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Brasilien: Von der skurillen Attraktion zum geförderten Fußballtraining für Mädchen

Die brasilianische Fußballnationalspielerin Marta Viera da Silva. Foto: United Nations Development Programme Lizenz: CC-BY-NC-ND Quelle: Flickr

18. April 2011
Maria Goretti Gomes und Cidileide Bernado da Silva

Zum letzten Mal wurde der brasilianische Frauenfußball verboten, als 1964 die Militärs putschten und die Macht übernahmen. In jenem Jahr fügte der nationale Sportrat der langen Geschichte von Vorurteilen und Behinderungen im Frauenfußball ein weiteres Element hinzu. Zuvor hatte der Diktator Getúlio Vargas 1941 ein Dekret erlassen, wonach „den Frauen die Ausübung von Sportarten verboten ist, die nicht ihrer Natur entsprechen“. Bereits 1921 war es einem Zeitungsbericht zufolge in São Paulo zu einem Fußballspiel zwischen den „Fräulein“ aus Santa Catarina und Tremembé gekommen. Danach sollen Frauenfußballerinnen im Zirkus vorgeführt worden sein, sozusagen als skurrile Attraktion.


Frauen wurden jahrzehntelang vom Fußball ausgeschlossen


Trotz der großen kulturellen Bedeutung des Fußballs in Brasilien wurden die Frauen über Jahrzehnte vom Fußball ausgeschlossen. Die Verordnung der Militärregierung galt bis 1981, als die erste Frauenfußballliga zugelassen wurde. Doch selbst danach suchte der brasilianische Fußballverband CBF die Ausbreitung des Frauenfußballs zu behindern, wo er konnte. Unter anderem ließ er nicht zu, dass Frauenfußballwettbewerbe in offiziellen Fußballstadien abgehalten wurden. Die ersten Turniere mussten als „Festivals“ bezeichnet werden und durften nicht als sportlicher Wettkampf gelten. Umso überraschender ist, wie gut brasilianische Nationalteams von Anfang an abschnitten: 1996 wurde der Frauenfußball olympisch, und sowohl in Atlanta als auch vier Jahre später in Sydney errangen die brasilianischen Spielerinnen einen hervorragenden vierten Platz.


Frauen gelten in Brasilien als schwach und abhängig


Als die Frauen anfingen, ernsthaft um ihren Platz im Fußball zu kämpfen, war dieser in Brasilien schon sehr etabliert und professionalisiert – als Männersportart. „Fußball ist Männersache“, sagt der Volksmund. Und deshalb begegnet der Frauenfußball in Brasilien bis heute zahlreichen Schwierigkeiten. Das hat viel mit der nicht verwirklichten Gleichheit der Geschlechter zu tun. Frauen galten und gelten in Brasilien weiterhin als schwach und abhängig. Dass sie sich den Männern unterzuordnen hätten, ist gängige Meinung. Nur selten haben sie Gelegenheit, das Gegenteil zu beweisen. Immer wieder müssen sie sich medizinischer Argumente erwehren, dass etwa der Fußball die Gebärfähigkeit der Frau beeinträchtige und der weibliche Körper überhaupt für diesen Sport ungeeignet sei.


Frauenfußball hat sich von unten entwickelt

Dass sich an dieser Situation etwas geändert hat, ist das Ergebnis vieler Konflikte und Kämpfe. In vielen Sportarten sind Frauen heute gleichberechtigt, haben ihren Platz erstritten und die geschlechtsrelevanten Unterschiede werden respektiert und nicht abgewertet. Das macht aber nur umso deutlicher, wie ungleich es noch im Frauenfußball zugeht. Die historische Entwicklung ist sozusagen umgedreht: Während der Männerfußball als Elitesportart begann, hat sich der Frauenfußball von unten, aus den armen Bevölkerungsschichten entwickelt, aus denen die große Mehrheit der Spielerinnen weiterhin stammt. Traditionell arbeiten in Brasilien die Frauen nur, wenn sie arm sind. Die Frauen der Mittelklasse sind „Madame“, die weder körperliche noch Hausarbeit nötig haben. Dafür gibt es ja die Arbeiterinnen. So verbinden sich sexistische mit Klassenvorurteile, und auch mit internen Rassismen. Fußballspielerinnen gelten als grobschlächtig, als „Kerle“, „Lastwagenfahrer“, und gerne auch als „Paraíbas“, womit im Süden des Landes in abfälliger Weise Menschen aus den ärmeren Bundesstaaten des Nordostens bezeichnet werden, die – wie etwa der frühere Präsident Lula – auf der Suche nach Arbeit in die südlicheren Staaten wie São Paulo oder Rio de Janeiro migrierten. Dass der Frauenfußball pauschal als „Lesbensport“ qualifiziert wird, überrascht da nicht.

Noch immer wird im Sport bei den Frauen weniger auf ihre sportliche Leistung als auf ihr Aussehen geachtet. Die Medien reproduzieren und verstärken diesen Blick und tragen dazu bei, dass Frauen es immer noch schwer haben, einen gleichen Platz wie die Männer im Sport zu erlangen.


Das professionelle Niveau des Frauenfußballs ist niedrig

Das professionelle Niveau des Frauenfußballs ist so niedrig, dass es eigentlich gar nicht existiert. Es gibt kaum finanzielle Unterstützung, viele der Spielerinnen haben keine Arbeit und müssen dennoch ihre Ausrüstung und ihre Reisekosten selbst bestreiten. Es gibt Spielerinnen, die mit leerem Magen zum Training erscheinen. Ein gewisses organisatorisches und finanzielles Niveau, wie es Vereine wie Santos, São Paulo oder Cepe Caxias im Frauenfußball aufweisen, sind Ausnahmen.

Im Bundesstaat Rio Grande do Norte (RN) ist es nicht anders als im Landesdurchschnitt, im Gegenteil, das dortige Niveau liegt unter dem Durchschnitt, denn RN gehört zu den armen Staaten des Nordostens, wo auch das Niveau des Männerfußballs unterdurchschnittlich ist. Hier fehlt es an ordentlichen Spielflächen und Sporthallen; die wenigen brauchbaren sind dann von den Männermannschaften besetzt, die Frauen müssen auf der Wiese spielen. An Sponsoring und Professionalisierung ist da gar nicht zu denken. Weder in RN noch auf Bundesebene existiert eine starke Organisation, die die Entwicklung des Frauenfußballs in die Hand nähme. Es gibt keine staatlichen Subventionen, keine privaten Investoren, es fehlt an Material, an Fachkräften, an politischem Willen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Frauenfußball gesellschaftlich noch immer nicht anerkannt ist.


Frauenorganisation GAMI betreut Fußball-Verein für Mädchen

Unsere Organisation, die Affirmative Gruppe Unabhängiger Frauen GAMI, ist vor zwei Jahren eine Kooperation mit dem Fundo Social Elas, einem sozialen Fonds für Frauen und Mädchen, eingegangen, um angesichts dieser enormen Schwierigkeiten ein Pionierprojekt auf die Beine zu stellen: 60 Mädchen bilden einen Fußballverein der besonderen Art. Sie kommen entweder von der Straße oder aus Vierteln der RN-Hauptstadt Natal, in denen Drogenhandel und –konsum sowie Prostitution an der Tagesordnung sind.  Unterstützt von einer großen Sportartikelfirma, trainieren die Mädchen regelmäßig und unter fachlicher Anleitung, verfügen über Ausrüstung und Material. Zum Training gehören Gespräche über die soziale Wirklichkeit der Mädchen, darüber, wie man den vielen Vorurteilen begegnen kann.


Marta Vieira da Silva ist das Vorbild für die Mädchen und für alle, die sich für einen starken Frauenfußball engagieren

Die fünfmalige Weltfußballerin Marta Vieira da Silva, die auch aus dem Nordosten stammt, ist ein großes Vorbild der Mädchen. Sie verkörpert den Raum, den Frauen heute im Fußball erobern können. Wir hoffen, dass mit Blick auf die Fußballweltmeisterschaft (der Männer) 2014 in Brasilien unser nationaler Fußballverband dem Frauenfußball mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung widmet. Das Gleiche erhoffen wir uns von der Regierung, den Medien und der Wirtschaft. Es sollte alle beschämen, dass der Erfolg von Marta letztlich nur möglich war, weil sie im Ausland die Unterstützung genoss, die sie hier in Brasilien nie hätte erhalten können, und sich entsprechend weiterentwickeln konnte. Marta ist heute leider immer noch die Ausnahme von der Regel, aber sie ist auch Symbol der Hoffnung, die Hindernisse zu überwinden, die Vorurteile und den Rassismus, die in unserer Gesellschaft immer noch herrschen. Brasilien muss zu einer weltweit leuchtenden Vitrine des Frauenfußballs werden!

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Beide Autorinnen sind Ex-Amateurspielerinnen. Goretti Gomes ist Direktorin von GAMI, Cidileide Barnado da Silva leitet bei GAMI die Gruppe Mulheres de Axé.

Zur Fußball-WM der Frauen sind wir mit am Ball und erkunden die Fußballkultur der teilnehmenden Länder: Was kosten Eintritt und Stadion-Wurst? Wie viele Fans gibt es in Rio, Abuja und London? Wer hat das Zeug zur Torschützenkönigin? Gleichzeitig schauen wir auch über den Stadionrand hinaus und fragen: Wo birgt der Fußball Potenzial für gesellschaftliche Veränderungen? Wie wird Fußball für Frauen ein Emanzipationskick? Wir gehen auf Tour in die WM-Austragungsorte und laden ein in die Böll-Arena.