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Pakistan: Talibanisierung, Staatsversagen und drohender Zerfall

Taliban in Quetta. Foto: Gregor Enste

25. Juli 2008
Von Gregor Enste
Von Gregor Enste

Die Lage in Pakistan ist dramatisch. Die Gewalt eskaliert, und über offene Grenzen wird die Aufstandsbewegung in Afghanistan unterstützt. Während Taliban und al-Quaida ihre Position so sehr ausgebaut haben, dass sie der Regierung der Nordwestprovinz Ultimaten stellen können, schwankt die Regierung in Islamabad zwischen militärischem Durchgreifen und Kompromissen mit den militanten Fundamentalisten.

Bei seinem Besuch in Afghanistan fand Bundesaußenminister Steinmeier am 26. Juli 2008 ungewohnt deutliche Worte: „Wir schauen mit Sorge auf Pakistan.” Steinmeier zeigte sich sehr beunruhigt über die sich weiter verschärfende Sicherheitslage in Afghanistan - und forderte das Nachbarland zu kooperativem Verhalten auf. Die Gesamtlage in der Region empfinde er als immer kritischer.

Die nachfolgende Analyse beschreibt die dramatische Lage in der an Afghanistan grenzenden Nordwestgrenzprovinz, sucht nach Hintergründen für das Chaos und die Beherrschung weiter Landesteile durch militante Taliban. (Zum Verhältnis Pakistan - Afghanistan und zur Haltung Pakistans zum Antiterrorkampf im Nachbarland siehe auch Pakistan: Ein Staat in der Dauerkrise und sein Verhältnis zu Afghanistan.)

Am 5. Juli 2008 wurde dem in Dubai angesiedelten TV-Sender AryOne World TV ein Videoband zugespielt, auf dem die Führungsriege von al-Qaida um Al Zawahiri und Osama bin Laden anlässlich des bevorstehenden Jahrestags der gewaltsamen Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad zur Rache für die dabei ums Leben gekommenen „Märtyrer“ aufrief. Legitime Ziele von Anschlägen seien Polizeikräfte, Militär und Regierung in Pakistan und generell die internationalen Besatzer in Afghanistan. Der Aufruf muss auf fruchtbaren Boden gefallen sein, denn zwei Tage später tötete ein Selbstmordattentäter 19 Polizisten bei einem Anschlag in der Nähe der Roten Moschee. Am Jahrestag selbst schworen 3.000 Frauen mitten in Islamabad, ihre Kinder dem militanten Dschihad zu weihen.

Der erwähnte Aufruf zeigt, dass al-Qaida-Zellen verstärkt mit pakistanischen Taliban zusammenarbeiten. Mittlerweile ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass Mitglieder von al-Qaida im pakistanischen Fernsehen zu sehen sind. Sie erklären, Selbstmordattentate seien mit dem Koran vereinbar, rechtfertigen den Anschlag auf die Dänische Botschaft und räumen mit der in Pakistan weitverbreiteten Mär auf, eine jüdische Verschwörung habe hinter den Anschlägen des 11. September gesteckt. Immer mehr sieht es so aus als könnte sich der Kampf gegen den Terrorismus von Irak und Afghanistan hin nach Pakistan verlagern. Am 17. Juli 2008 haben ISAF-Truppen erstmals zugegeben, dass sie Anti-Terror-Operationen auf pakistanischem Gebiet durchführten.

Erschreckende Bilanz

Die Bilanz ist erschreckend. 2003 kamen in Pakistan bei Bombenanschläge und Selbstmordattentate „nur“ 189 Menschen ums Leben. 2006 waren es 1.471 Opfer, 2007 3.599. Zwischen Jahresanfang und dem 17. Juni 2008 gab es bereits 1.440 Tote. Da weder die Presse noch staatliche Organe diese Statistik des Schreckens führen, sind Beobachter auf Zahlen unabhängiger Institute angewiesen. (1) Ihr erstes Ziel, die Öffentlichkeit und Regierungsvertreter einzuschüchtern, haben die Militanten jedenfalls erreicht. Ein Indiz dafür ist ein kürzlich ergangener Erlass der Armee. Aus Angst vor Attentaten ist es ab sofort keinem hochrangigen Offizier mehr erlaubt, außerhalb des Dienstes Uniform zu tragen. Es ist kaum noch verwunderlich, wenn, wie unlängst geschehen, die pakistanischen Taliban, der Regierung der Nordwestgrenzprovinz öffentlich eine Frist von fünf Tagen setzen, innerhalb derer sie abdanken solle – andernfalls werde es blutige Konsequenzen geben. Erstaunlich ist allerdings, dass die Regierung mit einer Pressekonferenz ernsthaft auf dieses Ultimatum reagierte. Terroristen werden so zu Gesprächspartnern.

Pakistanische Besonderheiten

Warum nun ist gerade Pakistan so anfällig für den militanten islamischen Dschihad? Warum gehen Dschihadis in Pakistan mit „größerer Freude in den Tod als die Nichtgläubigen im Westen je gelebt haben“, wie es auf einer einschlägigen Website heißt?

Eine aggressive Form des islamistischen Fundamentalismus begann in den letzten drei Jahren mit einer Talibanisierung in den Grenzgebieten zu Afghanistan. Diverse militante Dschihadi-Gruppen wandten sich von Afghanistan und Kaschmir ab und hin zu innenpolitischen Zielen in Pakistan. Die Extremisten vertreten eine ultrakonservative Auslegung der Scharia und führten wegen angeblicher Verstöße gegen den Islam brutale Strafaktionen durch. Ab Anfang 2007 wurden Musik- und Videoläden sowie Friseurgeschäfte angegriffen und Mädchenschulen in den Stammesgebieten in Brand gesetzt. Im Herzen Islamabads wurde die sogenannte Lal Masjid (Rote Moschee) und die ihr angeschlossene Madrassa Jamia Hafsa zu einem Zentrum wahabitisch-extremistischer Lehre und Praxis. Geiselnahmen, die Besetzung einer staatlichen Kinderbibliothek, Erpressungen sowie Propaganda gegen den Staat Pakistan waren an der Tagesordnung. Eine Lieferung von Waffen und Munition in die Madrassa wurde von der Polizei noch abgefangen, fand danach aber auf offenkundige Intervention staatlicher Stellen doch statt. Die Führung der Moschee wurde offensichtlich von einflussreichen Kreisen protegiert.

Eskalation an der Roten Moschee 

Erst nachdem chinesische Staatsbürger entführt und getötet wurden und Peking deswegen protestierte, sah sich die Regierung zum Eingreifen gezwungen. Die Situation war da allerdings schon eskaliert. Die Leitung der Lal Masjid- Madrassa hielt 1.200 Studenten und Studentinnen praktisch als Geiseln, gewährte den Eltern keinen Zugang mehr und hatte den Moscheekomplex zu einer schwer bewaffneten Festung ausgebaut. Militärische Einheiten stürmten den Komplex am 11. Juli 2007. Bei der dreitägigen Operation gab es hunderte Tote, das pakistanische Fernsehen übertrug live. Die Bilder von Rauchsäulen über einer Moschee wirkten verstörend. Das fragwürdige Vorgehen der Behörden führte letztlich zu einer Stärkung der Dschihadi-Organisationen, vor allem der pakistanischen Taliban. Sofort nach dem Fall der Roten Moschee wurde öffentlich zur Rache für die Märtyrer aufgerufen, al-Qaida erklärte die pakistanische Regierung zum legitimen Ziel im Dschihad. Dies setzte eine Welle von Selbstmordattentaten vor allem auf staatliche Einrichtungen wie Armee und Polizei in Gang, die bis Mitte 2008 unvermindert anhält. Der Bevölkerung wurde durch die Propaganda der Extremisten der Eindruck vermittelt, bei den Auseinandersetzungen handele es sich um einen Konflikt zwischen Staat und Religion. Die ambivalente Haltung der Öffentlichkeit zum Einsatz des eigenen Militärs gegen militante Taliban in Pakistan ist von daher nachvollziehbar.

Positionierung der religiösen Kräfte zum Terrorismus

Äußerst ambivalent sind auch die Stellungnahmen der Mullahs zum bewaffneten Kampf und zu Selbstmordattentaten. Noch destabilisierender ist die Haltung der religiösen Gruppen, die in vielerlei Hinsicht auf die pakistanische Gesellschaft einwirken. Diese Gruppen profitieren bis heute von der Islamisierungspolitik des Diktators Zia ul-Haq aus den 1970er Jahren. Seit 1999 konnten sie durch politische Kampagnen gegen das Musharraf-Regime große Teile der Öffentlichkeit auf ihre Seite bringen. Ein weiterer, bedeutender Faktor hinter dem wachsenden Einfluss dieser Gruppen ist, dass seit den 1980er Jahre die Abschlüsse der nichtstaatlichen Koranschulen (Madrassas) denen der staatlichen Universitäten gleichsetzt sind. Absolventen von Madrassas konnten seither ihren Einfluss auf den öffentlichen Dienst des Landes ausweiten.

Mit der MMA (Muttahida Majlis-e-Amal) hat sich seit 2002 ein religiöses Bündnis verschiedener Parteien als ernstzunehmende Kraft in der pakistanischen Politik etabliert. Bei allen Wahlen erfuhr die MMA Unterstützung aus dem militärischen Lager und von Präsident Musharraf, der so hoffte, ein Gegengewicht zu den säkularen Oppositionsparteien zu schaffen. Das MMA-Bündnis setzt sich aus sehr heterogenen religiösen Parteien zusammen, wobei die der deobandischen Lehre nahe stehenden sunnitischen Parteiorganisationen Jama’at-e-Islami (JI) und Jamiat Ulema-e-Islam (JUI) dominieren. Das islamische Seminar von Deoband (Dar al-’Ulum) steht für eine puritanische Tradition innerhalb des sunnitischen Islam. Die Lehre dient vielen religiösen Bewegungen und islamistischen Gruppen, deren Köpfe – wie der Taliban-Führer Mullah Omar – oft selbst Schüler des Deoband-Seminars sind, als ideologisches Leitbild. Daneben gibt es noch die Jamiat Ulema-e-Pakistan, die sich, als Gegenströmung zu den Deobandi, auf die sufische Barelwi-Schule beruft. Ihre Lehre verbindet den traditionellen Volksislam mit Sufismus, dem Schrein- und Heiligenkult. Den religiösen Parteien stehen zudem schiitische und wahabitische Gruppen nahe.

Bündelung der fundamentalistischen Kräfte

Obwohl die MMA offiziell Gewalt ablehnt, zeigt sie offen Sympathie für die Taliban, unterstützte die Führung der Roten Moschee und kritisierte das militärische Vorgehen Musharrafs gegen die Aufständischen in der Nordwestgrenzprovinz. Ethnisch sind die Parteien überwiegend paschtunisch und stehen damit für das konservativ-traditionelle Islamverständnis der Stämme im paschtunischen Gürtel entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die schon 1941 gegründete JI stellt innerhalb des Bündnisses der MMA die führende religiöse Partei dar. Nach der Lehre ihres Gründers Abu’ l-A’la Maududi soll die Partei mittels einer islamischen Revolution ein „demokratisches Kalifat“ errichten. Die Partei pflegt offen Kontakte zu den Taliban und zu al-Qaida. Khalid Sheikh Mohammad, der sich zum Mord an dem Journalisten Daniel Pearl und zur Planung der Anschläge vom 11. September bekannte, hielt sich, als er 2003 verhaftet wurde, in einem Haus der Frauenorganisation dieser Partei in Rawalpindi auf.

Die militant-fundamentalistischen Gruppierungen wollen die „Herrschaft der Religion“, um so den Willen Gottes zu vollstrecken. Dieses Ziel soll Staatskonzept und Gesellschaftsentwurf zugleich sein. Obwohl die JI anfangs nur eine kleine Bewegung und wenig in Mittelschicht und städtischem Bürgertum verankert war, wurde sie schnell zu einer schlagkräftigen Organisation. Insbesondere der Ausschluss anderer Glaubensrichtungen, etwa der Ahmadiya-Bewegung, war Teil ihres Programms. Ende der 1970er Jahre wurden die Ahmadis per Parlamentsbeschluss aus der Gemeinschaft der Muslime ausgeschlossen. Dies war der erste politische Sieg der fundamentalistischen religiösen Bewegung. Heute dominiert die JI innerhalb der MMA. Ihre Forderungen nach religiös begründeten Änderungen der Verfassung unterstreicht die Partei regelmäßig durch den Boykott von Parlamentssitzungen und durch Demonstrationen. Ausgeführt werden die Aktionen der Partei zumeist durch ihre studentische Organisation Islami Jamiat Talaba. Die innerreligiösen Spannungen zwischen den islamischen Strömungen äußern sich in Kämpfen zwischen sunnitischen und schiitischen Organisationen. Zu den berüchtigtsten Gruppierungen gehört die sunnitische Sekte Sipah-e Sahaba-e Pakistan. Offiziell ist sie in Pakistan verboten; die US-Regierung stuft sie als terroristische Organisation ein. Dennoch operiert sie nach wie vor in der Provinz Punjab. Die Miliz Sipah-e Mohammadi ist ihr schiitischer Gegenpart. Besonders in der Nordwestgrenzprovinz und den Federally Administered Tribal Areas FATA (2) sind zudem militante Dschihadi-Gruppen aktiv, die sich mit al-Qaida-Zellen verbündet haben.

Pakistanische Taliban und die Reaktion der politischen Klasse

Eine besorgniserregende Entwicklung ist die seit dem Sommer 2007 zu beobachtende Ausdehnung der militanten Gruppen auf reguläre Distrikte der Nordwestgrenzprovinz. Vor allem Gebiete nördlich und südlich der Provinzhauptstadt Peshawar sind im Visier. Das pakistanische Militär versuchte, Teile der Provinz zurückzuerobern: Allein zwischen Juni und November 2007 kommen Schätzungen auf etwa tausend Opfer sowohl unter den Sicherheitskräften und der Zivilbevölkerung als auch unter den aufständischen Taliban. Waffenstillstandsabkommen zwischen dem Militär und Vertretern der Stämme deuten darauf hin, dass die effektive Bekämpfung von Aufständen und die Eindämmung islamistischer Operationen die Sicherheitskräfte überfordert. Die für diese asymmetrischen Kriege nicht ausgebildete Armee sieht sich durch hohe Verluste und Fälle von Fahnenflucht dazu gezwungen, mit lokalen Stammesführern zu kooperieren.

Seit November 2007 hat sich die Lage noch dadurch verschärft, dass sich 40 bisher lose in den Stammesgebieten der FATA agierende Talibanzellen zu einem landesweiten Dachverband TTP (Tehreek-e-Taliban Pakistan) zusammengeschlossen haben, der sich mittlerweile gut organisiert auch in die politische Debatte einmischt. Die TTP unterhält ein Verbindungsbüro samt Pressesprecher in Islamabad und hat mit Mullah Obaidullah Mehsud einen Präsidenten gewählt, der in der FATA-Agency Südwaziristan ein Talibanregime aufgebaut hat. Dieses Regime lässt angebliche Spione und Feinde des Islam öffentlich enthaupten und steckt hinter Selbstmordanschlägen.

Die Regierung gibt nach

Die Regierung Gillani erklärte nach ihrem Amtsantritt am 29. März 2008, sie wolle die Antiterror-Politik überprüfen. Erstes greifbares Resultat ist ausgerechnet die Zustimmung Islamabads zur von den Taliban geforderten Wiedereinführung des islamischen Scharia-Rechts im Distrikt Malakand der Nordwestgrenzprovinz. Ein entsprechendes Übereinkommen wurde am 13. Mai zwischen der Regierung der Provinz und den pakistanischen Taliban ausgehandelt. Einen Tag später kam es in Waziristan zwischen der Armee und den Taliban zu einem Austausch von Gefangenen. Das Armeehauptquartier in Rawalpindi hat seine Bereitschaft signalisiert, den Aufständischen in FATA und in vielen Distrikten der Provinz weitgehende Zugeständnisse zu machen. Dazu gehört auch die Ablehnung eines Angebots der US-Regierung, für Armee und Grenztruppen ein Trainingsprogramm zu Terrorbekämpfung durchzuführen. Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass direkte Verhandlungen mit den militanten Kräften wenig sinnvoll sind. Erfolg versprechen sie nur, wenn sie mit den Stammesführern selbst geführt werden. Militärische Operationen der NATO auf pakistanischem Territorium, zuletzt am 10. Juni 2008 im Stammesgebiet der Mohmand und am 14. Juli 2008 in Bajaur, die zahlreiche Todessopfer forderten, machen es der Regierung schwer, als verlässlicher Verhandlungspartner akzeptiert zu werden.

Diktat der Amerikaner?

In Pakistan wird die Forderung lauter, eine Gesamtstrategie für die Stammesgebiete zu entwickeln und die Präsenz amerikanischen Personals in Pakistan „auszudünnen“, zu den Amerikanern auf Abstand zu gehen und durch eine „glaubhafte, nationale Anstrengung“ die Unterstützung der Stämme im Kampf gegen die Terroristen zu erlangen. Die neue Regierung muss sich zunehmend des Vorwurfs erwehren, in grundlegenden Fragen nur dem „Diktat der Amerikaner“ zu folgen. Während Musharraf für viele Millionen Dollar über 600 des Terrorismus verdächtigte Pakistaner an die USA „verkauft“ habe, so der Vorwurf, erhalte die neue Regierung für ihr Eingehen auf US-amerikanische Interessen eine „Spende“ von 750 Millionen US-Dollar für Entwicklungsprojekte in FATA, die dazu führten, dass Werte und Traditionen verschwinden.

In einem Klima gegenseitiger Schuldzuweisungen und Verdächtigungen, das in Pakistan mit seiner anti-amerikanischen Grundstimmung besonders gut gedeiht, droht die Politik bei der Hauptaufgabe im Kampf gegen den Terrorismus zu versagen: Zuallererst muss die Bevölkerung davon überzeugt werden, dass die militanten Taliban und al-Qaida die größte Bedrohung Pakistans sind, der „Feind im eigenen Haus“. Zu diesem Thema hat es bis heute keine einzige Debatte in der Nationalversammlung gegeben – ein Zeichen, das Zweifel aufkommen lässt, ob es der politischen Klasse Pakistans gelingen kann, die Krise zu bewältigen.


Gregor Enste leitet das Büro Pakistan der Heinrich-Böll-Stiftung


 

Anmerkungen:

Anmerkungen:

(1) Laut www.crss.pk sieht eine Statistik des Jahres 2008 so aus:

Opfer
Zivil
Militär
Aufständische
Gesamt
Januar
88
111
455
654
Februar
182
33
30
245
März
137
26
41
204
April
80
25
16
121
Mai
61
30
37
128
bis 17. Juni
53
20
15
88
Gesamt
601
245
594
1440


(2) Die FATA sind Teil Pakistans und der Nordwestprovinz, allerdings nicht der normalen staatlichen und Verwaltungsstrukturen. Pakistanisches Recht gilt hier nicht, bzw. nur, wenn der Präsident dies im konkreten Fall jeweils so anordnet (Pakistanische Verfassung, Teil 12, Kapitel 3, Paragraph 247(3); online: www.pakistani.org/pakistan/constitution/part12.ch3.html). Stattdessen gilt weiterhin Recht aus der Kolonialzeit, die Federal Crimes Regulation von 1901. Danach erfolgt die Durchsetzung minimaler Ordnung durch Anreize und Kollektivstrafen gegenüber den einzelnen Stämmen, die selbst für Sicherheit und Ordnung verantwortlich sind. Insbesondere seit dem Krieg gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans gerieten die Stämme allerdings in einen Prozess der internen Schwächung, da einerseits militärische Kommandanten die Autorität der maliks (Stammesführer) untergruben, andererseits die Rolle der mullahs ebenfalls auf Kosten der maliks gestärkt wurde, die nunmehr universalistisches religiöses Recht stärker gegen traditionelles und partikulares Stammesrecht zur Geltung brachten. Nach der US-Eroberung Afghanistans im Herbst 2001 flohen zwischen 700-2000 internationale Kämpfer (Usbeken, Tschetschenen, Araber; meist mit Bindungen an al-Qaida) in die FATA, wo sie von den Stämmen wohlwollend aufgenommen wurden. Es bildeten sich auch lokale, paschtunische dschihadistische Gruppen, die sich zuerst Mujaheddin, dann pakistanische Taliban nannten. Als die pakistanische Armee im Zuge des US-„Krieges gegen den Terrorismus“ seit 2002 – und massiv und dauerhaft ab 2004 (mit bis zu 120.000 Soldaten) – zum ersten mal in der Geschichte in den autonomen Stammesgebieten einmarschierte, traf dies auf breiten Widerstand. Einerseits betrachtet man den Einsatz als Einmischung in die lokale Autonomie, darüber hinaus als im Auftrag der USA unternommen, als flankierende Maßnahme des US-Afghanistankrieges. Damit werden die pakistanischen Truppen in der FATA (und darüber hinaus) häufig als Besatzungstruppen empfunden, was zu wachsendem militärischem Widerstand führt. Die häufigen „Kollateralschäden“ unter der Zivilbevölkerung heizen diesen massiv an und lösen eine heftige Terror-Kampagne aus, die in die Städte (z.B. Peshawar) und andere Landesteile ausstrahlt. Die Gewalt wird z.T. religiös ideologisiert und mit der schwindenden Legitimität der Regierung Musharraf verknüpft, die aus der außenpolitischen Bindung an Washington und der Missachtung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie resultiert. (vgl. Jochen Hippler, Das gefährlichste Land der Welt? Kiepenheuer & Witsch, 2008)