Schleswig-Holstein als Nukleus der energiepolitischen Diskussion

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Trotz des massiven Widerstands vor Ort und eindeutiger mehrfacher und einstimmiger Willensbekundungen der politischen Ebenen besteht E.ON in Schleswig-Holstein darauf, Freileitungen statt Erdkabel zu errichten. Foto: to.wi Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz,

9. Februar 2011
Von Robert Habeck

Schleswig-Holstein ist, ohne zu pathetisch klingen zu wollen, das Bundesland, in dem wie unter einem Brennglas die Entscheidung über die zukünftige Energiestruktur der Bundesrepublik fallen wird. Hier gibt es drei AKWs - von denen zwei extrem störanfällig sind -, hier sollen vier neue Kohlekraftwerke gebaut werden, hier sind große Off-Shore-Parks in Planung und es gibt die theoretische Möglichkeit für eine unterirdische CO2-Speicherung. In Schleswig-Holstein entscheidet sich, ob Deutschland energisch in Richtung Erneuerbarer Energie aufbricht oder alles gleichzeitig will und damit in Wahrheit nichts.

Das Statistische Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein hat jüngst eine neue Energiebilanz vorgelegt. Danach hat die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien in Schleswig-Holstein bereits im Jahre 2008 rechnerisch bei über 50 Prozent des Stromverbrauchs im Lande gelegen. Die maßgeblichen Größen waren die Windstromerzeugung mit ca. 5,3 Millionen Kilowattstunden und die Verstromung von Biogas mit 0,7 Millionen Kilowattstunden.


Potenziale Biogas

In Schleswig-Holstein gab es 2009 nach Angaben der Landwirtschaftkammer 324
Biogas-Anlagen, bis Ende des Jahres werden es über 400 sein. Weitere Anlagen sind geplant. In 1 ½ bis 2 Jahren wird die Zahl von 600 erreicht sein.

In Schleswig-Holstein wurden dieses Jahr auf rund 184.000 ha Mais angebaut. Etwa die Hälfte davon ist Energiemais. Bei rund 660.000 ha Ackerfläche insgesamt in SH entspricht das einem Anteil rund 30% Biogas-Mais an der gesamten Ackerfläche. Wächst die Zahl wie prognostiziert auf 600 Anlagen, wird 50% der Landesfläche mit Mais bestellt sein. Dass diese Entwicklung höchst problematisch ist, liegt auf der Hand.

Für die Zukunft sollte deshalb eher auf die  Erzeugung von Biogas aus Abfällen und Tierdung gesetzt werden, sowie die Aufbereitung zu Bioerdgas und die Einspeisung in die bundesweiten Gasnetzstrukturen. So kann Biogas das Erdgas schrittweise bis zu 10% verdrängen, komplett ersetzen kann es das Erdgas nicht.

Verwendet wird das Gas dann in Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK-Anlagen), dort wo es die notwendigen Wärmesenken für die Nutzung der Abwärme gibt, also in den Städten.

Am so genannten NaWaRo-Bonus für die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen muss ebenfalls dringend etwas geändert werden. So wie das Gesetz jetzt aufgebaut ist, entwickelt sich nur der Maisanbau. Bei der im nächsten Jahr anstehenden EEG-Novelle sollten Mindeststandards bezüglich der Vielfalt von Fruchtfolgen und weitere Standards zur Eingrenzung möglicher negativer Umweltwirkung eingeführt werden.



Windpotenziale

Nach ersten Schätzungen ist die Windstromproduktion bereits in 2010 auf über sechs Millionen Kilowattstunden angewachsen. 2010 ist wahrscheinlich die 60-Prozent-Marke überwunden worden. Das Ziel, 2020 zu 100% erneuerbare Energie zu produzieren, wird also leicht erreicht werden. Denn 2010 beschloss der Landtag, die Windeignungsflächen im Landesentwicklungsplan zu verdoppeln auf dann 1,5% der Landesfläche, dazu Repowering, Überprüfung der Abstandregelungen und Arrondierungen. Damit kann die installierte Leistung auf 9.000 Megawatt Windkapazität anwachsen, was einer Stromerzeugung von etwa 20 Terrawattstunden entspricht. Ab 2013 soll dann auch der Windstrom aus den Offshore-Windparks hinzukommen.

Und genau da beginnen die Probleme. Denn zusätzlich zu dem Strom der Erneuerbaren gibt es noch immer Pläne für vier 800 MW Kohlekraftwerke in Brunsbüttel. Außerdem sollen die drei AKWs Krümmel, Brunsbrüttel und Brokdorf länger laufen bzw. wieder ans Netz.


Problem Netze

Es ist seit vielen Jahren bekannt, dass die Stromnetze in Schleswig-Holstein wegen der erneuerbaren Energien ausgebaut werden müssen. Aufgrund erwarteter rund 4 Gigawatt (= 4000 MW) hat E.ON Netz im Jahr 2002 den Neubau von drei 110 KV-Leitungsabschnitten für erforderlich gehalten, die zwischen 34 und 55 km lang sein sollten. Bis heute ist davon nichts realisiert. Das liegt insbesondere daran, weil der Netzbetreiber trotz des massiven Widerstands vor Ort und eindeutiger mehrfacher und einstimmiger Willensbekundungen der politischen Ebenen darauf besteht, Freileitungen statt Erdkabel zu errichten. Obwohl durch das IPlanBG (Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz 2007) und das EnLAG (Energieleitungsausbaugesetz 2008) Mehrkosten durch eine Erdkabellösung als umlegbar erklärt wurden, weigert sich der Netzbetreiber weiter.

Zu den genannten Ausbaupotentialen On-Shore kommt noch die Offshore-Windenergie mit einer Leistung von 3-4 GW in der Schleswig-Holsteinischen-Nordsee. Dies erfordert einen weiteren Ausbau der Stromnetze, nicht nur auf der 110 KV-Hochspannungsebene, sondern auch auf der 380 KV-Höchstspannungsebene (sog. Transportnetz). Es wird davon ausgegangen, dass es mindestens zwei neue 380 KV-Leitungen braucht - eine an der Westküste und eine an der Ostküste des Landes. Wichtig ist auch, dass es darauf ankommt, den Strom nicht nur "einzusammeln", sondern ihn vor allem auch über die Elbe in die Verbrauchsschwerpunkte weiterleiten zu können.

Es ist kaum darstellbar, wie ein Erzeugungsportfolio aus 2 GW Atomleistung, bis zu 4 GW Kohleleistung, 3 GW (und perspektivisch sogar noch mehr) Offshoreleistung und die prognostizierte Onshoreleistung zeitgleich nach Süden transportiert werden soll. Auch der dafür wahrscheinlich nötige gigantische Netzausbau wäre volkswirtschaftlich unsinnig und wird nicht auf Akzeptanz an den Trassen stoßen.

Insoweit ist auch ein Vorteil des Atomausstiegs, dass mit der Stilllegung frei werdende Leitungskapazitäten grundsätzlich durch den Aufwuchs der Windenergie genutzt werden könnten, ohne unnötigen Netz-Neubau zu erfordern.

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Robert Habeck, 41, ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag und war zuvor von 2004-2009 Landesvorsitzender der Partei. Habeck ist Schriftsteller und lebt mit seiner Frau und vier Söhnen in Flensburg, nahe der dänischen Grenze.

Dieser Text ist ein Beitrag zu einem zweijährigen Dialog Programm der HBS Büros Brüssel, Prag und Washington: The Climate Network-Transatlantic Solutions for a Low Carbon Economy erarbeitet Strategien für den Ausbau Erneuerbarer Energien und nachhaltiges Wachstum in energieintensiven Schlüsselregionen in Europa und den USA. Mehr Informationen unter www.TheClimateNetwork.org