Wem gehört das Meer?

Am 22. April 2010 - zwei Tage nach der Explosion - brennt die Ölplattform Deepwater Horizon noch immer. Foto: SkyTruth. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko und ihre Folgen

von Valerie Wilms

» Podiumsdiskussion, 14. September 2010:
  Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko

Von Dr. Valerie Wilms

Erst explodierte eine Plattform und Menschen kamen ums Leben. Schließlich versanken die brennenden Reste im Meer. So weit, so schlecht – und in all seiner Schrecklichkeit bekannt. Längst sind wir mit Umweltkatastrophen vertraut und fast täglich bringen uns Medien exklusive Bilder nach Hause. Sie werden gesehen – und viel zu schnell vergessen. Vielleicht hatte ja auch BP darauf vertraut, dass dieses Desaster mit der sinkenden Plattform in der Tiefsee verschwindet und man weitermachen könne wie bisher.

Auf dem Meer und an den Stränden war lange nichts und dann etwas anderes zu sehen, als erwartet wurde: Es gab keinen schwarzen Ölfilm, nur wenige Vögel schienen verschmutzt zu sein und auch an den Stränden gab es mehr Bilder von Ölsperren als vom Öl selbst. BP leistete beste Arbeit, indem massenhaft Chemikalien eingesetzt wurden: Das Öl sollte absinken und den Meeresboden asphaltieren statt angespült zu werden. Die spektakulären Bilder fehlten und die Fernsehteams wollten schon abziehen. Leider tat die Natur dem Ölkonzern nicht den Gefallen. Erbarmungslos schossen fast einhundert Tage lang in tausendfünfhundert Metern Tiefe Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko – und auf Druck des amerikanischen Kongresses übertrugen Kameras die Katastrophe live via Internet und sichtbar für jeden auf der ganzen Welt.

Ohne Kameras wäre die Katastrophe vergessen

Ohne diese Kameras wäre das Desaster schon nach wenigen Tagen vergessen gewesen. Denn wieso sollte es anders sein als in Nigeria, wo jährlich etwa so viel Öl austritt, wie die Exxon Valdez einst verloren hat – und zwar seit 50 Jahren. Die Kameras im Golf haben uns gnadenlos vor Augen geführt, wovor wir gerne wegschauen würden: Unsere Abhängigkeit vom Öl hat die Risiken ins Unermessliche steigen lassen. Die Förderung von Öl ist zur Hochrisikotechnologie geworden und nur schwer nachvollziehbar bleibt, dass viele dieser Risiken fast ohne Kontrolle eingegangen werden.
Für die Tiefsee gibt es kaum Regeln und nur wenige Länder und Firmen verfügen über Technik und finanzielle Mittel, um dorthin vorzustoßen. Die Tiefsee ist unbekannter und weniger erforscht als der Mond. Gerade einmal ein Prozent ist bisher bekannt, der Rest ist mare incognita – und ein wahres Dorado für moderne Schatzsucher. Hier leben Arten, die bedroht sind, bevor wir ihnen einen Namen geben können. Nachdem an Land immer weniger zu finden ist, werden jetzt die Claims im Meer abgesteckt. Dabei geht es nicht nur um Öl oder Gas. Längst sind Forschungsschiffe unterwegs, um nach Möglichkeiten zu suchen, wie Edelmetalle, Mangan oder Methaneis gefördert werden können. Das Problem hierbei: Während es an Land durchaus Möglichkeiten der Kontrolle gibt, bleibt im Meer vieles unsichtbar. Ohne Öffentlichkeit, ohne Umweltschutzorganisationen oder Bürgerinitiativen kann weitestgehend ungestört nach den Schätzen gesucht werden

Deutschland drängt in die Tiefsee

Deutschland ist bei diesem Geschäft dabei und hat sich 2006 – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – zwei Claims von je 75 000 Quadratkilometern Größe im Westpazifik gesichert. Hier sollen sogenannte Manganknollen abgebaut werden, die im ganzen Westpazifik auf dem Meeresboden liegen und reich an Kupfer, Nickel, Kobalt, Eisen und Mangan sind. Die Claims wurden in Folge der dritten Seerechtskonferenz vergeben. 1994 wurde festgelegt, dass fortan eine sogenannte Ausschließliche Wirtschaftszone für 200 (in Ausnahmefällen 350) Seemeilen von der Küste gilt. Alle Ressourcen dieser Gebiete – also Fische und Rohstoffe – stehen ausschließlich dem angrenzenden Land zu. Alles darüber hinaus zählt als gemeinsames Erbe der Menschheit.
Um hier Streitigkeiten vorzubeugen, wurden die UN-Meeresbodenbehörde (ISA) und der internationale Seegerichtshof in Hamburg installiert. Von der ISA wurden im Westpazifik erstmals Claims an einzelne Staaten verteilt. Hier ist es den Staaten für 15 Jahre erlaubt, Rohstoffe zu erkunden. Was mit diesem Recht verbunden ist, bleibt aber weitgehend unklar: Zwar wurde im Jahr 2000 ein Tiefseebergbaukodex für Mangan verabschiedet – für andere Rohstoffe  jedoch wartet ein vergleichbarer Kodex auf die Ratifizierung. Hinzu kommt, dass sich die Vereinigten Staaten grundsätzlich weigern, das internationale Seerecht anzuerkennen. Dazu wird innerhalb der Festlandsockelkommission in New York ständig darum gestritten, ob bestimmte Meereszonen zum Festlandsockel gehören und damit die Wirtschaftszone 350 Seemeilen weit reichen darf. Für das gemeinsames Erbe der Menschheit in der Tiefsee gilt also eher das Wild-West-Prinzip: Weil es allen gehört, gehört es gleichzeitig keinem und jeder kann erst mal machen was er will. Es gewinnt, wer die Mittel für die Technik hat.

Auch vor der eigenen Haustür wird gefördert

Die Katastrophe im Golf hat aber auch die Problematik in Nord- und Ostsee deutlich werden lassen. An über 300 Erdöl- und Erdgasfeldern wird derzeit gefördert. Deutschland selbst betreibt nur eine Plattform für Öl und eine für Gas. Diese Plattformen gelten als sicher – der Fokus richtet sich deswegen vor allem auf die Förderung durch andere Länder. Besonders Großbritannien und Norwegen stoßen in der Nordsee und im Atlantik in immer größere Tiefen vor und setzen dabei auch auf vergleichbare Technik wie im Golf von Mexiko. Bei einer Katastrophe wäre Deutschland schnell betroffen und vor allem das UNESCO-Welterbe Wattenmeer in Gefahr.
Die Bundesregierung musste auf unsere Nachfrage viele offene Aspekte einräumen: So ist die Haftung von Konzernen bei Katastrophenfällen unzureichend. Für Ölunfälle ist eine Deckungsvorsorge – also eine Art Fonds, aus dem Kompensationen geleistet werden – nicht vorgeschrieben. Dazu gibt es bisher nur Regelungen für Ölunfälle auf Schiffen – für Ölplattformen jedoch nicht. Im Falle einer Katastrophe kann es damit passieren, dass entweder niemand oder der Steuerzahler haftet. Mit den jetzigen Regelungen besteht ein Anreiz, die Plattformen von Subunternehmen betreiben zu lassen. Diese könnten die Gewinne abführen und im Schadensfall schnell pleite gehen – die Geschädigten würden dann am Ende allein dastehen. Im Fall des Falles müssten hier in Deutschland zum Beispiel Fischer selbst klagen. Dabei riskieren sie möglicherweise ihre Existenz. Abgesehen davon ist offen, welches Recht gilt: Das am Ort des Schadens oder das am Ort des Verursachers? Das alles müssten die Geschädigten erst klären lassen, bevor – wenn überhaupt – Geld fließt.

Was ist zu tun?

Das Loch im Golf ist inzwischen dicht – zumindest laufen die Kameras nicht mehr und wir müssen uns wieder auf die Aussagen von BP verlassen. Was offen bleibt, sind viele Fragen. Hier in Deutschland muss die Bundesregierung jetzt schnell aktiv werden und eine Versicherung für die Ölförderung verbindlich vorschreiben, die für die volle Höhe möglicher Schäden haftet. Außerdem müssen EU-weit und mit Norwegen Verträge geschlossen werden, damit die Verursacher auch die Haftung für Schäden übernehmen müssen, die nicht in deutsche Zuständigkeit fallen. Dazu muss geprüft werden, ob eine weltweite Regelung über die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) sinnvoll ist.

Ein Moratorium für Ölbohrungen im Meer kann nur ein Anfang sein. Er könnte zunächst verhindern, dass vor allem BP genau da weiter macht, wo die Katastrophe begonnen hat. Es ist eine fast unfassbare Dreistigkeit des Konzerns, dass der Umweltausschuss des Bundestages hingehalten wird, weil man angeblich erst die Untersuchungen abschließen müsse, bevor man etwas zur Sicherheit der Technik sagen könnte. Gleichzeitig hat BP aber offensichtlich das Vertrauen in diese noch nicht abschließend untersuchte Technik und macht sich im Mittelmeer daran, noch tiefer zu bohren. Es ist gut, dass sich hiergegen im Netz Protest formiert – und es muss ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob die Produkte von BP noch gekauft werden müssen.

Darüber hinaus brauchen wir neue international verbindliche Vereinbarungen, wie mit den Schätzen der Tiefe umgegangen werden soll. Der Tiefseebergbaukodex muss weiter entwickelt und von den einzelnen Staaten auch national umgesetzt werden. Dazu brauchen wir eine Regelung, die nicht nur die Rohstoffe im Blick hat – sondern auch die vielfältigen Tiere und Pflanzen, die es zu schützen gilt. Der Kodex muss eine international verbindliche Umweltverträglichkeitsprüfung beinhalten und vor dem Seegerichtshof einklagbar sein.

Am Ende bleibt die Hoffnung auf eine Meinungsänderung der USA: Nach dem Desaster vor der Haustür sollte hier auch die Bereitschaft zur Anerkennung des internationalen Seerechts und der dringend erforderlichen Schritte "Weg vom Öl" gestiegen sein. Das gemeinsame Erbe der Menschheit muss es wert sein.


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Dr. Valerie Wilms (geb. 1954 in Hannover) ist Autorin und Ingenieurin für Maschinenbau. Seit 2008 ist sie Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie und seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages (Bündnis 90/ Die Grünen). Darüber hinaus hat sie einen Lehrauftrag an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden.