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Energiesparoffensive und soziale Energiepolitik - Grüne Antworten auf das Problem steigender Energiepreise

27. Oktober 2008
Von Markus Kurth und Bärbel Höhn
Von Markus Kurth und Bärbel Höhn

Der dramatische Anstieg der Energiepreise, angetrieben durch die zunehmende Verknappung fossiler Energie, entwickelt sich zu einem wachsenden sozialen Problem. Da der Preisauftrieb einkommensschwache Haushalte besonders stark belastet, stellt sich die Frage einer "Energieversorgung für alle" als neue soziale Frage.

Die politische Antwort hierauf muss sowohl unter ökologischen als auch unter sozialpolitischen Gesichtspunkten wirksam sein. Das heißt: Erstens müssen die Energierechnungen der VerbraucherInnen durch eine Energiesparoffensive deutlich gesenkt werden. Der Schwerpunkt neuer Energiesparprogramme sollte bei der Unterstützung einkommensschwacher Haushalte liegen, die vielfach nicht über die nötigen Investitionsmittel zur schnellen Verbesserung ihrer Energiebilanz verfügen. Zum anderen muss die Grundversorgung mit Energie sichergestellt sein durch sozial-ökologische Energiespartarife und eine verbesserte soziale Grundsicherung.

Das Problem: Steigende Energiepreise, wachsende Armut
Seit der Jahrtausendwende hat sich der Preis für Rohöl fast verzehnfacht, während Strom für Privathaushalte um über 50%, Gas um circa 75% und Heizöl bis zu 180 % teurer wurde. Angesichts einer weiter wachsenden Weltnachfrage nach Energie und sich erschöpfender Ölreserven wird sich der Preisanstieg auf Sicht weiter fortsetzen.

Es ist absehbar, dass weniger einkommensstarke Haushalte diesen Preisanstieg schon bald nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen können. Laut Wohngeld- und Mietenbericht 2006 sind seit 2001 die warmen Betriebskosten um ein Drittel angestiegen, während sich die Mieten selbst nur um 7 % erhöht haben. Diese Steigerung trifft vor allem Haushalte mit niedrigen Einkommen, da die Mietbelastung dort heute schon bei 35 % des Gesamteinkommens liegt.

Langzeiterwerbslose und Geringverdienende sind bereits jetzt von den hohen Energiekosten überfordert. Beispiel Strom: In der Regelleistung von 351 Euro sind für einen alleinstehenden ALG II-Beziehenden 22 Euro für Strom und Warmwasser vorgesehen. Dafür kann man ca. 1.000 kWh Strom im Jahr einkaufen. Der durchschnittliche Stromverbrauch für einen Alleinstehenden liegt bei 1.600 kWh. Die steigenden Ausgaben für Heizenergie belasten auch die Etats der Kommunen, die überwiegend die Heizkosten für ALG II-Empfänger finanzieren. Trotz leicht rückläufiger Zahl der Hilfeempfänger blieben daher die Ausgaben der Kommunen für Unterkunft und Heizung mit 13,7 Mrd. Euro in 2007 unverändert hoch. In diesem Jahr drohen den Kommunen allein wegen gestiegener Heizkosten für ALG II-Beziehende Mehrausgaben von 1 Mrd. Euro!

Die Verteuerung der Energie verstärkt so den Trend wachsender Armut in Deutschland. Sie schränkt Teilhabechancen der unteren Einkommen in den Bereichen Wohnen und Mobilität massiv ein. Sie belastet die kommunalen Haushalte und führt zu zusätzlichen Verwerfungen innerhalb der Städte.

Lösung I: Energiesparen für alle möglich machen!
Der beste Schutz gegen steigende Energiepreise ist ein sinkender Energieverbrauch. Das Potential ist riesig, doch für viele Haushalte sind moderne Energiespartechnik und effiziente Elektrogeräte nahezu unerschwinglich. Ein ALG II-Empfänger zum Beispiel müsste nach der jetzigen Regelsatz-Systematik 20 Jahre sparen, um sich einen günstigen energieeffizienten Kühlschrank kaufen zu können. Das gilt es zu ändern. Energiesparen muss für alle möglich sein. Das heißt:

  • Sanierungsprogramme auf Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf konzentrieren

Die energetische Sanierung von Sozialwohnungen und Mietwohnungen in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf  ist zu einem Schwerpunkt des Gebäudesanierungsprogramms auszubauen. Auch die Förderbedingungen für Erneuerbare Energien und kleine Blockheizkraftwerke sollen mit Förderprojekten für diese Stadtteile verknüpft werden.
  • Der Ökobonus als Energiesparhilfe

Ein Ökobonus sollte als zweckgebundene Energiesparunterstützung eingeführt werden, die allen BürgerInnen zugute kommen soll. Der Ökobonus in Höhe von vielleicht 50-100 Euro pro Person im Jahr könnte dann für einen breiten Katalog verschiedener energiesparender Anschaffungen genutzt werden. Ein Teil der Erlöse aus dem Emissionshandel sowie der Mehreinnahmen durch die Abschaffung ökologisch schädlicher Subventionen (z.B. das Dienstwagenprivileg für große Limousinen) würde so den BürgerInnen sinnvoll zurückgegeben.

  • Energiesparziele für Energieversorger

In Großbritannien wird den Energieversorgern gesetzlich ein bestimmtes Einsparziel aufgegeben und zugleich festgelegt, dass die Hälfte der Einsparmaßnahmen gezielt sozial benachteiligten Haushalten zugute kommen soll. Dem britischen Beispiel folgend sollten die Energieversorger verpflicht werden, jedes Jahr Energiesparmaßnahmen umzusetzen, die 0,5% bis 1% ihres Strom- und Gasabsatzes entsprechen. Zwei Drittel dieser Maßnahmen wären in einkommensschwachen Haushalten durchzuführen.
  • Mieteranspruch auf Kostensenkung

Die steigenden Heizkosten werden zu einer immer größeren Belastung für Mieterinnen und Mieter. Doch für eine bessere Gebäudedämmung oder den Einsatz erneuerbarer Wärmeenergie kann nur der Vermieter als Eigentümer sorgen. Der Mieter hat auf solche Kosten senkenden Maßnahmen bisher keinen Anspruch - selbst wenn sie gesetzlich vorgeschrieben sind. Mietern ist daher das Recht zu geben, sich mit einer Mietminderung gegen überhöhte Nebenkosten zu wehren, wenn der Vermieter energetische Gebäudestandards oder Vorgaben zur Nutzung erneuerbarer Energien nicht einhält. Wirklich wirksam wird dieses Minderungsrecht allerdings erst dann, wenn die energetischen Standards für Neubauten verschärft und mittelfristig auch Altbauten Effizienz-Vorgaben unterstellt werden. Zur Unterstützung der Gebäudeeigentümer bei der Sanierung müssen Contracting-Vorhaben rechtlich erleichtern und finanziell besser absichern.

Lösung II: Energiegrundversorgung durch soziale Energiepolitik sicherstellen
Energiesparhilfen können einen wichtigen Beitrag zur sozialen Abfederung steigender Energiepreise leisten. Trotzdem wird es weiter Haushalte geben, für die selbst eine Grundversorgung mit Energie kaum noch zu bezahlen ist. Deshalb brauchen wir flankierend eine Politik, die eine Grundversorgung mit Energie für alle sicherstellt. Im Einzelnen schlagen wir dazu vor:

  • Sozial-ökologische Strom- und Gastarife

Die geltenden Tarife der Stromanbieter sind weder ökologisch noch sozial. Einerseits können sich immer mehr sozial schwache Haushalte die Bezahlung selbst eines Mindestverbrauchs nicht mehr leisten. Andererseits wird hoher Energieverbrauch vielfach noch durch eine degressive Tarifgestaltung belohnt.

Dagegen stehen "Stromspartarife" wie sie auch von der Verbraucherzentrale NRW oder vom Bund der Energieverbraucher vorgeschlagen werden. Das Prinzip ist einfach: Ein bestimmtes Grundkontingent steht jeder Person zu einem sehr günstigen Preis zur Verfügung (z. B. 500 kWh pro Jahr für Einpersonenhaushalte, 300 kWh für jede weitere Person). Oberhalb dieser Verbrauchsgrenze steigen dann die Kosten je verbrauchter Kilowattstunde entsprechend an. Die Versorger werden gesetzlich verpflichtet, diesen sozialen Energiespar-Tarif als Wahltarif anzubieten. Mindereinnahmen durch die Energiegrundversorgung werden durch Mehreinnahmen bei hohen Verbräuchen ausgeglichen.

  • ÖPNV-Ausbau und Sozialtickets

Angesichts des Klimawandels und der steigenden Benzinpreise ist ein gut ausgebauter und bezahlbarer öffentlicher Nachverkehr wichtiger denn je. Die Kosten für ein reguläres Monatsticket sind aber zum Beispiel für ALG II-Beziehende unerschwinglich. Deshalb sind Sozialtickets unabdingbar. In einigen Städten und Gemeinden war Grüne Kommunalpolitik damit schon erfolgreich, wie z.B. in Dortmund, wo jüngst unter Grüner Federführung das bundesweit günstigste Sozial-Ticket für 15 Euro eingeführt wurde.

  • Vollständige Strom- und Gassperren verbieten

In Deutschland wurde letztes Jahr rund 840.000 Haushalten der Strom abgestellt, weil sie ihre Stromrechnungen nicht mehr zahlen konnten. Für die Betroffenen heißt das: Kein Licht, keine warmes Wasser, keine warmen Mahlzeiten. Das ist inakzeptabel. Deshalb wollen wir ein Verbot vollständiger Stromsperren. Bei Zahlungsverzug muss der Energieversorger dann weiter eine begrenzte Menge an Strom und Gas für Grundbedürfnisse wie Beleuchtung, Kochen und Heizen zur Verfügung stellen.
  • Sozialleistungen mit einem Anspruch auf Energieberatung verbinden

Wir schlagen vor, Wohngeldbeziehenden, ALG II-Beziehenden sowie SozialgeldempfängerInnen einen Anspruch auf kostenlose Energiesparberatung zu geben. Außerdem sollte die Energieberatung stärker in die sozialen Problemgebiete hineingehen, in die Sozialberatung integriert und die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten Behörden und Verbänden (Mieterbund, Schuldnerberatungsstellen, Verbraucherzentralen etc.) intensiviert werden. Energieberatungsprojekte mit Kräften des 2. Arbeitsmarktes – wie das Kooperationsmodell der Stadt Düsseldorf mit dem Caritasverband – sollten weiter verbreitet sein. Langzeitarbeitslose werden in diesem Projekt zu Energieberatern ausgebildet, die gezielt einkommensschwache Haushalte aufsuchend beraten.

Bärbel Höhn

Bärbel Höhn

Markus Kurth

Markus Kurth