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Russland: Ein Land auf der Kippe

Russischer Rubel

18. Dezember 2008
Von Jens Siegert
Von Jens Siegert.

Wie tief die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ist, kam in Russland noch langsamer an als anderswo. Als Mitte September die Investmentbank Lehman Brothers pleiteging, suhlte sich Russland noch in der Euphorie des Sieges im Georgienkrieg. Erstmals seit Ende des Kalten Krieges vor knapp 20 Jahren hatte es Russland, so die fast einhellige Meinung bei Führung und Volk, dem Westen endlich einmal wieder so richtig gezeigt.

Auf dieser Euphoriewelle schwimmend, konnte der Kreml sich selbst und das Land in der Illusion wiegen, die Finanzkrise sei eine Krise des alternden Westens, dessen Herrschaft über die Welt zu Ende gehe, und werde das besser gerüstete Russland nur am Rande berühren. Es ist die vielleicht größte politische Leistung des heutigen Premiers Wladimir Putin, dass es ihm gelang, ein zerfallendes Imperium mit maroder Wirtschaft in ein Mitglied im Klub der aufstrebenden, jungen Schwellenmächte umzulügen - gestützt durch Milliardeneinnahmen aus dem Ölgeschäft.

Natürlich gab es auch in Russland warnende Stimmen, vor allem von unabhängigen Wirtschaftswissenschaftlern, aber auch aus dem Wirtschaftsblock der Regierung. Doch grundsätzlich herrschte und herrscht auch heute noch die Überzeugung vor, Russland werde aus der Krise dem Westen gegenüber gestärkt hervorgehen. Vor allem die ja nicht grundlose Annahme, die niedrigen Rohstoffpreise seien nicht von Dauer, stützt diese Sichtweise.

Rubel-Problem sinnvoll gelöst

Das Krisenmanagement der russischen Regierung, in der sich bisher die eher marktorientierten Kräfte durchgesetzt haben, ist durchaus erfolgreich. Der drohende Zusammenbruch des äußerst schmalbrüstigen russischen Bankensystems konnte verhindert werden.

Die politisch heikle Frage, wie mit dem Abwertungsdruck des Rubels umzugehen sei, nachdem jahrelang vom Kreml ein starker Rubel als Symbol für neue russische Stärke ausgegeben worden war, wurde sinnvoll gelöst. Nach vergeblichen, kostspieligen Versuchen der Zentralbank, den Rubel-Kurs zu stützen, darf er nun langsam, aber stetig sinken. Auch die Liquidität vieler hoch im Ausland verschuldeter russischer Industrieunternehmen wird durch Rückgriff auf den in den vergangenen Jahren aufgebauten Stabilitätsfonds gesichert.

Hier beginnen allerdings schon die spezifisch russischen Probleme. Während im Westen 80 Prozent der staatlichen Kreditgarantien den Banken zugutekommen, gelten in Russland andere Prioritäten. Nur 15 Prozent der Staatsgarantien bekommen Banken, 80 Prozent gehen direkt an große Industrieunternehmen, die als "strategisch wichtig" eingestuft werden.

Primitiver als in der Sowjetunion

Dieses Ungleichgewicht ist leicht erklärt: In Russland regieren nach einem Diktum des Politikwissenschaftlers Dmitri Trenin "dieselben Menschen das Land, die es auch besitzen". Wer oder was mit wie viel Geld gerettet wird, entscheiden also diejenigen, die direkt davon profitieren. Entweder sie sind Besitzer der betreffenden Unternehmen, oder sie können aufgrund ihrer politischen Macht über sie verfügen. Man kann mit einigem Recht vermuten, dass dieses System nicht dazu beiträgt, dass Entscheidungen effektiv und für das Ganze sinnvoll ausfallen.

Dieser unmittelbare Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht, der viel direkter ist als im deshalb oft gescholtenen Westen, erklärt die große Nervosität, die sich langsam in der politischen Elite des Landes breitmacht. Nun rächt sich, dass Putin vor allem in seiner zweiten Amtsperiode versäumt hat, das Land zu reformieren. Die russische Wirtschaft ist nach Aussagen liberaler Wirtschaftswissenschaftler heute in einem primitiveren Zustand als gegen Ende der Sowjetunion. Das gute Leben vom Cashflow während der Rohstoffhausse schlägt zurück. Über Jahre wurden politische, soziale und wirtschaftliche Probleme buchstäblich unter großen Geldhaufen begraben. Nun kommen sie wieder zum Vorschein. Und das Land ist darauf nicht vorbereitet.

Offensichtlich hat sich der Kreml entschlossen, mit den Wölfen zu heulen. Das ist gut, solange international weiter gemeinsam versucht wird, der Krise Herr zu werden, weil sich dann wohl auch Russland anschließen wird. Damit ist mittelfristig nicht ausgeschlossen, dass Russland seine Wirtschaft und sein politisches System öffnet. Lange wurde die Debatte von einer schrillen Rhetorik beherrscht, in der Russland als von äußeren Feinden umzingelte Festung erschien. Das Land, so die These, müsse sich nach außen und innen wehrhaft zeigen. Diese Töne sind zuletzt leiser geworden.

Doch natürlich kann auch alles viel schlechter kommen. Sollten weltweit nationale, protektionistische Rettungsversuche überhandnehmen oder sollte sich die Krise in Russland so verschärfen, dass es zu sozialen Unruhen kommt, kann alles sehr schnell wieder kippen. Der Georgienkrieg hat gezeigt, wie einfach und erfolgreich der Kreml heute in Russland mit Feind- und Kriegspropaganda politische Zustimmung erzeugen kann.

Dieser Kommentar erschien auf FTD.de.

Jens Siegert leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau.