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Die grüne Gebäudestrategie 2050

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste,

im Namen der Heinrich-Böll-Stiftung begrüße ich Sie sehr herzlich zu unserer heutigen Veranstaltung "Die grüne Gebäudestrategie 2050." Mein Name ist Sabine Drewes, ich bin Referentin für Kommunalpolitik und Stadtentwicklung bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Ich freue mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind.

Das Adjektiv „grün" in unserem Veranstaltungstitel ist gar nicht im engeren Sinn, wie Sie vielleicht vermuten würden, parteipolitisch gemeint. Das Ziel, bis 2050 den Gebäudebestand annähernd klimaneutral zu modernisieren, das heißt den Primärenergiebedarf des Gebäudesektors gegenüber 2008 um 80 Prozent zu senken, stammt aus dem Energiekonzept der Bundesregierung - an der Grüne bekanntlich zur Zeit nicht beteiligt sind. 

Auch die derzeitige Bundesregierung weiß – bzw. hat zu dem Zeitpunkt, als sie ihr Energiekonzept formulierte, anerkannt - dass im Gebäudesektor gewaltige Potentiale für mehr Energieeffizienz und ressourcenschonendes Wirtschaftswachstum schlummern. Unverändert sind Gebäude heute für 40 Prozent des Endenergieverbrauchs und 20 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Wenn nicht bis 2050 ein erheblicher Anteil der  Energie eingespart wird, die heute noch gebraucht wird, um Strom und Wärme zu produzieren, droht die Energiewende zu scheitern. Wir stehen vor einer gewaltigen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.

Nun ist sicher allen Anwesenden hier im Raum nicht verborgen geblieben, dass sich die Energiewende in einer ungemütlichen Phase befindet. Das EEG, das dafür gesorgt hat, dass sämtliche Ausbauziele für erneuerbaren Strom regelmäßig übertroffen wurden, steht heftig unter Beschuss. Die FDP will es im Prinzip abschaffen, der CDU-Umweltminister möchte den Ausbau von Wind- und Biogasanlagen begrenzen. Fast täglich findet man Medienberichte, die die soziale Schieflage steigender Energiepreise skandalisieren. Unternehmensverbände entdecken ihr Herz für Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger, die von Energiearmut betroffen sind. Ganz abgesehen davon, ob das EEG reformiert werden muss oder nicht - das sind alles Zeichen dafür, dass wir uns in einer verschärften gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Richtung und Tempo der Energiewende befinden.

Das gilt genauso für die Energieeffizienz, die ja ohnehin das Stiefkind der Energiewende in Deutschland ist. Im Gebäudebereich beträgt die Sanierungsrate weniger als 1 Prozent jährlich. Um das Ziel eines annähernd klimaneutralen Gebäudebestandes bis 2050 zu erreichen, müsste die jährliche Sanierungsrate auf mindestens 2 Prozent ansteigen. Das ist aber wegen der bisherigen Mittelausstattung der Förderprogramme und vor allem wegen der Unsicherheit von politischen Finanzierungszusagen nicht absehbar. Je länger die Hausbesitzer und Investorinnen aber mit Sanierungen warten, umso größer wird die Finanzierungslücke. Schätzungen zufolge werden im Jahr 2020 ca. 9 Mrd. Euro für die energetische Gebäudesanierung gebraucht, die unter den gegenwärtigen Bedingungen aber nicht zur Verfügung stehen werden. 

Auch die energetische Modernisierung von Gebäuden ist derzeit von starken Auseinandersetzungen geprägt. Von "Dämmwahn" oder "Dämmfieber" ist die Rede; herkömmliche Dämmstoffe werden für Algenbildung und  schlechte Belüftung verantwortlich gemacht und für brandgefährlich gehalten. Die energetische Modernisierung wird als Hauptursache für den teilweise rasanten Anstieg der Mieten in einigen Städten gegeißelt. Wir befinden uns also mitten in einer lebhaften gesellschaftlichen Debatte, die wir als politische Stiftung aufgreifen und mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen führen möchten. Denn es geht um relevante Fragen: Auf welchen Niveau müssen wir unsere Gebäude energetisch modernisieren und wann? Wie viel kann und darf das kosten? Ist die notwendige Sanierungstiefe wirtschaftlich? Und vor allem natürlich: Wer soll das alles bezahlen?

Genau diese Debatte wollen wir heute mit Ihnen, mit Vertreterinnen und Vertretern der Immobilienwirtschaft, der Mieterverbände und der Effizienzindustrie, aber natürlich auch mit vielen wissenschaftlichen Expertinnen und Experten, Politikerinnen und Politikern und ehrenamtlich Engagierten diskutieren. Denn es wird sicher nicht überraschen, wenn uns als grün-naher Stiftung das Gelingen der Energiewende besonders am Herzen liegt.

Unsere heutige Anhörung haben wir in vier Teile gegliedert. In dem ersten Teil wollen wir uns ausführlich der Debatte über Strategien für einen CO2-freien Gebäudebestand widmen. Die Fragen, die uns hier umtreiben, lauten: Wie sehen stimmige Szenarien aus, die den Weg zu einem nahezu klimaneutralen Gebäudebestand in der Bundesrepublik beschreiben? Welchen Beitrag können Energieeffizienz-Technologien leisten, welchen die erneuerbaren Energien? Ich freue mich sehr, dass wir für den Input zu diesem Thema Friedrich Seefeldt von der Prognos AG gewinnen konnten. 

Herr Seefeldt ist Martktfeldleiter Energieeffizienz, Erneuerbare Energien und Klimaschutz bei Prognos. Er hat verschiedene maßgebliche Studien zur energetischen Modernisierung des Gebäudebestands mitverfasst, u.a. „Anforderungen an einen Sanierungsfahrplan: Auf dem Weg zu einem klimaneutralen Gebäudebestand bis 2050“  im Auftrag des Nabu. 

Als Kommentatoren zu den Strategien freue ich mich begrüßen zu dürfen: Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), zuvor Stadtentwicklungssenator von Hamburg; Franz-Georg Rips, Präsident des Deutschen Mieterbundes und Bürgermeister der Stadt Erftstadt in Nordrhein-Westfalen; Christine Kamm, kommunal- und wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag Bayern sowie Karsten Wessel, Projektkoordinator Stadt im Klimawandel  bei der Internationalen Bauausstellung Hamburg. Wir freuen uns auf diese hochkarätig besetzte Runde und haben für die Diskussion mit Ihnen allen hier im Saal ausgiebig Zeit eingeplant.

Danach geht es weiter mit den Themenkomplexen: Welche Umsetzungsstrategien braucht ein klimaneutraler Gebäudebestand 2050? Wie kann die Steigerung der Energieeffizienz in Übereinstimmung gebracht werden mit dem Ziel der Erhaltung preiswerten Wohnraums für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen? Und schließlich: Brauchen wir eine neue Kultur des Bauens? Bei allen Runden erwarten wir spannende Diskussionen.

Ich möchte noch darauf aufmerksam machen, dass die Heinrich-Böll-Stiftung in diesem Jahr zwei eigene Beiträge zur energetischen Gebäudemodernisierung veröffentlicht  hat: Die Studien "Neue Finanzierungsmodelle für einen klimaneutralen Gebäudebestand" vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. sowie die Studie "Mit Eko-Quartieren zu mehr Energieeffizienz" von Büro plan zwei in Hannover. Beide Studien liegen auf dem Büchertisch aus und können mitgenommen werden. Die Erkenntnisse aus den Studien fließen heute bei dieser Anhörung an geeigneter Stelle in die Debatte ein - Sie werden das dann wiedererkennen. Beide Studien sollen helfen, Bewegung in den energetischen Sanierungsstau zu bringen – und auch in die heutige Debatte. Mein herzlicher Dank gilt allen, die an der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung mitgewirkt haben: Franziska Eichstädt-Bohlig, Julia Gerometta und Andreas Rieger für die inhaltliche Beratung und Mitwirkung sowie Eike Botta und Sylke Berlin von Böll-Team für die Organisation. 

Ich übergebe nun das Wort an die Moderatorin der ersten Runde, Franziska Eichstädt-Bohlig. Franziska Eichstädt-Bohlig muss ich sicher hier kaum vorstellen: Sie ist die Grande Dame der Grünen Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik. Sie hat diese Politikfelder u.a. von 1994 bis 2005 als fachpolitische Sprecherin für die Grünen im Bundestag vertreten. Von 2006 bis 2009 war sie Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, bis 2011 Sprecherin für Stadtentwicklung. Wir freuen uns, dass sie bei Heinrich-Böll-Stiftung weiterhin ehrenamtlich als Beraterin und Mitwirkende an Veranstaltungen wie dieser zur Verfügung steht.

Ich wünsche Ihnen und Euch einen kurzweiligen und erkenntnisreichen Tag.
Vielen Dank.


Sabine Drewes ist Referentin für Kommunalpolitik und Stadtentwicklung bei der Heinrich-Böll-Stiftung.