Pakistan kann einen GAU nicht bewältigen

Eine belebte Kreuzung in den frühen Morgenstunden in Karachi, Pakistan. Fotograf: HovaHe. Lizenz: Creative Commons. Original: Wikimedia Commons.

28. März 2011
Pervez Hoodbhoy
Von Pervez Hoodbhoy

Wochen nach Erdbeben und Tsunami befindet sich Japan immer noch am Rande einer großen atomaren Katastrophe. Vier Wasserstoffexplosionen haben drei Gebäude der aus sechs Reaktoren bestehenden Atomanlage in Fukushima in Schutt und Asche gelegt. Wegen radioaktiver Wolken wurde ein Notstand der Stufe fünf ausgerufen, die Bevölkerung im Umkreis von 20 Kilometern evakuiert. Trotz heldenhafter Anstrengungen gelang es bisher nicht, eine Kernschmelze und deren katastrophale Folgen abzuwenden.

Sollten alle anderen Maßnahmen versagen, ist geplant, die Reaktoren durch den Einsatz tausender Tonnen von Beton in einen dauerhaften Sarkophag zu verwandeln.

Positiv zu vermerken ist, dass das Krisenmanagement hervorragend funktionierte. Die japanische Bevölkerung reagierte vorbildlich, war besonnen und diszipliniert. Es gab nach den Explosionen keine Plünderungen, keine Panik, keine Demonstrationen gegen die Regierung. Die Menschen halfen einander, Hilfsteams konnten ungehindert arbeiten und den Helfern stand Strahlenschutzausrüstung zur Verfügung. Das Kraftwerkspersonal setzte sein Leben aufs Spiel indem es in hoch radioaktiver Umgebung arbeitete, und die Ingenieure bewiesen, dass sie mit der Dynamik eines Reaktors in einer Notfallsituation umzugehen wissen.

Negativ zu vermerken ist, dass selbst aufwändige Maßnahmen zum Erdbeben- und Tsunamischutz vollständig versagt haben. Die Energieversorgung der für Notfälle vorgesehenen Kühlaggregate wurde von einer zehn Meter hohen Wasserwand zerstört. Rückblickend muss man einräumen, dass es ein schwerer Fehler war, zusätzlich Tausende abgebrannter Brennstäbe auf dem Reaktorgelände zu lagern.

Japans Tragödie hat die Welt daran erinnert, dass es ausgesprochen gefährlich sein kann, Atomreaktoren nahe einer Stadt zu errichten, gefährlicher selbst, als dort Atomwaffen zu lagern. Zwar kann ein Atomreaktor nicht wie eine Bombe explodieren, aber nach nur einjähriger Laufzeit birgt selbst ein vergleichsweise kleiner 200 MW-Reaktor mehr radioaktives Cäsium, Strontium und Jod, als bei sämtlichen je durchgeführten Atomwaffentests freigesetzt wurde. Dieses ausgesprochen tödliche Material könnte freigesetzt werden, sollte die Reaktorschutzhülle in irgendeiner Weise reißen.

Während man sich in Japan weiter darum bemüht, die Reaktoren in Fukushima unter Kontrolle zu bekommen, wird man sich bewusst, dass man sich bei der Annahme verrechnet hat, die Atomreaktoren könnten gegen Erdbeben geschützt werden. Immerhin hat es eine gewisse Logik, sich auf dieses Risiko einzulassen – Japans energieintensive Wirtschaft bezieht etwa 30 Prozent ihrer Energie aus den 55 Atomreaktoren des Landes.

 

Atomkraftwerk nahe der Millionenmetropole Karatschi

Pakistan hat weit weniger Grund in Karatschi, der größten Stadt des Landes, ähnliche Risiken einzugehen. Das an der Küste gelegene Kernkraftwerk Karatschi (KANUPP) produziert nur wenig Energie. Der Reaktor kanadischer Bauart wird seit Dezember 1972 betrieben, hat aber, Angaben der IAEA zufolge, während 70,4 Prozent seiner Laufzeit keine Energie produziert. Selbst wenn der Reaktor wie ausgelegt (120 MW) arbeitete, würde er dennoch nur sechs bis sieben Prozent des Strombedarfs von Karatschi decken.

Dennoch bedeutet KANUPP eine Gefahr für die Einwohner Karatschis. Durch Sabotage, Terrorismus, technisches Versagen, Erdbeben oder einen Tsunami könnten große Mengen an Radioaktivität freigesetzt werden. Und wie beim Unglück von Tschernobyl, 1986, würden in einem solchen Fall die Offiziellen sicher zuallererst versuchen, die Tatsachen zu verschleiern.

Da die Hauptwindrichtung vom Reaktor nach Karatschi zeigt, müssten die Einwohner der Stadt mit großer Sicherheit evakuiert werden. Den Reichen würde das auch gelingen, dem großen Rest jedoch nicht. Im Unterschied zur geordnet und diszipliniert verlaufenen Evakuierung nach dem Fukushima-Störfall, würde es zu einem wahren Inferno kommen, wenn Millionen versuchten, zu fliehen. Plünderer würden alles, dem sie habhaft werden können, an sich reißen, die Straßen wären verstopft und die wichtigsten Versorgungsdienste würden zusammenbrechen.

Die Atomkatastrophe in Japan sollte uns eine Warnung sein. Japan ist ein fortgeschrittenes, industrialisiertes Land mit hervorragender Technik, ausgezeichneten Fachleuten. In Japan gibt es ein Sicherheitsdenken, in Pakistan nicht. Pakistanis, sei es als Autofahrer, sei es als Betreiber von Atomkraftwerken, setzen gerne einiges aufs Spiel, um schneller ans Ziel zu kommen; sie vertrauen Gott, nicht den Sicherheitsvorkehrungen.

Es wäre alles andere als überraschend, wenn sich die Betreiber unserer Atomkraftwerke über entscheidende Sicherheitsvorschriften hinwegsetzen. Über den Betrieb selbst ist wenig bekannt, da alles, was mit Atom zu tun hat, geheim gehalten wird – vorgeblich aus Gründen der nationalen Sicherheit. Dadurch werden Verstöße nie bekannt.

Beunruhigende Reaktion der pakistanischen Behörden auf Fukushima

Die achselzuckende Lässigkeit mit der die pakistanischen Behörden auf das Unglück in Japan reagiert haben, ist besonders beunruhigend. Während dort Anlagen in die Luft flogen, bestritten unsere „Experten“, dass sich dergleichen in Pakistan je ereignen könne. Diese haarsträubende Behauptung konnten sie selbstverständlich ungeschoren aufstellen, da in Pakistan Offizielle und andere hochrangige Personen noch nie für falsche Aussagen gerade stehen mussten. Sollte es zu einem Atomunfall kommen, würden die Kommission für Atomkraft (PAEC) und die Aufsichtsbehörde PNRA zusammen mit all unseren „großen Wissenschaftlern“, die unaufhörlich süß klingende Beschwichtigungen von sich geben, wie ein Haufen Hühner umherrennen, denen man eben den Kopf abgeschlagen hat. Was in einer Situation tun, in der das Leben von Millionen auf dem Spiel steht? Sie hätten keinen Schimmer, wären dafür aber die Ersten, die Hals über Kopf das Weite suchten.

Es ist an der Zeit, Pakistans Atomenergieprogramm herunterzufahren. Durch Atomenergie wird nur ein sehr kleiner Teil von Pakistans Energiebedarf gedeckt, die Technologie wird stets eine Gefahr sein. Nachdem im Laufe eines halben Jahrhunderts Milliarden von Dollar in die PAEC und eine entsprechende Infrastruktur investiert wurden, werden heute dennoch nur zwei Prozent von Pakistans Energiebedarf durch Atomkraft gedeckt. Der Anteil von Atomstrom an der tatsächlich produzierten Energie ist sogar noch geringer. Auch in Indien sieht es nicht gut aus, dort kommen nur sechs Prozent des Stroms aus Atomkraftwerken.

Offensichtlich ist Atomstrom weder billig, noch einfach zu erzeugen. Allgemein wird angenommen, Pakistans Atomkraftwerke seien für die Herstellung von Atomwaffen wichtig, aber das ist falsch. Das hierfür erforderliche spaltbare Material wird anderswo erzeugt. Es gibt demnach eine Reihe von Gründen, warum der Ausbau der Atomkraft auf Eis gelegt werden muss. Bis einmal, in einigen Jahrzehnten, die Technik der Kernfusion zur Verfügung steht, muss Pakistan, wie andere Länder auch, seinen Energiebedarf durch einen Mix aus Öl, Gas, Wasserkraft, Kohle, Solaranlagen, Windkraft und weiteren erneuerbaren Energien decken.

 

--------------------------
Pervez Hoodbhoy ist Atomphysiker. Seinen Doktor hat er am Massachusetts Institute of Technology gemacht. Englische Erstveröffentlichung in The Express Tribune, 22. März 2011. Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Herrmann.

Dossier

Mythos Atomkraft

 Nach dem Atomunfall in Japan ist die Atomdebatte wieder aufgeflammt. Das Dossier liefert atomkritisches Know-How zu den großen Streitfragen um die Atomenergie.

Dossier

Tschernobyl 25 – expeditionen

Am 26. April 1986 explodierte der Atomreaktor in Tschernobyl. Nicht nur Teile der Ukraine, Weißrusslands und Russlands wurden verstrahlt. Die radioaktive Wolke überzog halb Europa. Die Katastrophe war aber nicht nur eine ökologische. Die Entwicklung der Kultur einer ganzen Region wurde unwiderruflich gestoppt. Die Ausstellung „Straße der Enthusiasten“, Lesungen, Diskussionen und ein internationales Symposium erinnern an den GAU und fragen, ob eine weltweite Renaissance der Atomkraft tatsächlich Realität wird.