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Ruhe vor dem Sturm! Nach den Unruhen in Kosovska Mitrovica

18. März 2008
Von Dragoslav Dedovic

Von Dragoslav Dedovic, Büro der Heinrich-Böll-Stiftung Südosteuropa, Belgrad, Serbien

Polizeiverbände der UN-Kosovo-Verwaltung (Unmik) und Soldaten der internationalen Schutztruppe Kfor haben Anfang dieser Woche das Kreisgericht in der geteilten Stadt Kosovska Mitrovica im Norden des Kosovo gestürmt.

Seit dem 21. Februar hatten ehemalige serbische Justizbeamte und Angestellte vor dem Gerichtsgebäude protestiert und es zuletzt zwei Tage lang besetzt gehalten. Sie verlangten ihre Wiedereinstellung: 1999 hatten sie ihre Arbeitsplätze nach Ankunft der UN-Truppen verloren. Bei der Polizeiaktion der aus polnischen und ukrainischen Verbänden bestehenden UN-Polizei kam es in und vor dem Gerichtsgebäude zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. UN-Quellen sprachen von einer Explosion, drei UN-Polizisten und zwei Kfor-Soldaten seien verletzt worden. Serbische Medien widersprachen diesen Angaben: Insgesamt habe es um die 100 Verletzte gegeben, davon seien mehr als ein Viertel UN-Polizisten gewesen. Ein ukrainischer Polizist sei seinen Verletzungen erlegen, ein serbischer Demonstrant befinde sich in kritischem Zustand. Letzten Berichten zufolge befanden sich unter den Verletzten bei den Unruhen am Montag 63 internationale Polizisten der Unmik sowie 22 französische Kfor-Soldaten.*

Wechselnde Schuldzuweisungen

Während die serbische Seite die Unmik beschuldigt, auf die Demonstranten geschossen zu haben, teilte die UN-Verwaltung mit, dass die Demonstranten das Feuer auf die Polizisten eröffnet hätten. Kosovo-albanische Politiker wiesen Belgrad die Schuld zu. Von dort wiederum werden scharfe Beschuldigungen an die Adresse der UN-Verwaltung gerichtet. Der Außenminister Serbiens, Vuk Jeremic, reichte offiziell eine Protestnote beim UN-Generalsekretär Ban Ki Mun ein.

Seit der Unabhängigkeitserklärung am 17. Februar dieses Jahres nehmen die Spannungen im Norden des Kosovo zu. Die Regierung in Belgrad hatte angekündigt, die Eigenständigkeit der ehemaligen südserbischen Provinz nicht zu akzeptieren und ihre Kontrolle im serbisch dominierten Norden auszuweiten. Doch die serbische Regierung hat nur noch ein technisches Mandat: Die Koalition zwischen der eher pro-europäisch orientierten Demokratischen Partei (DS) von Staatspräsident Boris Tadic und der nationalistisch orientierten Demokratischen Partei Serbiens (DSS) von Ministerpräsident Vojislav Kostunica scheiterte in der vergangenen Woche an der Kosovo-Frage. Tadic hält trotz Anerkennung des Kosovo durch die wichtigsten EU-Mitgliedstaaten an der EU-Annäherung Serbiens fest. Kostunica hingegen sieht Serbien nur in der EU, wenn diese das Kosovo als Teil Serbiens anerkennt.


Rechtskonservative Serben befürworten Teilung des Kosovo

Spätestens seit der blutigen Auseinandersetzung am Montag ist klar, dass die Eskalation im Kosovo eine willkommene  Wahlkampfstrategie für die Nationalisten in Belgrad ist. Die Neuwahlen für das serbische Parlament am 11. Mai werden unter diesen Umständen eher die Nationalisten um Kostunica und die ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS) stärken. Offiziell fordern fast alle Belgrader Politiker das ganze Kosovo - „die Wiege des Serbentums“ - zurück. Inoffiziell ermutigen die rechtskonservativen und nationalistischen Kräfte die serbische Bevölkerungsmehrheit im Norden des Kosovo, ihre Siedlungsgebiete vom neuen Staat abzuspalten und an Serbien anzuschließen.

Präsident Tadic äußerte sich Anfang dieser Woche besorgt: „Solche scharfe Reaktion der UN-Polizei mit unangemessener Gewaltanwendung, besonders am 17. März, dem Tag, an dem das serbische Volk einen der schwersten Pogrome im Kosovo erlebte, kann in der Provinz weitere Eskalation hervorrufen“.  Tadics Anspielung bezog sich auf den 17. März 2004: Damals hatten albanische Extremisten serbische Kirchen im Kosovo angezündet,  mehrere Menschen ermordet und viele Nichtalbaner vertrieben.

„Rote Linie“ überschritten

Gleichzeitig rief der Präsident Serbiens die serbische Bevölkerung im Kosovo zur Besonnenheit auf. Der gemäßigte serbische Kosovo-Politiker Oliver Ivanovic appellierte an Belgrad, insbesondere an den Ministerpräsidenten Kostunica und seinen Kosovo-Minister Samardzic, nun endlich die Verantwortung für die Situation zu übernehmen: Es sei verantwortungslos, die Bevölkerung in die Auseinandersetzung zu treiben. Während Kostunica schwieg, eilte sein Kosovo-Minister Samardzic nach Mitrovica und verlangte die sofortige Freilassung der bei der Polizeiaktion verhafteten Serben. Unmik-Leiter Joachim Rücker hatte die Gewalt der Demonstranten scharf verurteilt und vom Überschreiten einer „roten Linie“ gesprochen.
 
Zeitgleich - am 17. März - organisierte eine nationalistische Nichtregierungsorganisation Demonstrationen in Belgrad. Ihr Name: „1389“, genannt nach dem Jahr der entscheidenden serbisch-türkischen Schlacht auf dem Amselfeld im Kosovo. Innenpolitisch wird das Kosovo für Serbien auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

* „Unruhen in Mitrovica: UN-Polizist stirbt nach Ausschreitungen im Kosovo“, Quelle: ZEIT online, Tagesspiegel | 18.03.2008 14:30