Pressefreiheit im Nahen Osten
Seit 1994 wird jährlich am 3. Mai der Verletzung von Informations- und Freiheitsrechten weltweit gedacht. Das Datum erinnert an die Erklärung von Windhuk, die am 3. Mai 1991 auf einer UNESCO-Konferenz in Namibia verabschiedet wurde und die Schaffung einer unabhängigen und freien Presse fordert. Christian Sterzing, Direktor des Büros in Ramallah, dokumentiert aus aktuellem Anlass Fälle inhaftierter oder ermordeter Journalisten im Gazastreifen, der Westbank und in Israel.
Journalistinnen und Journalisten im Konfliktgebiet Naher Osten leben gefährlich. Das Palästinensische Zentrum für Entwicklung und Meinungsfreiheit (MADA) beklagt zunehmende Einschränkungen der freien Berichterstattung sowie die Einschüchterung von Journalistinnen und Journalisten sowohl im Gazastreifen durch die dortige Hamas-Bewegung als auch in der Westbank durch die Regierung des Präsidenten Mahmud Abbas und seines Premierministers Salam Fayyad. Die Medien kämpfen nicht nur mit den Behinderungen und Schikanen durch die israelische Besatzungsmacht, sondern geraten auch immer mehr in das Kreuzfeuer der Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas. Im Folgenden einige Vorfälle seit Februar 2008.
Westbank
Erst nach fünf Tagen wurde der palästinensische Journalist Mustafa Sabri freigelassen. Ein palästinensischer „Sicherheits“dienst hatte ihn, ohne das konkrete Vorwürfe erhoben worden wären, im Februar festgenommen. Stundenlang gefangen gehalten und vernommen wurden auch die Journalisten Khalid Ma’ali des Al-Sahl Pressebüros in Salfit (Westbank), Khalil Mabrouk in Nablus und Khales Amayreh in Hebron. Die in Gaza erscheinenden, der Hamas-Bewegung nahe stehenden, Zeitungen Filistin und Al-Resalah sind in der Westbank weiterhin verboten. 20 Tage saßen die palästinensischen Journalisten A'laa Titi und sein Assistent Osaid Amarneh im Gefängnis. Der Geheimdienst der Regierung Mahmoud Abbas / Salam Fayyad hatte die beiden Journalisten des Fernsehsenders Aqsa TV im November 2007 festgenommen. Vorgeworfen wurde ihnen, die nationale Einheit zu gefährden und den Staat beleidigt zu haben. Ihre Berichterstattung sei angeblich „falsch“ und „übertrieben“. Ein Gericht in Hebron sprach die Journalisten nun frei.
Gazastreifen
Die Verbreitung der Fatah-nahen, in Ramallah erscheinenden Tageszeitung Al-Ayyam wurde am 11. Februar im Gazastreifen verboten. Ihr Herausgeber, der angesehene palästinensische Journalist und Berater des Präsidenten Abbas, Akram Haniyeh, sowie der Karikaturist Baha Al-Bukhari, wurden von einem Hamas-Gericht wegen übler Nachrede und Beleidigung von der Hamas angehörenden Mitglieder des Parlaments zu Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt. Wegen angeblicher Verstöße gegen das Pressegesetz wurde der Chefredakteur der Zeitung Al-Hayat Al-Jadida, Hafez Al-Barghouti, im Gazastreifen verhaftet. Festgenommen wurden auch deren Kolumnist Omar Ghoul und der Gaza-Korrespondent Munir Abu Rizk.
Behinderungen durch die Besatzungsmacht Israel
Bei den seit einigen Jahren regelmäßig stattfindenden Freitagsdemonstrationen gegen den israelischen Mauerbau in dem palästinensischen Dorf Bila’in wurden im Februar / März der Kameramann Imad Bernat und George Halteh (Pal Media Agency) durch Gummigeschosse verletzt. Seinen eigenen Tod filmte der für die Nachrichtenagentur Reuters arbeitende Kameramann Fadel Subhi Shana’a (24) am 16. April 2008: Shana’a machte Aufnahmen von einer der fast täglich stattfinden militärischen Aktionen der israelischen Armee im Gazastreifen. Von einem israelischen Panzer wurde aus einigen hundert Metern Entfernung der tödliche Schuss auf das deutlich als Pressefahrzeug gekennzeichnete Auto abgefeuert. Shana’as Assistent wurde bei dem Vorfall verletzt. Die Journalisten Hasan Abdel Jawad (Al-Ayyam), Ahmed Sonukrut (Radio Seraj), Fadi Arouri (Al-Ayam), Njoud Alqasem (Tunis TV), Khaled Sabarneh, Muhib Barghouti (Al-Hayat Al-Jadidah) wurden verhaftet oder an Kontrollpunkten stundenlangen Verhören unterzogen. In Jerusalem wurde der Radiosender RAM FM geschlossen; in Jenin musste Almajd Radio seine Sendungen einstellen; in Hebron wurden Manbar und Seraj Radio gestürmt und die Ausrüstung beschlagnahmt. Unter Beschuss gerieten die Pressevertreter von Agence France Press, Al Jazeera TV und Ramatan Agency, als sie militärische Aktionen der israelischen Armee im Flüchtlingslager Jabalia beobachteten.
Christian Sterzing
Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah (Palästina)