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US-Wahlkampf: Glaubensfrage

15. April 2008
Helga Flores Trejo, Heinrich-Böll-Stiftung in Nordamerika, Washington D.C.

Helga Flores Trejo
16. April 2008

In dieser Woche dreht sich in Washington alles um Glaubensfragen. Am Dienstag kam der Papst zu seinem ersten offiziellen Besuch nach Washington und die ganze Stadt war darauf vorbereitet. Auf dem Pope Watch-Programm steht unter anderem eine große Messe im gerade fertig gestellten Baseballstadium, an der fast 46.000 Menschen teilnehmen werden. In Washington sind Banner und Ankündigungsplakate mit päpstlichen Symbolen zu sehen und Präsident Bush plant ein großes Bankett einschließlich bayerischem Essen zu Ehren Benedikts weiß-blauer Herkunft.

Aber mit diesen für die säkulare amerikanische Gesellschaft schon ungewöhnlichen öffentlichen Religionsdarbietungen ist die Sache noch keineswegs überstanden. Auch die beiden Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, die Medien und die Öffentlichkeit beschäftigen sich dieser Tage mit Religion und Glaube. Am Sonntagabend trafen sich Hillary Clinton und Barack Obama zum sogenannten Glauben- und Werteforum am Messiah College, einer christlichen Privatuniversität im Bundesstaat Pennsylvania. Dabei führten die Kandidaten einen jeweils vierzigminütigen Dialog mit den Moderatoren, in dem sie offen über Bibel und Glauben sprachen und darüber, wie sie durch beides geprägt wurden. Aus dem Publikum wurden im Anschluss viele Fragen an die Kandidaten gestellt.

Das Forum war aus zwei Gründen mindestens so bemerkenswert wie der Papstbesuch: Zum einen ist es für Demokraten ungewöhnlich, sich auf solch eine öffentliche Diskussion einzulassen, bislang bereiteten Gespräche über den eigenen Glauben meist Unbehagen. Hillary Clinton und Barack Obama gingen das Thema jedoch anders und offensiver an als John Kerry und Al Gore dies in den Wahljahren 2000 und 2004 taten. Die Gründe dafür benannte Hillary Clinton: die beiden hervorragenden Kandidaten hätten auch deshalb verloren, weil „große Teile der Wählerschaft zu dem Schluss kamen, dass sie [die Kandidaten] sich zu ihrer Lebensführung nicht in Beziehung setzen konnten oder diese nicht respektierten.“ Diesen Fehler wollten die Demokraten nicht noch ein drittes mal wiederholen und so kam es zum Doppelschlag von Papstbesuch und Glaubensgipfel. Die Amerikaner gelten als gläubigere Menschen als die Einwohner vergleichbarer westlicher Gesellschaften. Wichtig ist es nicht aus  den Augen zu verlieren, dass Religion in den USA pluralistisch verfasst ist, wie in keinem anderen Land der Erde. Deshalb müssen Kandidaten in der Lage sein, den Zugang zu wichtigen religiösen Bevölkerungsgruppen zu halten. Im Gegensatz zu Europa handelt das Gespräch über Religion in Amerika allerdings vor allem über Moral und Ethik und ist keine Diskussion darüber, wer dazugehört und wer nicht.

Das lies sich auch an den bemerkenswerten Fragen ablesen, die von zahlreichen Vertretern verschiedener Kirchen und Denominationen gestellt wurden. Natürlich fehlte die obligatorische Frage nach Abtreibung nicht, aber es war nicht mehr als ein Thema unter anderen. Politisch relevanter schienen die Fragen nach der persönlichen Haltung der Kandidaten zu Folter, Klimawandel und Armut zu sein. Die Tatsache, dass Themen wie Folter, Klima und Armut eine solch prominente Rolle spielten, bestätigt den Eindruck, dass die Veränderungen innerhalb der evangelikalen Gemeinden real sind: sie wurden in den vergangenen Jahren sowohl politisch wie auch thematisch breiter und offener.

Dieser Umschwung ist schon seit einiger Zeit erkennbar, weil die Gemeindeführungen immer intensiver ihre Mitglieder dazu aufrufen, sich Themen wie Umweltschutz und Klimawandel zu widmen und als ihre Aufgabe anzusehen — creation care werden diese Aktivitäten hier genannt. Jedem ist klar, dass das Engagement gegen den Klimawandel durch die evangelischen Gemeinden eine deutliche Bewegung gegen die bisherige Politik der Bush-Regierung einschließt.

Die Verschiebung der Prioritären verläuft nicht ohne interne Widerstände, aber in den Kongregationen ist die Zahl „grüner“ Aktivisten und Stimmen deutlich angewachsen, während die Rechten an Bedeutung verlieren. In Umfragen sagen über 65% der evangelischen Gemeindemitglieder, dass sie der Überzeugung seien, der Klimawandel verlange sofortiges Handeln und 54% würden einen Kandidaten unterstützen, die sich des Klimaproblems annimmt.
Im Wahljahr 2008 ist alles anders: nun reden auch die Evangelikalen vom Wetter.


Helga Flores Trejo ist Direktorin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington D.C