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Der lange Weg von Ehud Olmert aus dem Amt

Ehud Olmert bei einer Rede in São Paulo, 2005
Foto: Antonio Milena/ABr
Dieses Bild steht unter eine Creative Commons-Lizenz.

31. Juli 2008
Von Jörn Böhme
Von Jörn Böhme, Leiter des Büros Israel der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv

Nun also doch - oder endlich: Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hat seinen Rücktritt angekündigt. Viele konnten es schon seit Monaten nicht verstehen.  Einige waren sogar fasziniert, wie dieser Mann dem Druck, der auf ihm lastete, widerstehen konnte. Dieser Druck war vor allem politisch, schloss aber seine eigene Familie mit ein, deren Mitglieder alle Wähler der linksliberalen Partei Meretz sein sollen.

Noch vor einigen Tagen kritisierte Olmert diejenigen, die seinen Rücktritt forderten heftig und griff auch das Vorgehen von Polizei und Justiz an. Man wolle ihn fertig machen. Yoel Marcus kommentierte das in der Tagezeitung mit den Worten, Olmert habe die Lage beim Vergießen seiner Krokodilstränen verkehrt herum dargestellt. Er sei derjenige, der den Staat Israel lynche.

Die Kommentarlage war seit geraumer Zeit verheerend für ihn. Olmert wurde aus seiner eigenen Partei und vom Koalitionspartner zum Rücktritt aufgefordert, von der Opposition sowieso. In dieser Situation wurden auch die politischen Initiativen von Olmert und seiner Regierung nicht mehr ernst genommen. Alles wurde mit seinem Versuch in Verbindung gebracht, unter allen Umständen seine eigene Haut als Ministerpräsident zu retten.

Nun hat schlussendlich nicht primär der Libanon-Krieg vom Sommer 2006, sondern eine endlose Kette von Korruptionsaffären Olmerts politische Karriere beendet. Dass sie beendet ist, wird allgemein angenommen. Nur wenn er seinen Rücktritt wesentlich früher angekündigt und vollzogen hätte, wäre vielleicht eine Chance auf ein politisches Comeback geblieben.

Noch ist Olmert nicht zurückgetreten. Seine Entscheidung wird mit derjenigen des ehemaligen britischen Ministerpräsidenten Blair verglichen: erst soll die Nachfolgeregelung geklärt werden, dann wird der Rücktritt vollzogen. Seine Partei Kadima wird aber erst im September einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin wählen. Ob und wie erfolgreich eine Regierung zusammengestellt werden kann, wird bereits von manchen Kommentatoren angezweifelt. Falls eine Nachfolgeregierung aber keinen Bestand hat und Neuwahlen angesetzt werden, könnte Olmert noch bis Februar oder März 2009 Ministerpräsident sein.

Um seine Nachfolge für den Vorsitz der Kadima-Partei und die Position des Ministerpräsidenten ringen vier Personen, von denen jedoch nur zwei Aussicht auf Erfolg haben: die derzeitige Außenministerin Tzipi Livni und der derzeitige Verkehrsminister Shaul Mofaz.

Tzipi Livni war eine enge Vertraute des Olmert Vorgängers Ariel Sharon. Sie kommt aus einem rechtsnationalistischen Elternhaus, hat sich aber von dieser Position weit entfernt und steht heute für einen politischen Ausgleich mit der palästinensischen Seite. Auf der anderen Seite soll sie hinsichtlich der Regelung der palästinensischen Flüchtlingsfrage sehr strenge Positionen vertreten. Außerdem macht sie zuweilen Äußerungen, die mit einer kompromissbereiten Haltung nicht zu vereinbaren sind. So sagte sie, ein Kompromiss mit der palästinensischen Seite sei erst denkbar, wenn diese den Begriff „Naqba“ aus ihrem Vokabular streichen würden. Dieser Begriff bedeutet Katastrophe und wird von den meisten Palästinensern für die Ergebnisse des Krieges von 1948, der zur Gründung des Staates Israel und zur Flucht und Vertreibung von etwa 750.000 Palästinensern führte, verwendet.

Shaul Mofaz kam nach der Abspaltung von Kadima vom Likud erst zu Kadima als klar war, dass er gegen Bejamin Netanyahu keine Chance hatte, die Führung des Likud zu erlangen. Er erregte vor kurzem Aufsehen mit der Aussage, die Sanktionen gegen den Iran seien nicht wirksam und man müsse militärisch gegen das iranische Militärprogramm vorgehen. Im vergangenen Jahr lief im israelischen Fernsehen eine Dokumentation, in der ehemalige Militärs und Politiker zu Protokoll gaben, er habe im Jahr 2000 zu Beginn der zweiten Intifada als Generalstabschef systematisch Entscheidungen der israelischen Regierung ignoriert und damit die Eskalation der Auseinandersetzung gefördert. In manchem anderen demokratischen Staat würde jemand wie Shaul Mofaz vermutlich kein politisches Amt mehr bekleiden.

Im Moment lässt sich schwer sagen, wer von den beiden aussichtsreichen Kandidatinnen das Rennen machen wird. Es gibt jedoch bereits Spekulationen, dass Tzipi Livni und ihre Anhänger und Anhängerinnen Kadima verlassen, wenn Shaul Mofaz die Wahlen zum Vorsitzenden gewinnen würde. Das wäre vermutlich eine der Situationen, die Neuwahlen notwendig machen würden. Wie lange Ehud Olmert noch Ministerpräsident sein wird bleibt also offen.

Was bedeutet die politische Ankündigung von Olmert für das so stark durch innere und äußere Konflikte geprägte Land? Die Verhandlungen mit Syrien werden weitergehen, aber mit Ergebnissen ist angesichts der Lage kaum zu rechnen. Viel wird dabei von der Haltung der nächsten US-Administration abhängen. Hinsichtlich der israelisch-palästinensischen Verhandlungen glauben ohnehin nur wenige an nennenswerte Fortschritte in absehbarer Zeit. In welchen Komplexitäten man sich hier befindet, zeigt die Ankündigung des palästinensischen Präsidenten Abbas, er werde die palästinensische Autonomiebehörde auflösen, falls Israel im Gegenzug für die Freilassung des entführten Soldaten Shalit inhaftierte Hamas-Mitglieder des palästinensischen Parlamentes freilassen werde. Es wird also weiterhin viel konzeptionelles und politisches Denken sowie Hilfe, Unterstützung und Druck von innen und außen nötig sein, um mit diesem Konflikt in einer angemessenen Weise umzugehen.

Inwieweit es der politischen Klasse in Israel gelingen wird, den verbreiteten Entpolitisierungstendenzen entgegenzuwirken und Vertrauen zurück zu gewinnen, dass unter anderem durch die Regierung Olmert verspielt wurde, ist offen. Ein Indikator könnten die Kommunalwahlen Anfang November sein. Jedenfalls ist jetzt klar, dass diese zum vorgesehenen Zeitpunkt am 11. November stattfinden können, da unter den neuen Gegebenheiten dieser Termin für vorgezogene Parlamentswahlen zu früh ist.