27. September 2007
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
Ihr Brief an die Mitglieder unserer Partei gibt uns zu denken. Er hat uns aber auch gefreut. Ihre Wahrnehmung unseres Parteitages zu Afghanistan entspricht dem Bild, das von etlichen unserer politischen Gegner in Deutschland und von vielen Medienberichten erzeugt wurde. Das öffentlich gezeichnete Bild verzerrt allerdings unsere Debatte und unsere Meinung. Erfreut sind wir darüber, dass Sie trotzdem den Dialog mit uns suchen und unserer Partei und unserer Politik soviel Gewicht beimessen. Unsere Aufgabe als Oppositionspartei ist es, sich kritisch mit der Regierungspolitik in Deutschland auseinanderzusetzen und gleichzeitig konstruktive Vorschläge für eine aus unserer Sicht richtige Politik zu machen. Das war auch das Ziel des Parteitages, der sich als einziger in Deutschland ausschließlich mit der Afghanistanpolitik beschäftigt hat.
Vieles von dem, was Sie schreiben, wurde so oder ähnlich auch in unserer Debatte gesagt. Der Beschluss unseres Parteitages bekennt sich klar zur Verantwortung für Afghanistan und für ein deutsches Engagement. Ausdrücklich bezieht er dabei die Bundeswehr im Norden Afghanistans ein: „So lange zum Aufbau von Polizei und Infrastrukturen noch eine militärische Absicherung erforderlich ist und so lange diese nicht vom afghanischen Militär bzw. der afghanischen Polizei gewährleistet werden kann, so lange ist der Abzug der deutschen Bundeswehreinheiten nicht vertretbar.“
Die Situation in Afghanistan erfüllt uns alle mit Sorge. Neben den unbestreitbaren Erfolgen sehen wir sehr beunruhigende Entwicklungen. Terroristen müssen bekämpft werden. Aber selbst hohe Militärs sagen uns, dass OEF und der „War on Terror“, der in diesem Rahmen geführt wird, kontraproduktiv ist. Dies wurde bereits mehrmals auch von Präsident Karsai beklagt. Ebenso kritisieren wir das Missverhältnis zwischen militärischem und zivilem Engagement. Denn die ISAF-Soldaten sollen ja der Sicherung des zivilen Aufbaus dienen und Hilfe bei der Wahrung von innerer Sicherheit und der
Menschenrechte leisten.
Der Polizeiaufbau geht nicht gut voran. Wir wissen, wie wichtig der Aufbau einer funktionierenden Polizei für das Land und gerade auch für die afghanischen Frauen ist. Statt auf diese Herausforderungen zu reagieren, hält die deutsche Regierung unkritisch an OEF fest, verschiebt den Polizeiaufbau nach Europa und gibt viel Geld aus für einen Tornadoeinsatz, dessen Nutzen umstritten ist. Diese Politik kritisieren wir. Unser Parteitag hat beschlossen, zur Priorität des zivilen Aufbaus und zur militärischen Assistenz durch ISAF Ja zu sagen und Nein zu OEF und zum Tornadoeinsatz. Er hat der Bundestagsfraktion auch empfohlen, das taktische Manöver der Bundesregierung, das Mandat von ISAF und Tornado zusammen zu legen, in ihr Abstimmungsverhalten mit einzubeziehen. Denn dieses Manöver nimmt die Möglichkeit, in der Abstimmung zwischen ISAF, das alle befürworten, und dem Tornado-Einsatz, den viele ablehnen, zu differenzieren.
Obwohl die Zeit drängt, erleben wir eine Bundesregierung, die Augen und Ohren verschließt. Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung ist ein Konzept für ein falsches „Weiter so“, das sich um die notwendigen Konsequenzen drückt. Nötig ist unserer Ansicht nach ein grundlegender Strategiewechsel auf allen Ebenen, zivil und militärisch. Deshalb fordern wir ein neues Konzept, das der Hilfe bei Entwicklung und Wiederaufbau mehr Gewicht gibt.
Der Beschluss, den der Parteitag gefasst hat, soll die Bundesregierung unter Druck zu setzen, damit sie eine bessere Politik für Afghanistan betreibt. Jetzt können wir darüber streiten, ob dieses Vorgehen richtig oder falsch ist. Richtig ist, dass viele Parteimitglieder militärischen Einsätzen gegenüber skeptisch sind. Besondere Sensibilität in Fragen von Krieg und Frieden ist aber nichts, wofür wir glauben uns schämen zu müssen. Falsch bleibt, dass wir unsolidarisch mit Afghanistan sind. Im Gegenteil, Afghanistan gehört unsere Solidarität.
Es ist genau so, wie Sie in Ihrem Brief sagen. Wir wollen nicht auf halbem Weg aufgeben, sondern „gemeinsam überlegen, was wir falsch gemacht haben.“ Unser Ziel ist es, gemeinsam mit Ihnen an Wiederaufbaustrategie und Staatsbildung zu arbeiten.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Roth und Reinhard Bütikofer