurzum: nationale und supranationale Bewegungen mit Frauen und Männern an der Spitze, die sich nicht nur mit allen diesen emanzipatorischen Zielstellungen identifizieren, sondern sie offensiv in ihre Arbeit integrieren.
Folgende sind die entscheidenden emanzipatorischen Anliegen, die im gemeinsamen Interesse der menschlichen Gattung, also aller Frauen, Männer und Kinder, in allen Teilen der Welt liegen: soziale wie die Abschaffung von Hunger und Armut, politische wie die Verbreitung von echter Mit- und Selbstbestimmung von Individuen und Gemeinschaften, kulturelle wie die Überwindung tradierter klassenmäßiger, religiöser und ethnischer Ausgrenzungen und ökologische, wie die Erhaltung der Biodiversität und die sparsame und effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen einschließlich der menschlichen Arbeitskraft. In der Menschheitsgeschichte gibt es zum ersten Mal die Möglichkeit, diese Aufgaben erfolgreich zu lösen. Die Wissens- und Technikentwicklung hat der Menschheit – auch ökonomisch - einen solchen Produktivitätsschub gebracht, dass Hunger und Armut, Unterdrückung und Ausbeutung, Unwissenheit und soziale Ausgrenzung überflüssig und überwindbar geworden sind. Dass all diese Missstände nach wie vor existieren, hat keinen rationalen Grund, außer dass mit und an ihnen einige wenige Menschen sehr viel Geld verdienen.
Für viele unserer Probleme gibt es längst brauchbare Lösungsansätze. Es geht vor allem darum, sie durchzusetzen. Deshalb sollten wir in der nächsten Zukunft in den Mittelpunkt unserer aller Aufmerksamkeit stellen, wie wir – ohne politische, soziale, ethnische, nationale und geschlechtliche Ausgrenzungen – bei der Durchsetzung menschengerechter Lösungen kooperieren, wie wir mit allen, in deren Interesse die jeweilige Lösung ist, gleichberechtigt zusammenarbeiten können.
Hanna Behrend ist Anglistin und Historikerin, Publizistin und Herausgeberin der Reihe „Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft“;
Madeleine Porr ist Change Agent und arbeitet als Autorin und Projektentwicklerin zu nachhaltiger Entwicklung unter Gendergesichtspunkten.