Denver, den 26.8.2008
Es fing zäh an und endete grandios. Der zweite Tag der Democratic National Convention plätscherte lange vor sich hin, nur selten unterbrochen durch einen lebhaften Ton und eine originelle Wendung. Rhetorisches Talent ist offenbar auch in den USA ein knappes Gut.
Ging es gestern um den guten Menschen Obama und seine herzerwärmende Familie, wurde heute der programmatische Teil des Kongresses eröffnet. Das Leitthema hieß „economy“. Man darf sich das aber nicht so vorstellen, dass die Partei ein ökonomisches Programm diskutiert, mit dem sie das Land in den nächsten Jahren nach vorn bringen will: Von einer makroökonomischen Strategie war so wenig die Rede wie von konkreten Vorhaben, Initiativen und Finanzierungsfragen. Niemand machte sich die Mühe, die ökonomische Lage des Landes einer genaueren Analyse zu unterziehen.
Schon diese Erwartung beruht auf einem Missverständnis. Nominierungsparteitage sind keine Diskussionsforen, sondern Inszenierungen zur Produktion von Botschaften und zur Ausrichtung der eigenen Truppen auf die bevorstehende Wahlschlacht. Dabei geht es nicht um fein ziselierte Konzepte, sondern um Grundbotschaften und Grenzmarkierungen: Wofür stehen wir im Gegensatz zu den anderen?
Die ökonomische Agenda
Diese Botschaften werden holzhammerartig in bescheidenen Variationen endlos repetiert, wobei die Delegierten erstaunlicherweise der ständigen Wiederholung des Immergleichen nicht überdrüssig werden. Hier also in Kurzfassung die ökonomischen Kernbotschaften des Parteitags:
- Chancengleichheit, sozialer Aufstieg durch Bildung für alle
- Stärkung der Innovationsfähigkeit der US-Ökonomie
- Energieunabhängigkeit: „Creating green jobs at home instead of borrowing money from China to buy oil from the Saudis“; alternative Energien als Jobmaschine
- Bezahlbare Gesundheitsversorgung für alle – ein Herzensanliegen, aber das WIE bleibt im Dunkeln
- Modernisierung der Infrastruktur, vom Straßensystem bis zu schnellen Datennetzen.
Das war’s im Wesentlichen auch schon. Das heikle Thema Steuerpolitik erschöpfte sich in Kritik an Steuererleichterungen für die Reichen und für Großunternehmen; konkrete Antworten auf die akute Krise des Immobilienmarkts waren nicht im Angebot. Auch hatte niemand ein Problem damit, die Republikaner heftig wegen der astronomischen Staatsverschuldung zu attackieren und im nächsten Satz fröhlich mehr öffentliche Ausgaben zu fordern. Als einzige Finanzierungsquelle taucht immer wieder die Beendigung des Irakkrieges auf: Die Erinnerung an die Parole „Bildung statt Bomben“ lag nicht fern.
Auffällig war, dass der Rückzug aus dem Irak, ein anderes Herzensanliegen der Delegierten, bisher ausschließlich aus innenpolitischen Gründen gefordert wurde: der Krieg kostet zu viele Amerikaner das Leben und er ist zu teuer. Aber vielleicht kommt da noch was: Außenpolitik soll am Donnerstag noch Thema sein.
Dagegen wurde reichlich serviert, was Kritiker am ersten Tag vermissten: „red meat“, also polemische Angriffe auf John Mc Cain. Auch hier kehrten in jeder Rede die immer gleichen rhetorischen Wendungen wieder: „John Mc Cain – more of the same“. Mc Cain wird als Mann von gestern und Kandidat des großen Geldes porträtiert; vor allem aber als politischer Erbe von George Bush, der dem notwendigen Umschwung im Wege steht.
Ob diese Strategie angesichts der notorischen Unabhängigkeit Mc Cains aufgeht, wird sich zeigen – die Chancen stehen nicht schlecht, weil der republikanische Kandidat auf die eigene Partei zugehen und ihre Reflexe bedienen muss, um ihre Unterstützung im Wahlkampf zu gewinnen. Der größte Unterschied zwischen den beiden Präsidentschaftsanwärtern besteht aber nicht in ihrer politischen Richtung – er liegt in ihrer Persönlichkeit selbst, in ihrem Auftritt und ihrer Ausstrahlung. Hier kommt unweigerlich das Alter ins Spiel. Was Mc Cain an Erfahrungsvorsprung reklamiert, wendet sich gegen ihn, wenn man seinen Auftritt mit dem Obamas vergleicht: hier der quicklebendige, energiegeladene, charmante, lockere Newcomer, die verkörperte Zukunftshoffnung – dort ein verdienter Veteran, der sichtbar über seinen Zenit hinaus ist, mit starrer Miene und steifer Haltung, fast eine tragische Figur: ein Mann, für den die Chance seines Lebens zu spät kommt.
Der Tag neigte sich dem Ende zu, die Begeisterung hielt sich in Grenzen, als der Parteitag doch noch Fahrt aufnahm. Überraschungsstar des Abends war der Gouverneur von Missouri, Brian Schweitzer, der sich als Farmer vorstellte und einen fulminanten Appell für eine grüne Energiewende hinlegte: „We need to break Americas addiction to foreign oil. We need a new energy system, which is grean, clean and American made” - gewürzt mit schwungvollen Ausfällen gegen Präsident Bush und Senator Mc Cain. Die Halle geriet in Wallung – gerade rechtzeitig zum Höhepunkt des Tages, der Rede von Hillary Clinton.
Hillary zeigt es allen
Schon seit Tagen war spekuliert worden, wie ihr der Bogen von einem erbitterten Vorwahlkampf gegen Obama zur Einigung der Partei gelingen würde. Von Versöhnung und sogar von Katharsis war die Rede, um die gegnerischen Lager wieder zu vereinigen. Sie meisterte diese Gratwanderung mit Würde, Glanz und Gloria. Der Parteitag kam ihr allerdings auch weit entgegen. Sie wurde nicht als Verliererin empfangen, die jetzt ihre Niederlage anerkennen muss, sondern als eine große Vorkämpferin der demokratischen Sache: „She has reached to the stars, and that’s what she will always do.“
Angekündigt von ihrer Tochter, wollten die Ovationen kein Ende nehmen, noch bevor sie das Wort ergreifen konnte. Und mit dem ersten Satz traf sie bereits mitten in die Seele des Parteitags: „I’m here tonight as a proud mother, a proud Democrat, a proud Senator from New York, a proud American – and I’m here with you as a proud supporter of Barack Obama.“
Sie ging noch einmal durch ihre politische Agenda, demonstrierte ihre Kompetenz und appellierte an ihre Anhängerinnen, weiter für die gemeinsame Sache zu kämpfen, statt John Mc Cain das Feld zu überlassen. Sie erwies Michelle Obama ihre Referenz – „she will be a great First Lady in the White House -, lobte Obamas designierten Vize Jo Biden ohne mit der Wimper zu zucken und brachte sogar noch ein elegantes Lob auf die Präsidentschaft Bill Clintons unter, an die Barack Obama anknüpfen werde: „We did it with Präsident Clinton and the Democrats, and we will do it again with Barack Obama and the Democrats.“ Der Parteitag lag ihr zu Füßen – und die Messlatte für die Abschlussrede Barack Obamas liegt sehr hoch.
Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.- Sämtliche Beiträge zum „Diary of Change“ - Ein Tagebuch zum Wechsel in Washington
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