Landwirtschaftliche Produktion in Krisenzeiten
Eine der großen Krisen, die die Ernährungssituation maßgeblich beeinflussen, ist der Klimawandel. Die direkten Auswirkungen des Klimawandels auf die Ernährungssicherheit in afrikanischen und asiatischen Ländern sind folgenschwer. Das International Food Policy Research Institute (IFPRI) veröffentlichte am 01. Oktober 2009 einen umfassenden Bericht zu den Folgen des Klimawandels auf die Landwirtschaft. Die Ergebnisse übersteigen so manche negative Prognose der Vergangenheit. Der Bericht unterstreicht, dass aufgrund veränderter Temperatur und Niederschlagsmengen die Erträge von Grundnahrungsmitteln in Asien und Afrika stark sinken werden. Für die afrikanische Landwirtschaft wird prognostiziert, dass allein aufgrund des Klimawandels, die durchschnittliche Reisproduktion um 14%, die Weizenproduktion 22% und die Maisproduktion um 5% zurückgehen wird. Der Bericht spricht von zusätzlichen 52 Mio. Kindern, die im Jahr 2050 aufgrund des Klimawandels hungern werden.
Landwirtschaft als Klimaschädling
Bisher hat die Landwirtschaft durch intensive Produktion und den Einsatz von Mineraldüngern und Pestiziden bedeutend zum Klimawandel, zur Bodendegradation, zum Rückgang der Biodiversität und zur Wasserverschmutzung beigetragen. Eine im Oktober diesen Jahres von GRAIN veröffentlichte Studie geht sogar davon aus, dass die Ernährungsindustrie zusammen mit der industrialisierten Landwirtschaft für fast die Hälfte aller klimaschädlichen Emissionen verantwortlich ist (GRAIN, 2009). Andere Studien, die die Ernährungsindustrie nicht mit einberechnen gehen von 17 – 20% Beitrag der Landwirtschaft an klimaschädlichen Emissionen aus (z.B. Greenpeace, 2008).
All dies verdeutlicht, dass die Landwirtschaft von heute die Ernährungsbedürfnisse von morgen nicht meistern kann. Denn, die Herausforderungen sind groß: Es muss, auf einer immer kleiner werden landwirtschaftlichen Nutzfläche, mit weniger Wasser und schwindenden fossilen Rohstoffen immer mehr Nahrung für eine stark wachsende Weltbevölkerung (ca. 9 Mrd. Menschen in 2050) unter immer unsicheren und extremeren klimatischen Bedingungen produziert werden. Dabei werden sich verändernde Konsumgewohnheiten und Energiekonzepte zu einer verschärften Konkurrenz zwischen Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Energiepflanzen führen.
Hohe Nahrungsmittelpreise bedrohen 150 Millionen Menschen zusätzlich
Einen kleinen Vorgeschmack auf die traurige Dramatik dieser Entwicklung haben die Preisentwicklungen für Nahrungsmittel in 2007/08 gegeben, in denen die Nahrungsmittelpreise für verschiedene Produkte um mehr als 100% anstiegen und dadurch akut in kürzester Zeit mehr als 150 Mio. Menschen zusätzlich von Hunger bedroht waren. Auch wenn die Weltmarktpreise wieder gesunken sind, so sind sie die Preise für Grundnahrungsmittel in vielen Entwicklungsländern konstant auf einem hohen Niveau und die Zahl der Hungernden hat dieses Jahr die traurige Höchstgrenze von einer Milliarde überschritten. Da die etwa die gleiche Zahl von Menschen weltweit von unter einem US$ am Tag leben und ca. 80% ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgibt, ist klar, dass jede Erhöhung der Nahrungsmittelpreise, egal, auf welchen Faktor sie zurück zu führen ist, sich extrem negativ auf die Ernährungssituation weltweit auswirken wird. Aber wie könnten neue Wege und nachhaltige Lösungen in der Landwirtschaft aussehen? Welche Ideen und Vorschläge gibt es, um weltweite Ernährungssituation zu verbessern und wie nachhaltig sind sie? Welchen Beitrag kann die Landwirtschaft selbst leisten, um nicht länger eine der Hauptschuldigen des Klimawandels zu sein?
Neue Herausforderungen, neue Fragen – unterschiedliche Antworten
Dass diese Fragen wieder gestellt werden, nachdem sich die Weltgemeinschaft über mehr als zwei Jahrzehnte kaum um agrar- und ernährungspolitische Themen gekümmert hat, ist ein Fortschritt. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es Lösungsvorschläge aus sehr unterschiedlichen politischen Richtungen und sie sind weiterhin - wie schon immer in agrarpolitischen Debatten - sehr polarisiert. Vier grundlegende Änderungen haben sich aber in den letzten zwei Jahren vollzogen, die die gesamte Diskussion prägen und sie verändern:
- die Bedeutung von kleinbäuerlicher Produktion, als eine wichtige Komponente im Kampf gegen den Hunger, wird nicht mehr nur von der Zivilgesellschaft sondern auch von allen anderen Akteuren ernst genommen.
- Ernährungssicherheit wird nicht mehr als automatisch anfallendes Nebenprodukt von ländlicher Wirtschaftsentwicklung gesehen. Im Gegenteil: es sind sich alle Akteure einig, dass eine verbesserte Ernährungssicherheit einer speziellen Förderung bedarf.
- Da die Landwirtschaft besonders sensibel auf die unterschiedlichen Krisen reagiert, sind sich die meisten Akteure einig, dass Lösungsvorschläge Systemübergreifend sein müssen.
- Alle Akteure sind sich einig, dass es weitreichende Investitionen in die Landwirtschaft geben muss.
Neue und alte Grüne Revolution in Afrika
Unter dem gemeinsamen Dach von AGRA kämpfen die Rockefeller und die Gates Stiftung, gemeinsam mit der FAO, den CIGAR Instituten und einigen internationalen Unternehmen für eine „Neue Grüne Revolution in Afrika“. Dahinter verbirgt sich die grundlegende Idee eines weitreichenden Technologietransfers, der die Bereitstellung von genetischverändertem Saatgut und Düngemitteln beinhaltet.Vieles von dem, was heute als „neue Grüne Revolution“ kommuniziert wird, entspricht aber in den Grundstrukturen der „Alten Grünen Revolution“, die schon in den 70ger Jahren in Afrika kaum zu Ertragssteigerungen beitrug. Wie damals ist das Herz der neuen Grünen Revolution der Technologietransfer – und ihr Ziel ist klassisch: Produktionssteigerung. Aber auf Produktionssteigerung alleine konzentriert sich die Agrarforschung seit Jahrzehnten – ohne dabei signifikante Erfolge in der Bekämpfung von Hunger und Armut zu erzielen.
Die Landwirtschaft in Afrika ist ein Mosaik aus unterschiedlichen Ökosystemen, Produktions- und Lebensweisen, die in jeweils sehr unterschiedliche politische, institutionelle und infrastrukturelle Rahmenbedingungen eingebettet sind. Lösungen, die weder die lokalen Bedürfnisse, noch die lokalen Fähigkeiten der Produzenten ausreichend berücksichtigen, haben damals nicht funktioniert und werden es heute auch nicht tun.
Aber es gibt auch andere Prozesse, die denen der „neuen Grünen Revolution“ entgegenstehen. Einer davon hat in den letzten zwei Jahren international viel Aufsehen erregt, weil er genau das geschafft hat, was AGRA nie leisten kann. Der in 2008 veröffentlichte Bericht des IAASTD (International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development, 2008) brachte in einem vier Jährigen internationalen Dialogprozess mehr als 400 Wissenschaftler und Vertreter von Zivilgesellschaft und Wirtschaft zusammen, um gemeinsam neue Konzepte für eine nachhaltige Landwirtschaft zu entwickeln. Er vereinigt Stimmen verschiedener kultureller und professioneller Hintergründe und es ist beeindruckend, wie anders die Konzepte einer zukunftsfähigen Landwirtschaft aussehen, wenn ein Prozess diese vielfältigen Stimmen erst nimmt.
Multifunktionelle Bedeutung der Landwirtschaft
Der IAASTD-Bericht unterstreicht die multifunktionelle Bedeutung der Landwirtschaft, in der sie nicht nur als Produzent von Lebensmitteln betrachtet wird, sondern auch in ihrer Rolle als Lebensgrundlage für die ländliche Bevölkerung und für den Erhalt von Ökosystemen und Ressourcen. Er fordert, traditionelles Wissen, ökologische und soziale Fragen stärker in die Agrarforschung einzubeziehen und sieht im Gegensatz zu AGRA die Forschung im Spitzentechnologiebereich, wie z.B. im Bereich der GMOs nicht als ein adäquates Mittel für eine nachhaltige ländliche Entwicklung. Der IAASTD Bericht schafft es, ein umfassendes Konzept einer ökologisch und sozial nachhaltigen Landwirtschaft zu entwerfen. Er hat den Mut lokale Fähigkeiten und lokales Wissen der Produzenten ernst zu nehmen und der Komplexität des Problems mit vielschichtigen Antworten zu begegnen.
Durch den multifunktionellen Ansatz nimmt der IAASTD Bericht die Potentiale der Landwirtschaft ernst, zum Kampf gegen den Klimawandel beizutragen. Ein Wandel der Landwirtschaft von einem der größten CO2-Emittenten hin zu ggf. sogar einer Senke für Kohlendioxid würde aber einen einschneidenden Wandel nicht nur in der Produktion sondern auch im Konsum fordern. Integrierte Anbaumethoden, weniger Düngemitteleinsatz, lokal angepasste Sorten, weniger Fleischkonsum und lokale Konsumstrukturen – all dies würde die Landwirtschaft weniger Öl-intensiv und klimafreundlicher machen.
Es gibt eine andere Vision der Landwirtschaft, die der der großflächigen Agrarindustrie entgegensteht und die Ernährungssicherheit und Klimaschutz intelligent miteinander verknüpft. Lokal angepasste integrierte Produktionsweisen, vielfältige Sortenwahl und Produzenten, die die eigene Produktion mit ihren jeweiligen Eigenheiten und Unwägbarkeiten kennen und damit umgehen können. Kleine Wirtschaftseinheiten, die in lokale Kreisläufe eingebunden sind. Eine Landwirtschaft, die das Potential hat Armut zu mindern und die ländliche Ernährung zu sichern – ohne dabei massiv zum Klimawandel beizutragen.
Kleinbäuerliche Produktion als langfristiger Weg
Um diese Art der Produktion zu fördern muss die kleinbäuerliche Produktion mit all ihren Schwierigkeiten aber eben auch ihren Potentialen ernst genommen werden. Weitreichende Investitionsprogramme in Bildung, Beratung, Infrastruktur, Ernte und Lagertechnik müssten gestartet werden. Es muss regionale Antworten geben und keine globalen. Kleinbäuerliche Landwirtschaft zu fördern – mit mehr als subventioniertem Düngemittel – ist ein langfristiger Weg, der ohne die ganz schnellen Lösungen auskommen muss. Damit ist er für viele Regierungen eher unattraktiv.
Die FAO stellt dieses Jahr zum Welternährungstag die Frage: „how to feed to world in times of crisis?“ – um diese Frage auch nur annähernd beantworten zu können, muss die Weltgemeinschaft den umfassenden und vernetzten Blick des IAASTD wagen und nicht länger auf eine technologische Wunderwaffe und die schnelle Lösung für Hunger und Armut hoffen.
Dieser Artikel ist erschienen in „politische ökologie 118 – 2009; „Multiple Krise - Ende oder Anfang für eine gerechte Welt?". Er ist außerdem Teil des Ecofair-Dossiers.