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Neue Institutionen braucht die Welt

11. September 2009
Von Barbara Unmüßig
Von Barbara Unmüßig

Die Weltwirtschaftskrise hat Handlungsdruck erzeugt und eine lang diskutierte Reform globaler Entscheidungsstrukturen in kürzester Zeit auf den Weg gebracht. Die G20 – ein neues Forum aus Schwellen- und Industrieländern, hat den exklusiven Club der G8 abgelöst. Alle sind sich einig: Die G20 sind besser als die G8. Endlich wird die gewachsene Wirtschaftsmacht von Ländern wie Brasilien, China, Indien und Südafrika zumindest in diesem neuen informellen Gremium abgebildet. Auch zeigen die reichen Länder eine gewisse Bereitschaft zu kooperativem Handeln. Mit Blick auf die ersten G20-Beschlüsse fürchten jedoch viele eine schnelle Rückkehr zu business as usual ohne tiefgreifende Reformen für den globalen Finanzmarkt – geschweige denn für Umwelt- oder Entwicklungsanliegen wie Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel.

Ohnehin kann die G20-Staatenwelt nur eine Etappe für eine umfassendere Reform der globalen Entscheidungsstrukturen und internationalen Institutionen sein. Die Vielfachkrisen der Welt verweisen darauf, dass die politischen Institutionen des 20. Jahrhunderts die Probleme mit befördert haben. Zur Krisendeutung gehört also auch, ihre politisch-institutionelle Dimension ins Visier zu nehmen und Reformen zugunsten globaler Handlungsfähigkeit einzuleiten.

Bislang werden die Wirtschafts-, Klima-, Ernährungs- und Armutskrise in der praktischen Krisenpolitik auseinandergerissen und auch institutionell getrennt bearbeitet. Indes müsste es das Gebot der Stunde sein, die Krisen zusammenzudenken. Dies gilt insbesondere für einen effektiven Klimaschutz. Aus den Klimaverhandlungen in Kopenhagen sollten starke und neue Institutionen hervorgehen, die nicht nur die Überlastung der Atmosphäre verhindern, sondern ein ganzheitliches Krisenmanagement betreiben. Ist das derzeit eine realistische Option?

Neue Unübersichtlichkeit

Gegenwärtig beobachten wir bei der Umsetzung globaler klimapolitischer Maßnahmen mehr nationale und institutionelle Eigeninteressen als Kooperation, ein Nebeneinander anstelle eines Miteinanders. Die internationale Gemeinschaft hat bislang noch nicht die nötigen Finanzmittel für den Klimaschutz bereitgestellt; für die Zeit zwischen 2008 bis 2012 werden jährlich gerade einmal knapp 24 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, was keinesfalls ausreicht. Gleichzeitig ist die Zahl der bi- und multilateralen Umwelt- und Klimafonds unübersichtlich geworden. Die institutionelle Landschaft im Klimaschutz ist bereits heute hochgradig fragmentiert. In den letzten beiden Jahren sind ca. 15 neue Umwelt- und Klimafonds zusätzlich zu schon existierenden entstanden; alleine die Weltbankgruppe leistet sich mehr als eine Handvoll. Sie heißen Clean Technologies Fund, Strategic Climate Fund, World Bank Scaling up Renewable Energy Programme, World Bank Forest Investment Programme und World Bank Forest Carbon Partnership Facility. Alles klar? Hinzu kommen die Fonds der UN, der multilateralen Entwicklungsbanken und der bilateralen Geber von Japan bis Norwegen oder Deutschland.

Der Macht- und Konkurrenzkampf um Sektoren im Klimaschutz (Waldschutz, Anpassung an den Klimawandel, Vermeidung von CO2) zwischen Institutionen und Nationalstaaten ist voll im Gange. Dies führt oft zu parallelen, nicht abgestimmten Projekten. Allein im Kongobecken sind derzeit fünf größere Initiativen zum Schutz des Tropenwaldes aktiv. Sie sind schlecht oder gar nicht miteinander koordiniert.

Die große Anzahl von Gebern mit ihren jeweiligen Eigeninteressen gefährdet die Effektivität von Klima- oder Waldschutzprojekten. Von der institutionellen Vielfalt fühlen sich die meisten Entwicklungsländer überrollt. Sie verfügen ihrerseits nicht über die Kapazitäten, um in dem institutionellen Dschungel zurecht zu kommen. Es ist wie bei der Entwicklungshilfe: Die ohnehin schwachen und überlasteten Verwaltungen sind durch die ausufernde Zahl von Gebern, deren Regelwerken und Ansprüchen überfordert. Ein Missbrauch der zusätzlichen Finanzmittel zur Bereicherung der Eliten ist nicht auszuschließen.

Und das „große Geld“ soll ja erst noch fließen. Zwischen 80 und 100 Milliarden Euro sollen jährlich bis zum Jahr 2020 für den Klimaschutz durch Industrieländer bereitgestellt werden. Allen voran bemüht sich die Weltbank um eine Vormachtstellung, sie bietet sich als Organisation zur Verwaltung und Umsetzung der bilateralen Trust Funds einzelner Länder an. Damit unterläuft das Weltbankmanagement und mit ihr viele nördliche Regierungen das Bestreben der Entwicklungs- und Schwellenländer, der UNO bzw. der UN-Klimakonvention die Hoheit über die neuen Klimagelder zu überlassen. Als in Bali ein Fonds zur Klimaanpassung unter dem Dach der UN-Klimakonvention beschlossen wurde, lancierte unmittelbar danach die Weltbank einen eigenen Anpassungsfonds.

Welche Institutionen welche Gelder umsetzen sollen, ist ein heftiger Streitpunkt bei den Verhandlungen. Es ist vor allem auch eine Kontroverse darum, wer über die Vergabe der Mittel und Prioritäten entscheidet und mit welchen Mehrheitsverhältnissen. Die G77 und China, das klassische Bündnis der Entwicklungsländer, plädieren für einen zentralen Fonds unter der Hoheit der Klimavertragsstaatenkonferenz, der die Mittel für die CO2-Vermeidung und die Anpassung an den Klimawandel bereitstellen soll. Sektorale Fonds unter dem Dach eines zentralen Fonds sind denkbar. Die Entscheidungsgremien sollten zwischen Nord und Süd möglichst paritätisch besetzt sein.

Der G77-Vorschlag sieht vor, dass der zentrale Fonds auch die Klimaschutzaktivitäten der Entwicklungs- und Schwellenländer überwacht und dem Klimasekretariat gegenüber berichtspflichtig ist. Eine Mehrheit der Industrieländer – darunter auch Deutschland – möchte indessen existierende globale Institutionen wie die Weltbank stärken und sträubt sich gegen eine Neugründung. Sie reden zwar von einem Bedarf an Reformen bei der Weltbank, wie diese aber – von den klimapolitischen Prioritäten bis zu den Entscheidungsstrukturen – aussehen sollen, dazu haben sie noch keine Vorschläge auf den Tisch gelegt.

Der Ausgang dieser Auseinandersetzung entscheidet darüber, ob sich die UNO im institutionellen Geflecht von Global Governance behaupten kann oder ob die Bretton Woods Organisation Weltbank institutionell und finanziell gestärkt aus der Klimakrise hervorgeht. Überlegungen zu einer Weltumweltorganisation unter dem Dach der UNO, die zum Beispiel die Umsetzung der Beschlüsse der Umweltabkommen und -konventionen koordinieren soll und als Gegengewicht zur WTO oder den internationalen Finanzorganisationen gedacht war, haben derzeit keine besondere politische Lobby mehr – weder in Nord, Süd oder Ost.

Reformen in Deutschland

Auch die deutsche Institutionenlandschaft ist nicht gut auf die globale Herausforderung durch den Klimawandel vorbereitet. Ministerien, Forschungs-, Fach- und Durchführungsorganisationen bearbeiten das Thema aus jeweils unterschiedlicher Perspektive. Das Ressortprinzip gibt den Ministerien viel Freiheit, manche sagen: zu viel. Seit 2008 setzt nicht nur das Entwicklungshilfeministerium, sondern auch das Umweltministerium Gelder aus der Internationalen Klimaschutzinitiative um. Das Forschungsministerium investiert u.a. in forschungspolitische Dialoge, das Bundeswirtschaftsministerium ist an Exportinitiativen für erneuerbare Energien beteiligt und das Umweltministerium will insgesamt „Green Tech“-Exporte fördern. Zu beobachten ist dabei, dass jedes einzelne Ministerium Forschungs- oder Durchführungsaufträge erteilt, die untereinander nicht abgestimmt sind.

In China, Indien oder Südafrika reiben sich die Verantwortlichen die Augen und wundern sich, wie viele dialogbereite Delegationen aus unterschiedlichen Ministerien anrücken, ohne voneinander zu wissen oder sich über Ziele und Prioritäten verständigt zu haben. Auch insgesamt ist unklar, welche Linie Deutschland jenseits der Klimaverhandlungen verfolgen will. So hat China die deutsche Regierung aufgefordert, Ressortzuständigkeiten besser abzuklären. In entwicklungspolitischen Kreisen ist schon lange die Rede von mangelnder Kohärenz und Koordination. So gibt es keine gemeinsamen Strategien und Verabredungen über die Schwerpunkte der Klimapolitik in Entwicklungs- und Schwellenländern. Deshalb braucht es in Deutschland eine institutionalisierte Abstimmung über prioritäre Ziele zwischen den Ressorts. Erst sie schafft die Voraussetzung für Kooperation und Abstimmung mit den Partnerländern. Will die Regierung die Weltbank institutionell stärken oder aber auf den Vorschlag der G77 plus China eingehen und einen zentralen Fonds unterstützen? Welche Technologieinitiativen, welche Instrumente will die Bundesregierung zu welchen Bedingungen fördern und einsetzen? Zu diesen Fragen gibt es erhebliche Abstimmungsdefizite.

Ganzheitliche Ansätze und neue Institutionen und Instrumente werden als Antworten auf den Klimawandel, die Ressourcen- und die Armutskrise gebraucht. Doch diese Großbaustelle ist kaum im Visier der Politik, stattdessen konkurrieren Institutionen und „Ressorts“ miteinander um Einflusssphären. Davon zeugt das Wiedererstarken von IWF und Weltbank in der Krise. Ein neuer Multilateralismus und andere Abstimmungs- und Entscheidungsverfahren auf nationaler und internationaler Ebene sind jedoch zwingend, wenn wir interdependente Krisen schneller und wirkungsvoller bearbeiten wollen. Vor allem demokratisch gewählte Parlamente sollten an institutionellen Reformen ein großes Interesse haben. Sie sind es doch, die am meisten durch Lobbyinteressen und das Eigenleben supranationaler und nationaler Institutionen in ihrer Mitgestaltungs- und Kontrollfunktion entwertet werden.

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht. 

Böll.Thema Ausgabe 2/2009 - Klimawandel und Gerechtigkeit

„Während die Industrieländer vorangehen müssen, sind die Zeiten vorbei, in denen die Schwellen- und Entwicklungsländer die Hände in den Schoß legen dürfen. Alle Länder müssen Klimaschutz betreiben, egal, wie arm sie sind – dies schon allein aus Eigennutz. Außerdem lassen sich etliche Klimaschutzmaßnahmen aufs Beste mit Armutsreduktion verbinden – man denke nur an Solarkocher, um die Abholzung für Brennholz zu vermeiden, oder den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, um allen gleichermaßen Mobilität zu ermöglichen. Dennoch ist klar: Die meisten Entwicklungsländer können und sollen in Kopenhagen noch keine Verpflichtungen eingehen.“ - Lili Fuhr und Tilman Santarius, Heinrich-Böll-Stiftung

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