Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Laudatio von Arsenij Roginski, Memorial Moskau

Lesedauer: 14 Minuten

16. Oktober 2008

Verehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,

mit Jurij Markowitsch Schmidt verbindet mich eine jahrzehntelange persönliche Freundschaft. Über einen alten Freund zu sprechen ist angenehm, aber auch schwierig. Als Historiker fällt es mir daher leichter, mit etwas weniger Persönlichem zu beginnen. Und da heute in erster Linie der Anwalt Jurij Schmidt geehrt werden soll, erscheint es mir angebracht, zunächst einige Worte über die Geschichte des russischen Anwaltswesens zu sagen.

Die Institution des Anwalts im modernen Sinne ist in Russland vergleichsweise jung. Sie entstand erst vor rund 150 Jahren, in der Zeit der großen Reformen in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Die wichtigsten dieser Reformen waren die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Justizreform. Erst seit jener Zeit etablierten sich in russischen Landen Prinzipien wie die Öffentlichkeit des Prozesses und das der gleichberechtigten Verhandlung der streitenden Parteien, entstanden Institutionen wie das Schwurgericht und Berufsstände wie der der ‚vereidigten Bevollmächtigten’, so nannte man damals die Anwälte. Russland bewegte sich in Richtung Europa und die Justizreform war der in der russischen Geschichte beispiellose Versuch, europäische Rechtsvorstellungen in das gesellschaftliche Bewusstsein und das Staatsdenken Russlands einzuführen.

Die folgenden rund fünfzig vorrevolutionären Jahre gelten zu Recht als das goldene Zeitalter des russischen Anwaltswesens. Die Großen der Anwaltszunft waren für das Entstehen einer neuen russischen Gesellschaft und Öffentlichkeit natürlich von immenser Bedeutung. Ihre Plädoyers wurden in den Zeitungen gedruckt. Zudem wurde der Jurist zu einem Massenberuf. Doch waren es unter den Juristen nur die Anwälte, die neben Ärzten, Lehrern, Ingenieuren und selbstverständlich den Literaten eine der tragenden Elemente jener Schicht bildeten, die gemeinhin als russische Intelligenz bezeichnet wird.

Was dann folgte, ist allseits bekannt. Ohne das System der unabhängigen Verteidigung vor Gericht formal abzuschaffen, reduzierten die Bolschewiki seine Rolle im Gerichtswesen praktisch auf Null. Die Anwälte waren diejenigen, die im Bereich der Rechtspflege über die wenigsten Rechte und Mittel verfügten. Und dies hatte seine Logik: Der Staatsanwalt klagte im Namen des Staates an und der Richter richtete im Namen des Staates. In wessen Namen aber sollte der Anwalt tätig sein? Im eigenen Namen? Im Namen des Gesetzes? Im Namen der Gerechtigkeit? Im Namen von Humanität und Barmherzigkeit? All diese Kategorien waren gegenüber dem allumfassenden „Staatsinteresse“ zu Marginalien erklärt worden. Die Rechtlosigkeit der Anwälte entsprang unmittelbar dem Umstand, dass sie unter den Juristen am weitesten von der einzigen Quelle aller Macht und allen Einflusses im Lande entfernt waren.

Diese Distanz hatte aber auch eine andere Seite, einen Vorteil eigener Art. Die Anwälte galten nicht als Staatsangestellte und die Anwaltskollegien waren formal keine staatlichen Einrichtungen, sondern galten eher als merkwürdige Standesgebilde, als eine Art Künstlervereinigung. Die sowjetischen Anwälte waren - anders als die Staatsanwälte und Richter - zu keiner Zeit ein Teil der staatlichen Elite. Umgekehrt wäre es niemandem in den Sinn gekommen, einen Richter oder Staatsanwalt der Intelligenz zuzurechen. Die Anwälte jedoch gehörten weiterhin zur Intelligenz.

Unter den Anwälten gab es einen Kreis von Leuten - einen kleinen zwar, aber das war nicht entscheidend -, die „das Feuer nicht ausgehen ließen“. Anfangs waren dies jene vereidigten Bevollmächtigten, die die Revolution heil überstanden hatten, dann deren Schüler, dann die Schüler ihrer Schüler. Als die Zeit der Massenmorde vorbei war, fanden sich unter den Anwälten Leute, die sich nicht fürchteten, eine der wichtigsten Traditionen der russischen Intelligenz wiederzubeleben, nämlich stets auf der Seite der Freiheit zu stehen. Zu ihnen gehörten u.a. Sofja Kallistratowa, Dina Kaminskaja, Boris Solotuchin – großartige Anwälte des letzten Drittels des vergangenen Jahrhunderts, die furchtlos in politischen Prozessen die hehre Rolle des Verteidigers übernahmen - und tapfer alle Folgen dieser Entscheidung ertrugen, bis hin zu beruflicher Ächtung und politischer Verfolgung.

Zu dieser Kohorte der „Schüler der Schüler“ gehört auch Jurij Markowitsch Schmidt. Es war ihm nicht vergönnt, in den politischen Prozessen der späten sechziger, der siebziger und beginnenden achtziger Jahre eine Verteidigung zu übernehmen, weil er schlicht und einfach zu diesen Prozessen nicht zugelassen wurde. Dabei hatte er versucht, das Recht auf die Verteidigung von Dissidenten wie Sergej Kowaljow und Anatolij Scharanskij zu erwirken. Es scheint, als habe der KGB genau gewusst, was er von einem Anwalt wie Schmidt zu erwarten hatte, und warum er keinesfalls den Auftritt eines neuen dissidentischen Anwalts auf der öffentlichen Bühne riskieren wollte. Für die Befürchtungen des KGB gab es viele Gründe.

So war man sich dort sehr wohl im Klaren, was für einer Familie Schmidt entstammte. Sein Vater war lange Jahre ein politischer Häftling gewesen, kein unschuldiges Opfer des Terrors sondern eben ein Politischer. Durch und durch Sozialdemokrat, hatte er sich seit seiner Jugend am Widerstand gegen die Bolschewiki beteiligt, wurde Ende der zwanziger Jahre erstmals verhaftet, und sein Leben bestand seitdem ständig aus Verbannung und Lagerhaft. Jurijs Mutter wurde ebenfalls aus politischen Gründen verbannt. So war es dann ein sibirisches Dorf, in dem sich die Eltern des zukünftigen Anwalts Mitte der dreißiger Jahre begegneten. Glücklicherweise konnte die Mutter relativ bald nach Leningrad zurückkehren. Dort wurde Jurij im Mai 1937 geboren, im gleichen Monat, in dem der Vater an seinem Verbannungsort erneut verhaftet wurde.

Jurijs ganzes Leben ist mit Leningrad verbunden. Hier überlebte er zusammen mit seiner Mutter die Blockade. Hier ging er zur Schule, und hier immatrikulierte er sich 1955 an der Universität. Über das Schicksal seines Vaters wusste er all diese Jahre nichts. Vater und Sohn begegneten sich erstmals im Jahre 1956, der Vater zählte damals 47 Jahre, von denen er 26 an den GULag verloren hatte - eine selbst für sowjetische Maßstäbe beeindruckende Zahl. Jurijs Vater lernten wir – unsere Gruppe junger Intellektueller  – Ende der sechziger Jahre kennen. Er wurde sofort einer unserer wichtigsten Lehrer. Für Jurij aber, der sich tagtäglich mit ihm unterhielt, war der Einfluss des Vaters wohl stärker als alle anderen.

Mitte der siebziger Jahre galt Jurij Schmidt, der 1960 die Universität absolviert hatte, bereits als einer der populärsten Anwälte Leningrads für allgemeine Strafsachen. Woher kam diese Anerkennung, in einem Land, in dem die Vorstellung tief verwurzelt war, dass „es schon seine Gründe haben wird, wenn jemanden eingebuchtet wird“, und wo schon das Wort „Beschuldigter“ praktisch „schuldig“ bedeutete? Der junge Anwalt war weniger wegen seiner eindringlichen Reden bekannt, als durch seine Gewissenhaftigkeit, die bis zur Penibilität reichte, durch seine wissensversessene Aufmerksamkeit gegenüber Details, und dadurch, dass er meisterlich mit den prozessualen Feinheiten operierte und vor allem die Rechte des Angeklagten bis zur wirklich letzten Möglichkeit verteidigte. Selbst dann, wenn der Angeklagte tatsächlich unschuldig war und ganz eindeutig nicht genügend Beweise für eine Schuld vorlagen, war  ein Freispruch nur selten zu erreichen. Aber es konnte helfen, und es gab nicht wenige Fälle, in denen es wirklich half und ein milderes, gerechteres Urteil gefällt wurde. Schwierigkeiten, zu denen ein solcher Verteidigungsstil führen konnte, auch ein drohendes Berufsverbot, konnten Jurij Schmidt nicht aufhalten.

Es gab aber noch etwas, wodurch Jurij Schmidt – ebenfalls Mitte der siebziger Jahre – Bekanntheit erlangte. Er gab unentwegt juristische Beratung, stets uneigennützig und des Öfteren erzwungenermaßen geheim, was dann eine umso wertvollere und notwendigere Hilfe war. Er hat vielen geholfen, etwa unserem gesamten kleinen Kreis der Leningrader Dissidenten, den vielen Aktivisten für eine jüdische Emigration aus der UdSSR und all jenen aus dem Bereich der Kultur, die Schwierigkeiten mit den Behörden hatten. Zu den letzteren gehörte auch der spätere Nobelpreisträger Iossif Brodskij, dem Jurij Schmidt nicht wenig zur Seite stand.

Wiederum Mitte der siebziger Jahre hat ein Artikel von Jurij Schmidt über die Handlungsethik des Anwalts im politischen Prozess weite Verbreitung im Samisdat gefunden. Anstoß zu diesem Artikel hatte die seinerzeit weit verbreitete Praxis gegeben, bei der Anwälte, die zu diesen Prozessen – nach geheimer Vorgabe des KGB - „zugelassen“ worden waren, auf die Angeklagten Druck ausübten. Sie bedrängten die Angeklagten, sich schuldig zu bekennen und öffentlich Reue zu zeigen, und stellten ihnen dabei eine beträchtliche Strafminderung in Aussicht, nämlich Verbannung oder gar eine Bewährungsstrafe statt Lagerhaft. In diesem Artikel legte Schmidt das Amoralische und mit dem Anwaltsberuf unvereinbare dieses Vorgehens dar – schließlich war der Angeklagte ja unschuldig!

Dies alles, die familiären Wurzeln, die systematische Hilfe für Leute, die mit dem Staat in Konflikt geraten waren, und schließlich dieser Artikel, obwohl er unter einem Pseudonym erschien, sind dem KGB nicht verborgen geblieben. So hatte dieser also gute Gründe, Jurij Schmidt nicht zu politischen Prozessen zuzulassen. Natürlich sind ihm und seiner Familie Durchsuchungen, Verhöre und „Gespräche“ beim KGB nicht erspart geblieben, glücklicherweise ohne besondere Folgen.

Was diese verweigerte Zulassung zur Verteidigung von Menschen anbelangt, die auf Grund der politischen Paragraphen des Strafgesetzbuches angeklagt wurden, so hat sich Jurij Markowitsch zwanzig Jahre später, im Jahre 1996, bei der Staatssicherheit durchaus revanchieren können. Er erreichte nämlich, dass das russische Verfassungsgericht dieses System der „Zulassung“ für rechtswidrig erklärte.

Erst mit der Perestrojka konnte der Anwalt Schmidt  sein gesellschaftliches Temperament in vollem Umfang verwirklichen und wurde zu einer in der gesamten Sowjetunion beachteten Berühmtheit. Dies ist kein Versprecher: nicht in der gesamten Russischen Föderation, sondern der Sowjetunion. Sowohl am Vorabend der Auflösung der UdSSR als auch danach vertrat er in vielen Ländern des postsowjetischen Raumes Menschen, die aus politischen Gründen verfolgt wurden. Hervorstechendes Merkmal seiner Position in diesen Prozessen war, dass er seine Verteidigung nicht auf eine rein juristische Argumentation beschränkte, sondern klar und deutlich den politischen Hintergrund des jeweiligen Falles aufdeckte. Im Einsatz für seine Mandanten scheut sich Jurij Schmidt nicht, den rein prozessualen Rahmen des Verfahrens zu verlassen. Zeitungsartikel und Pressekonferenzen, mit denen er einer breiten Öffentlichkeit Ursache und Bedeutung des Geschehenen erläutert, sind für ihn ebenso ein Teil seiner Arbeit wie seine Auftritte vor Gericht.

Aus diesem Grunde ist Jurij Schmidt nicht nur ein bemerkenswerter Anwalt, sondern auch eine engagierte Person des öffentlichen Lebens und ein herausragender Menschenrechtler. Zudem war er 1991 Gründer und ist Leiter des ersten unabhängigen Anwaltsverbandes des Landes, des Russischen Komitees zum Schutz der Menschenrechte. Es ist die einzige Organisation dieser Art in Russland. Und ich verstehe sehr gut, warum sich Jurij Schmidt auch diese Last aufbürdete. Mit Blick auf die Geschichte sind ihm die Geschicke seines Standes nicht gleichgültig. Angesichts der derzeitigen totalen Kommerzialisierung des Anwaltsberufes bewegt ihn die Sorge um eine Wiederbelebung der humanistischen und bürgerlichen Traditionen des russischen Anwaltswesens.

Ich werde ihnen hier nicht im Detail von all jenen aufsehenerregenden politischen Prozessen berichten, an denen Jurij Schmidt beteiligt war. Es sollen nur die wichtigsten genannt werden. Von einigen dieser Prozesse werden Sie nicht gehört haben, aber sie sind so wichtig, dass ich sie hier nicht unerwähnt lassen kann.

1989 - Das Verfahren gegen Arkadij Manutscharow, einen der Anführer der Armenier in Nagorny Karabach.

1991 - Der Fall Tores Kulumbekow, der von den georgischen Behörden beschuldigt wurde, die ossetische Unabhängigkeit anzustreben und Massenunruhen provoziert zu haben.

1993 - Der Fall Abdumanow Pulatow, eines usbekischen Dissidenten, der in Russland zu einem politischen Flüchtling wurde.

1996 - Die Unterstützung einer Zivilklage afghanischer Flüchtlinge gegen den Föderalen Migrationsdienst der Russischen Föderation.

1997 - Der Fall Walerij Miroschnitschenko, eines pensionierten Militärangehörigen aus Estland, der unrechtmäßig von der estnischen Regierung des Landes verwiesen worden war.

Es gibt aber zwei überaus wichtige Verfahren, auf die sich Jurij Schmidt in den letzten Jahren in seiner Arbeit als Anwalt und Menschenrechtler besonders konzentriert hat. Es handelt sich zum einen um den Fall des ehemaligen Marineoffiziers Alexander Nikitin, der aufgrund einer in ihrer Absurdität höchst erstaunlichen Anklage wegen Spionage für internationale Umweltorganisationen verhaftet wurde. Bis vor kurzem war dies der bekannteste Fall, bei dem Jurij Schmidt als Anwalt tätig wurde – und den er nach fünfjährigem Einsatz mit einem Sieg abschließen konnte.

Zum anderen ist es der Fall, an dem er derzeit arbeitet - als einer der Verteidiger von Michail Chodorkowskij. Hierauf möchte ich etwas ausführlicher eingehen, da dieser Fall nicht nur Schmidts gesamtes berufliches Talent verlangt, sondern auch eine Zivilcourage, die durchaus jenem Mut ähnelt, den die Anwälte aufbringen mussten, die zu sowjetischen Zeiten die Dissidenten verteidigten.

Das Problem liegt hier nicht in der juristischen Frage ob Michail Chodorkowskij im Sinne der Anklage schuldig ist oder nicht. Oder, ob dies ein Strafprozess oder ein politischer Prozess ist. Es geht um das Gefühl, dass eine systematische und planmäßige „Säuberung“ in Bezug auf alles stattfindet, was mit dem Namen dieses Menschen verbunden ist. Es geht um das strenge Urteil gegen ihn, die strengen Urteile gegen seine Mitarbeiter, die Vernichtung nicht nur des Unternehmens, das er einst besaß, sondern auch der gesellschaftlichen Organisation, die er gegründet und gefördert hat. Es stellt sich die Frage, ob diese Planmäßigkeit und Pedanterie der Vernichtung ein im Voraus festgelegtes Element der ganzen Operation war, oder, ob hier gewisse persönliche Animositäten und Ambitionen zum Tragen kommen. Wie dem auch sei – dass Schmidt die Verteidigung in diesem Prozess mit übernahm und dabei eine standhafte und kompromisslose Haltung zeigte, konnte nicht ohne Folgen für ihn bleiben: Im Herbst 2005 wurde der Versuch unternommen, Schmidt aus dem Anwaltsverband auszuschließen. Dies ist nicht gelungen. Was weiter kommt, werden wir sehen.

Jurij Schmidt erklärt vor aller Welt laut und deutlich, dass sein Mandant unschuldig ist, dass das Verfahren gegen Chodorkowskij eine politische Abrechnung ist. Das ist nicht der Ansatz eines Anwaltes. Ich kenne Jurij gut. Wenn er von der Richtigkeit seiner Worte nicht überzeugt wäre, dann würde er andere Argumente anführen, andere Mittel einsetzen, seinem Mandanten zu helfen. Es sind also sein berufliches Pflichtbewusstsein und sein Temperament als Bürger, die ihn zu eben dieser Haltung bringen.

Im Wirken Jurij Schmidts kommt so eine Tradition des russischen Anwaltswesens in herausragender Weise zum Tragen - die Untrennbarkeit von staatsbürgerlichem und professionellem Pflichtbewusstsein. Sein Beruf als Anwalt ist untrennbar mit seinem gesellschaftlichen Engagement in der Öffentlichkeit verbunden. In Europa mag das eine ganz banale Tatsache sein, aber für Russland ist das keineswegs selbstverständlich. Als praktizierender Anwalt verteidigt Jurij Schmidt die Rechte konkreter Menschen, als Person des öffentlichen Lebens verteidigt er die Freiheit.

Ich erinnere mich an jene Tage im August 1991: Der Putsch. In Leningrad wurde damit gerechnet, dass jeden Augenblick auf Befehl der Putschisten die Panzer in die Stadt rollen werden. Zehntausende hatten sich auf dem Schlossplatz versammelt und eine leidenschaftliche Rede Schmidts galt der Freiheit. Er beendete sie mit den Worten: „Ich erkläre als Jurist: Jedweder Widerstand gegen das Vorgehen der Putschisten ist rechtmäßig. Jedwede Unterstützung für sie ist Beihilfe zu einem Verbrechen, und niemand wird sich damit rechtfertigen können, dass er nur Befehle ausgeführt hat, denn diese Befehle sind verbrecherisch. Das Scheitern der Junta ist unausweichlich [...] Es lebe die Freiheit!“

Ich möchte hier daran erinnern, dass es weder in der Verfassung der UdSSR noch in sowjetischen Gesetzen jemals eine Bestimmung gegeben hat, die Widerstand gegen die Staatsgewalt - und sei es unter extremen Umständen - für rechtmäßig erklärt hätte. Schmidt ließ sich von ganz anderen Normen leiten, von Normen, die allen in diesem Saale Versammelten vertraut sind. So ist es auch kein Zufall, dass Ende der neunziger Jahre, als ein russischer Verlag eine Buchreihe mit dem Titel „Anwälte der Freiheit“ eröffnete, als erstes ein Buch über Jurij Schmidt erschien.

Und noch etwas soll hier nicht unerwähnt bleiben. Sie wissen, dass in Russland, und besonders in unserer, Jurijs und meiner, Heimatstadt der Neonazismus sein Haupt erhebt. Es geschieht ein Mord nach dem anderen. Opfer sind sowohl „Fremdstämmige“ als auch Antifaschisten. Und es hat den Anschein, dass hinter den verschiedenen Aktionen einzelner Skinheads organisierte Untergrundgruppen stehen. Jurij Schmidt ist in Russland auch als konsequenter und kompromissloser Kämpfer gegen aggressiven Nationalismus bekannt, als einer derjenigen, die für den Kampf gegen den Nationalismus neue rechtliche Instrumente anregen und ausarbeiten. Im heutigen Petersburg ist dies alles andere als ungefährlich. Jurij Schmidt verfügt also nicht nur über Zivilcourage, sondern auch über außergewöhnlichen persönlichen Mut.

Liebe Freunde,

die Verleihung des Petra-Kelly-Preises an Jurij Schmidt ist in erster Linie eine Würdigung der Verdienste von Jurij Markowitsch. Sie ist aber auch eine Unterstützung für uns alle, die wir unter den derzeit schwierigen Bedingungen in Russland leben. Und nicht zuletzt ist sie ein Ausdruck der Verbundenheit, eine Bekräftigung, dass Sie und wir viele Traditionen und grundlegende Konzeptionen teilen. Der Name Petra Kelly steht schließlich für eine bestimmte Konzeption, eine gewisse Tradition. Ich erinnere mich noch, wie und wann ich Petra Kelly kennen lernte. 1987, in Moskau und – wie könnte es anders sein – in einer Dissidentenküche bei meinen Moskauer Freunden, also in eben jener Atmosphäre, die Jurij Schmidt geprägt hat. Wir sprachen über Freiheit, über Menschenrechte, über Nonkonformismus, also über jene Werte, in deren Dienst Jurij Schmidt sein Leben gestellt hat. Daher halte ich die heutige Verleihung des Petra-Kelly-Preises an Jurij Schmidt für ein überaus angemessenes und denkwürdiges Ereignis.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Es  gilt das gesprochene Wort.)