Mit dem Nano in die Klimakatastrophe?

Das billigste Auto, der Nano. Das Foto steht unter einer CC-Lizenz.

15. Juni 2009
Von Sven Hansen
Indiens Klimapolitik zwischen der Priorität nachholender Entwicklung, der Forderung nach globaler Gerechtigkeit und den Auswirkungen schmelzender Himalaja-Gletscher

Von Sven Hansen

"Ein Albtraum" sei für ihn die Vorstellung einer Massenmotorisierung durch das neue Billigauto Nano des indischen Tata-Konzerns, sagt Indiens führender Klimawissenschaftler und Friedensnobelpreisträger Rajendra Pachauri. Der Billigkleinwagen Nano "ist nicht die Transport-Option für ein Land mit einer Milliarde Menschen, von denen sich viele nicht einmal eine Fahrkarte für einen Bus leisten können", sagt Pachauri. Der 68-Jährige steht dem Weltklimarat IPCC vor und führt die renommierte indische Umweltorganisation TERI in Neu-Delhi.

Während Pachauri und andere indische Umwelt- und Klimaschützer eine Stärkung öffentlicher Transportsysteme fordern, loben der Tata-Konzern wie auch Shyam Saran, der Klimasondergesandte und -unterhändler des indischen Premierministers, die geringen Abgaswerte des Nano. Auch Kalyan Prasad Nyati, der Klimaexperte des indischen Industrieverbands CII, verteidigt den Kleinwagen. "Der Nano ist kein Rückschritt," sagt Nyati. "Es ist doch merkwürdig: Fahren wir Inder Motorrad, ist das kein Thema. Aber beim Nano regen sich viele auf. Geländewagen (SUVs) in den Industrieländern stellt hingegen niemand in Frage." Nyati sieht im Nano eine Chance für Indien, während er die Notwendigkeit für SUVs in Industrieländern bezweifelt: "Für Mobilität brauche ich doch keine Spritschlucker."

Wegen massiver Produktionsverzögerungen aufgrund eines Landkonfliktes hat Tata den Nano zunächst nur vom 9. bis 25. April angeboten. 1,4 Millionen Menschen sahen sich nach Konzernangaben das Fahrzeug bei den Händlern an. Die 100.000 Fahrzeuge, die Tata bis Ende 2010 zunächst nur wird produzieren können, werden unter den ersten 203.000 Bewerbern verlost. Zwar hätten die Kunden dem Nano laut Tata "einen herzlichen Empfang" bereitet. Doch die befürchtete neue Massenmotorisierung wird es wohl erst dann geben können, wenn der Konzern seine Produktionsprobleme überwunden hat, zusätzliche Exportmärkte erobert und sein Konzept eines Billig-Kleinwagens Nachahmer findet.

Sollen Entwicklungsländer zugunsten des Klimas Verzicht üben?

Beim Autokauf in Indien und anderswo geht es längst nicht mehr nur um individuelle und nationale Entscheidungen, sondern um ein grundsätzliches Dilemma der globalen Klimapolitik. Das wird immer dann deutlich, wenn Entwicklungs- und Schwellenländer den nicht nachhaltigen und deshalb nicht beliebig globalisierbaren Entwicklungs- und Konsummustern der Industriestaaten folgen. In den globalen Klimaverhandlungen spitzt sich dies auf den Konflikt zu, ob Entwicklungsländer zugunsten des Klimaschutzes Verzicht üben sollen. Oder sollten nicht vielmehr die Industrieländer aus Gründen des Verursacherprinzips wie der globalen Gerechtigkeit mit gutem Beispiel vorangehen? Anders ausgedrückt: Führt der Nano aus Indien, wo bisher gerade einmal 9 von 1.000 Bürgern Auto fahren, in die drohende Klimakatastrophe? Oder sind es nicht eher die Ford, Chrysler und GM aus den USA, die Toyota, Mitsubishi und Honda aus Japan oder die VW, Daimler und BMW aus Deutschland? In diesen Industrieländern fahren zwischen 500 und 800 von 1.000 Bürgern Auto – und das seit Jahrzehnten.

"Wir können nicht sagen, dass unsere Automobilindustrie sich nicht entwickeln darf", sagte Indiens Klimaunterhändler Saran denn auch am Rande der Vorverhandlungen für ein neues Klimaabkommen Anfang April in Bonn. "Wir können den Menschen nicht sagen, ihr dürft wegen des Klimawandels kein Auto oder keinen Fernsehen kaufen oder ihr dürft keinen Zugang zu elektrischem Strom haben."

Saran, der 2008 für Indiens Regierung schon den Nukleardeal mit den USA aushandelte, sieht zuerst die Industrieländer gefordert. Die trügen eine historische Verantwortung und müssten den Ausstoß ihrer Treibhausgase drastisch und verbindlich reduzieren und zugleich den Entwicklungsländern klare Finanzzusagen machen, um ihnen sowohl die Umstellung auf klimafreundliche Technologien wie die Anpassung an den Klimawandel und die Abmilderung von dessen Folgen zu ermöglichen. Ohne solch klare Zusagen könnten sich die Entwicklungsländer nicht auf verbindliche Reduktionsziele festlegen.

"Aktionen gegen den Klimawandel müssen die Aussichten auf Entwicklung fördern und nicht verringern. Sie dürfen die Teilung der Welt in einen wohlhabenden Norden und einen verarmten Süden nicht verschärfen und mit einem grünen Etikett versehen", heißt es in einem von Saran verantworteten Positionspapier der indischen Regierung von Ende Februar. 

Niedrige Pro-Kopf-Emissionen

Indien ist heute nach China und den USA bereits der drittgrößte Emittent der Welt von Treibhausgasen. Während die beiden Erstplatzierten rund 18 Prozent der globalen Emissionen verursachen, sind es bei Indien 4,5 Prozent. Wegen dieses großen Unterschieds möchte Indien in der Klimadebatte auch nicht mit China in einem Atemzug genannt werden. "Wir glauben nicht, dass wir zu den großen Emittenten zählen", sagt Unterhändler Saran. Es sei irreführend und unfair, Indien mit den großen Sündern in einen Topf zu werfen. "Selbst wenn Indien von der Erde verschwinden würde, die Industrieländer aber so weiter machen wie bisher, werden die arktischen Gletscher weiter schmelzen", sagt Kirit Parikh von der Nationalen Planungskommission der Regierung in Neu-Delhi.

Indien liegt beim Pro-Kopf-Ausstoß mit 1,8 Tonnen Kohlendioxid weit unter den 20 Tonnen in den USA und über 10 Tonnen in den meisten OECD Staaten oder den 7,5 im globalen Durchschnitt. Diese günstigen Pro-Kopf-Zahlen, die Indien seiner armen Landbevölkerung und den noch 416 Millionen Indern ohne Zugang zu Elektrizität verdankt, haben die Regierung in Neu-Delhi zu ihrem bisher einzigen konkreten Klimaversprechen verleitet. Premierminister Manmohan Singh versprach am 30. Juni 2008 bei der um mehrere Monate verspäteten Vorstellung des Nationalen Klimaaktionsplans, der keine konkreten Reduktionsziele nennt, dass Indiens Pro-Kopf-Emissionen nie diejenigen der Industrieländer übersteigen werden. IPCC-Chef Pachauri nennt dies eine Herausforderung an die Industrieländer: "Wenn ihr wollt, dass wir mehr machen, müsst ihr selbst noch viel mehr machen."

Gleiche Pro-Kopf-Emissionen für alle?

Wegen der günstigen Pro-Kopf-Emissionen und wegen des Entwicklungsrückstands zu den Industrieländern besteht Indien auf einem System, dass allen Menschen das gleiche Recht auf die atmosphärischen Ressourcen der Erde einräumt. Dieses im Grundsatz auch von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel unterstützte Prinzip müsse dazu führen, dass sich die Pro-Kopf-Emissionen weltweit angleichen: "Jedes globale Regime des Klimawandels, das die großen Unterschiede bei den Pro-Kopf-Emissionen nur festschreibt, ist aus Gründen der Gerechtigkeit nicht zu akzeptieren", heißt es im Positionspapier der indischen Regierung. "Das Recht auf die gleichen globalen atmosphärischen Ressourcen für alle ist unser Wettbewerbsvorteil", sagt Parikh von der Planungskommission.

Dabei sind sich Indiens Klimaschützer durchaus bewusst, dass es auch innerhalb des Landes große Unterschiede gibt. Auch hier müsse ein Ausgleich stattfinden, zumal vor allem die Armen die Hauptlast des Klimawandels zu tragen haben. So warnt eine bereits im Oktober 2007 von Greenpeace India veröffentlichte Studie, dass der CO2-Verbrauch der 150 Millionen Inder mit einem Durchschnittseinkommen von monatlich über 8.000 Rupien (125 Euro) im Monat bereits über dem als nachhaltig angesehenen Niveau liege. Laut der Studie gehen Indiens Klimabelastungen vor allem von den Angehörigen der Mittel- und Oberschicht aus, die jährlich pro Kopf 5 bis 6 Tonnen emittieren, während die unteren Einkommensschichten pro Kopf weniger als 0,5 Tonnen ausstoßen.

Forderung nach Ausgleich zuerst für die Armen

Für Sunita Narain, Chefin der angesehenen Umweltorganisation Center for Science and Environment (CSE) in Neu-Delhi, müsse erst auf globaler Ebene ein gerechtes System eingeführt werden, bevor dies auch auf nationaler Ebene geschehen könne. "Wenn es einen Ausgleich gibt, muss der zuerst den Armen zur Verfügung gestellt werden," sagt Narain. Sie verweist zugleich auf die großen Unterschiede zwischen den Mittelschichten in Indien und Europa und verwahrt sich auch deshalb gegen eine Bevormundung aus den Industrieländern.

Unter Indiens Klima- und Umweltschützern ist umstritten, ob die Regierung in ihrem Aktionsplan überhaupt konkrete Reduktionsziele hätte nennen sollen. Narain, die wie IPCC-Chef Pachauri und der Nano-Produzent Ratan Tata Mitglied im 2007 eingerichteten Klimarat des Premierministers ist und somit an der Erstellung des Plans beteiligt war, hält dies für kontraproduktiv, solange die Industrieländer nicht selbst viel stärker das Klima schützen. "Sobald Indien nationale Reduktionsziele festlegt, werden diese Gegenstand internationaler Verhandlungen und würden von den Industrieländern benutzt, um von eigenen Versäumnissen abzulenken", sagt Narain. Das von Saran verantwortete Positionspapier drückt es so aus: "Die Nennung irgendeines (Reduktions-) Ziels muss gleichzeitig erfolgen mit der Etablierung einer Basis für eine gleiche Lastenteilung."

Der 50-seitige Aktionsplan betont Indiens Recht auf Entwicklung und räumt der Reduzierung der Armut Priorität ein. Armutsbekämpfung wird sowohl als Rezept gegen Klimawandel wie zur Reduzierung von dessen Auswirkungen dargestellt. Im Unterschied zu den Industrieländern trage Indien keine historische Schuld am Problem der Erderwärmung. Doch betont der Bericht auch die Notwendigkeit einer Wende hin zu ökologischer Nachhaltigkeit. Er benennt acht Bereiche: Solarenergie, Energieeffizienz, nachhaltiger Lebensraum, Wasser, den Schutz des Ökosystems Himalaja, eine grünes Indien, nachhaltige Landwirtschaft und strategisches Wissen über den Klimawandel.

Ausbau der Solarenergie

Der Bericht betont insbesondere die Notwendigkeit des stärkeren Ausbaus der Solarenergie (Indien zählt 250 bis 300 Sonnentage im Jahr) und anderer Formen erneuerbarer und nicht-fossiler Energien. Schon heute hat Indien weltweit die viertgrößte installierte Kapazität für Windenergie und die zweitgrößte für Biogas. Zu den auszubauenden Energien wird in Neu-Delhi auch ausdrücklich die Atomenergie gezählt. Indien hat die größten Thorium-Reserven der Welt und erhofft sich eines Tages davon energiepolitische Vorteile. Des Weiteren bekennt sich der Bericht zur Stärkung des öffentlichen Verkehrs statt des Individualverkehrs und zu klimaverträglichen Baustandards.

Dass Indiens Regierung überhaupt den Klimarat einrichtete, einen Aktionsplan vorlegte und sich darin zur eigenen Verantwortung bekannte und Maßnahmen versprach, gilt als großer Fortschritt und politische Kehrtwende. "Bis noch vor wenigen Jahren hat Indiens Regierung ähnlich argumentiert wie der damalige US-Präsident George W. Bush und das Problem geleugnet," sagt Srinawas Krishnaswamy, früher Klima-Kampagnenleiter von Greenpeace India und jetzt Leiter der Politikabteilung der Organisation. Der Plan sei „weniger ein Aktions- als ein Visionsplan.“ Aber es sei das erste Mal, dass die Regierung ankündigt, selbst etwas gegen den Klimawandel unternehmen zu wollen und dass sie ihn überhaupt als ernstes Problem anerkennt.

Die im Klimarat des Premiers vertretene Narain sagt: "Erstmals haben traditionelle Ministerien ernsthaft über den Klimawandel gesprochen, und sich dazu verhalten müssen." Doch laut Krishnaswamy verweise die Regierung in der Debatte immer noch viel zu schnell auf die Industrieländer, wenn sie selbst gefordert sei. Sie könne einfach nicht zwischen der Politik im Inneren und nach außen unterscheiden. Auch würde sie nicht richtig verstehen, dass die Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen vor allem mehr Energieeffizienz bedeute.

Stark vom Klimawandel betroffen

Die "Climate Challenge India"-Koalition, ein Bündnis mehrerer indischer Nichtregierungsorganisationen, ist vom Aktionsplan enttäuscht. "Angesichts fehlender konkreter Ziele, Zeitpläne und Implementierungsstrategien für jedes seiner acht Aufgabenfelder ist der Aktionsplan eine lange Liste wohlklingender Verpflichtungen und vager Initiativen," heißt es in einer Erklärung der Koalition. "Es ist wichtig, dass es Ziele und Zeitpläne gibt, um dem Land eine klare Richtung zu weisen." Indiens Chance, eine Führungsrolle zu übernehmen, sei mit dem Plan ebenso verpasst worden wie eine nach vorn weisende Themensetzung. "Indien mit seiner langen Küste und großen Bevölkerung ist eines der am meisten vom Klimawandel gefährdeten Länder. Doch der Regierungsplan liest sich, als gebe es kein ernstes Problem mit der globalen atmosphärischen Destabilisierung und als berge der Klimawandel nur einige lokale Schwierigkeiten, die mit einigen Anpassungsmaßnahmen handhabbar seien", so Climate Challenge India.

In der Tat ist Südasien und das darin zentrale Indien eine der Weltregionen, bei denen die Auswirkungen des Klimawandels nach den Vorhersagen des IPCC am stärksten zu spüren sein werden. Zu befürchten sind neben der Zunahme extremen Wetters das Abschmelzen der Himalaja-Gletscher, welche die Flusssysteme des Brahmaputra, Ganges und Indus mit Wasser speisen, wachsende Unregelmäßigkeiten bei den Monsun-Zyklen und damit größere Ernteausfälle in der Landwirtschaft sowie zunehmende Überschwemmungen an den Küsten aufgrund des steigenden Wasserspiegels. Eine Studie von Greenpeace India prophezeit für die Region selbst bei einem globalen Temperaturanstieg von nur zwei Grad mehrere zehn Millionen Klimaflüchtlinge sowie Billionen an Infrastrukturverlusten in den Küstenstädten. Ein Vorgeschmack könnten 2005 die Überschwemmungen in der indischen Wirtschaftsmetropole Mumbai (Bombay) mit 900 Toten gewesen sein.

Sorge vor Klimaflüchtlingen

Mit der steigenden Zahl der Klimaflüchtlinge wachsen auch die Sicherheitsrisiken, sagt der frühere Luftwaffenmarschall A.K. Singh, ein Spezialist für klimabedingte Sicherheitsfragen. Drohende Überflutungen der Küsten seien nicht nur für Indien mit seiner 7.500 Kilometer langen Küste, von denen 5.700 Kilometer Zyklon-gefährdet sind, ein großes Problem, sondern dürften auch zu Flüchtlingsströmen aus den Nachbarländern Bangladesch und den Malediven nach Indien führen. Singh beziffert die in Indien in den letzten 30 Jahren durch den Klimawandel verursachten Schäden auf 32 Milliarden US-Dollar. Er befürchtet künftig klimabedingte Hungeraufstände und prophezeit den Einsatz des Militärs zur Eindämmung von Flüchtlingsströmen aus dem Ausland. Und: "Der Klimawandel wird die Konkurrenz um natürliche Ressourcen anheizen", sagt er und verweist beispielhaft auf einen innerindischen Konflikt. So habe es beim langjährigen Streit zwischen den südlichen Bundesstaaten Karnataka und Tamil Nadu um das Wasser des Kavheri-(Cauvery-)Flusses schon Tote gegeben.

Indiens Industrie hat den Klimawandel dagegen bisher vor allem als Mittel gesehen, um mittels Emissionshandel im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM) Geld zu verdienen. Bis Juni 2008 waren in Indien nach Regierungsangaben 969 CDM-Projekte registriert, davon 340 beim multilateralen Exekutivrat. Von den dort damals weltweit insgesamt 1081 registrierten Projekten stammten 32 Prozent, und damit die meisten, aus Indien. Bei den bisherigen Reduktionsgutschriften (CER) liegt Indien jedoch mit einem Anteil von 28,16 hinter China mit 29,25 Prozent. Ein Grund hierfür ist die meist kleinere Größe der indischen Projekte und dass es sich oft um unilaterale, also allein von indischen Firmen angebotene Projekte handelt.

Starke Beteiligung am Emissionshandel

"Viele indische Firmen halten CER, aber können sie nicht verkaufen," sagt Nyati vom Industrieverband CII. Denn viele CDM-Projekte würden aus Klimasicht Sinn machen, aber nicht unbedingt lukrativ sein. Die Umweltaktivistin Narain ist dagegen vom Clean Development Mechanism enttäuscht. Er habe kaum zum erhofften Technologietransfer geführt und nicht zur wirksamen Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen. Stattdessen habe sich CDM zu einer Methode der Industrieländer entwickelt, sich von eigenen Reduktionsverpflichtungen freizukaufen. "Europas Politik besteht zu 80 Prozent darin, dass es Emissionsrechte von China oder Indien kauft," kritisiert sie. Damit müsse Schluss sein und Europa jetzt ernsthaft bei sich reduzieren. Nyati, der erwartungsgemäß den Emissionshandel verteidigt, findet Narains grundsätzliche Kritik insofern falsch, weil dies schon vor der Einführung des CDM absehbar war. Wichtig sei vor allem, dass überhaupt reduziert werde, wo dies geschehe, sei zweitrangig.

Von einem möglichen Regierungswechsel nach den Parlamentswahlen im April und Mai erwarten die befragten Umweltexperten kaum Änderungen der indischen Klimapolitik. Unterschiede der Parteien in der Klimapolitik sieht nur Nyati. Der Industrievertreter macht bei Kongress-Politikern ein großes Interesse am Thema aus, bei der bisherigen führenden Oppositionspartei, der hindunationalistischen BJP hingegen nicht. Krishnaswamy von Greenpeace sagt, in beiden Lagern gebe es an dem Thema interessierte Politiker. Narain erwartet von den linken Parteien ein noch geringeres Nachgegeben gegenüber dem Druck der Industrieländer als von der jetzigen Kongress-Führung. Ansonsten komme den linken Parteien ihrer Meinung nach das Verdienst zu, Indien weniger für den Klimawandel anfällig gemacht zu haben, in dem sie während ihrer Zeit der Regierungsstützung Maßnahmen zur Stärkung ländlicher Gemeinschaften durchsetzten wie etwa das ländliche Arbeitsbeschaffungsprogramm.

Grundkonstanten der Energiepolitik

Die Klima- oder Umweltpolitik als solche ist bei den Wahlen kein Thema, sehr wohl jedoch, wenn sie als lokale Frage oder im Zusammenhang mit dem Lebensunterhalt verbunden ist und dann gar als Überlebensfrage gesehen wird, meint Narain. "Wasser etwa ist eines der wichtigsten Themen für jeden Kandidaten", sagt sie. "Auch Energie ist ein Hauptthema, aber vor allem der Bedarf daran, denn in weiten Teilen Indiens herrscht immer noch Energiemangel." Deshalb erwarte sie auch kaum Kursänderungen. Indiens Energiepolitik werde weiter hauptsächlich darin bestehen, sicherzustellen, mehr Energie auf ökonomisch sinnvollerer und stärker ökologischer Grundlage zu produzieren und zugleich effizienter zu nutzen. Daran werde keine Partei etwas ändern. Unterschiede sehe sie nur darin, wie sie mit betroffenen Anwohnern umgehen. Die Kongress-Partei hält sie empfänglicher für öffentlichen den Druck als die stärker ideologisch orientierten Parteien wie die BJP oder die Kommunisten.

Mit der Kontinuität der Energiepolitik wird auch Kohle weiterhin der Hauptenergieträger bleiben. "Wer auch immer an der Macht ist, Kohle bleibt die erste Option," sagt Krishnawamy von Greenpeace. Nobelpreisträger Pachauri sagt: "Die Industrieländer haben sehr lange Kohle benutzt. Wir sagen ja nicht, dass wir sie genauso lange benutzen wollen. Aber wenigstens für die Zeit, in der wir die Armut beseitigen können. Wenn das nicht möglich ist, wie sollen wir uns denn jemals erneuerbare Energien leisten können, deren Kosten zurzeit noch so hoch sind?"

"Der Norden muss reduzieren, damit der Süden wachsen kann"

In Indien herrscht große Einigkeit, dass der Wandel von den Industrieländern ausgehen muss. Die müssen mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Emissionen deutlich senken. Doch noch spielten die Industrieländer auf Zeit. "Der Norden akzeptiert das Grundprinzip nicht, dass er seinen Ausstoß reduzieren muss, damit der Süden wachsen kann", sagt Narain. Mache der Norden vor, wie er auf hohem Entwicklungsniveau Emissionen deutlichen senken kann, werde Indien dann mehrere Entwicklungsstufen überspringen können.

Pachauri, der den Nano als Albtraum bezeichnet hat, sieht die Industrieländer ganz grundsätzlich gefordert: "Der Nano ist ein Beispiel dafür, dass die Werbeindustrie überall auf der Welt den Menschen einredet, sie bräuchten ein Auto für die ganze Familie und dass dies Glück schlechthin bedeutet", sagt der Nobelpreisträger. "Unsere Träume werden von dem genährt, was wir in den Industrieländern sehen. Das ist ein weiterer Grund, warum der Wandel in den Industrieländern beginnen muss. Denn wenn ihr nicht umsteuert, werden wir weiter eurem Weg folgen. Denn der gilt als Fortschritt, auch wenn er Fortschritt auf Kosten der Umwelt ist."


Sven Hansen ist Asien-Redakteur der tageszeitung (taz) in Berlin