„Brasilien – das Land der Zukunft“. Gut 60 Jahre nachdem Stefan Zweig mit seinem gleichnamigen Buch Brasilien eine verheißungsvolle Zukunft vorhersagte, scheint sich die Prophezeiung endlich zu erfüllen. Dank der Biokraftstoffe glaubt die brasilianische Regierung den lang ersehnten Sprung zu einem der führenden Industrienationen zu schaffen, wenn auch nicht durch verstärkte Industrialisierung, sondern mittels des forcierten Exports von Roh- und vor allem Biokraftstoffen.
Während die Welternährungsorganisation, die OECD, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank vor den möglichen ökologischen und sozialen Risiken der Biokraftstoffgewinnung warnen und die Europäische Union inzwischen ihre Beimischungsquoten für Kraftstoffe um die Hälfte reduziert hat, ist die Stimmung in Brasilien weiterhin euphorisch. Die einheimische Zuckerindustrie im Schulterschluss mit der Regierung unter Luiz Inácio Lula da Silva setzen alles daran die brasilianische Vormachtstellung auf dem Weltmarkt weiter auszubauen. Diesem Anliegen diente die Internationale Biokraftstoffkonferenz am 17.-1. November in São Paulo zu der Präsident Lula die internationale Staatengemeinschaft im Rahmen der 62. UNO-Vollversammlung im September 2007 in New York eingeladen hatte.
Biokraftstoffe als Motor für nachhaltige Entwicklung
Glaubt man den offiziellen Angaben dann waren mehr als 3.000 Teilnehmer aus 92 Nationen sowie dutzende Regierungschefs der Einladung gefolgt, um sich vom 17. – 21. November 2008 über die Auswirkungen der Biokraftstoffe auf die Energie- und Ernährungssicherheit sowie den Klimawandel zu informieren und die potentiellen Konfliktfelder zu diskutieren. Hierzu hatten die Organisatoren der Konferenz viele Spezialisten aus der Industrie, Politik und Wissenschaft eingeladen.
Welchen Stellenwert die brasilianische Regierung der Konferenz beigemessen hat, zeigte sich schon bei der Eröffnung: Nicht weniger als ein halbes Dutzend Bundesminister saßen auf dem Podium. Präsidialamtsministerin Dilma Rousseff machte in ihrem einleitenden Vortrag unmissverständlich deutlich, wie Brasilien über die soziale und ökologische Nachhaltigkeit von Biokraftstoffen denkt: "Dank jahrzehntelanger Erfahrungen bei der Produktion von Zucker-Ethanol und großen landwirtschaftlichen Flächen ist – zumindest in Brasilien – eine nachhaltige Produktionsweise gewährleistet. Punkt!"
Die Behauptung wurde auf den verschiedenen thematischen Panels nicht etwa kritisch hinterfragt, sondern immer wieder aufs Neue bestätigt. Eine wirklich kontroverse Diskussion fand nicht statt. Vom Eröffnungs- bis zum Abschlusspanel wurden kritische Betrachtungsweisen als unhaltbar abgetan oder schlichtweg ignoriert. Auf dem Panel zum Thema Nachhaltigkeit und dem möglichen Konkurrenzverhältnis zwischen dem Anbau von Energiepflanzen und Lebensmitteln, mussten die Vortragenden darauf hinweisen, sich auch zum Thema zu äußern. Die Vertreterin des staatlichen Erdölunternehmens Petrobras hatte das vorgegebene Thema mit der Begründung ignoriert, die Energiesicherheit sei eine Frage der nationalen Souveränität, hinter der alle anderen Fragen anstehen müssen.
Wie unerwünscht Kritik an der Zuckerrohrproduktion in Brasilien ist, zeigte sich schon am Eröffnungstag als die Bundespolizei Vertretern von Friends of the Earth am Eingang ihre Plakate abnahmen. Erst im weiteren Verlauf der Konferenz wurde den Nichtregierungsorganisationen gestattet ihre Materialien anzubieten.
Enttäuschung über Ablauf und Ergebnis der Konferenz
Zahlreiche Teilnehmer, unter anderem aus bundesdeutschen Ministerien, zeigten sich enttäuscht über die Konferenz. Sie hatten eine ernsthafte Auseinandersetzung erwartet. Fragen, ob und inwieweit die inzwischen in zahlreichen Ländern begonnenen Biokraftstoffproduktionen zur Lösung der drängenden globalen Zukunftsfragen, wie der CO2-Reduktion, dem Erhalt von Ökosystemen und Biodiversität, der Transformation einer fossilen in eine post-fossile Energiewirtschaft, der Schaffung von Arbeitsplätzen für die ländliche Bevölkerung und der Ernährungssicherheit beitragen können wurden nicht beantwortet. Stattdessen fanden sich die Teilnehmer auf einer Werbeveranstaltung wieder. Gleich neben den Konferenzräumen war eine riesiger Show-Room aufgebaut in dem 80 vor allem brasilianische aber auch einige internationale Unternehmen ihre fortschrittliche Technik bei Flex-Fuel-Kraftfahrzeugen, Ethanol-Raffinerien, etc. an den interessierten Kunden bringen wollten. Mit Star-Wars-Musik untermalte Videos zeigten die Biokraftstoffe als die Zukunftsenergie, die innovative Technologien hervorbringt, hohe Gewinne erwirtschaftet und Arbeitsplätze schafft – und dies alles im Einklang mit der Natur!
Einer weltweiter Werbefeldzug
Aufgrund des 1975 initiierten Proálcool-Programms besitzt Brasilien eine technologische Kompetenz und Infrastruktur die weltweit ihres Gleichen sucht. Seit 2003 produzieren und verkaufen die in Brasilien ansässigen Autokonzerne sehr erfolgreich steuerbegünstigt Flex-Fluel-Kraftfahrzeuge. Im Jahr 2007 waren 90 Prozent der verkauften Neuwagen mit diesen Motoren ausgestattet. Das Produktivitätsniveau des brasilianischen Ethanols ist derzeitig auf dem Weltmarkt konkurrenzlos. Fast die Hälfte des weltweit gehandelten Ethanols stammt aus Brasilien.
Besorgt über die unzähligen negativen Berichterstattungen hinsichtlich der negativen ökologischen und sozialen Folgewirkungen in den Produktionsländern, haben der brasilianische Verband der Zuckerindustrie UNICA (União da Indústria de Cana-de-Acucar) und die brasilianische Regierung eine Werbekampagne gestartet. Mittels Hochglanzbroschüren versuchen UNICA und die staatliche Agentur für Handel und Entwicklung APEX, die Kritik am brasilianischen Ethanol zu „demystifizieren“. Gleichzeitig bringt sich UNICA strategisch in Stellung. In Washington und Brüssel, dort wo die internationalen Global Player (USA, EU, IWF, Weltbank) die Rahmenbedingungen für die zukünftige Produktion und den Handel mit Biokraftstoffen schaffen, eröffnete Ende des letzten und Anfang diesen Jahres die UNICA Büros. In Kürze wird UNICA sein erstes Büro in Asien einweihen.
Im Rahmen dieser Strategie war die Konferenz in São Paulo lediglich ein weiteres Marketingtool. Die Kernbotschaften der Konferenz lauteten:
- Die Zölle für brasilianisches Ethanol müssen gesenkt werden.
- In Brasilien ist die nachhaltige Produktion von Biokraftstoffen auch ohne Zertifizierungssystemen gewährleistet – von kleinen Ausnahmen abgesehen. Im Vorfeld der Konferenz hatte Präsident Lula verkündet, dass es im Zuckerohranbau keine Sklavenarbeit mehr gäbe.
- Das brasilianische Modell hat Vorbildcharakter für Entwicklungsländer in Afrika und Asien, um den Teufelskreislauf von Armut und Unterentwicklung, hoher Arbeitslosigkeit unter der Landbevölkerung sowie fehlender Stromversorgung zu durchbrechen.
Den Teilnehmern der Konferenz drängte sich der Gedanke auf, Brasilien habe die eierlegende Wollmilchsau erfunden. Je länger die Konferenz dauerte, um so öfter war von einer reinen „Propaganda-Veranstaltung“ die Rede. So konnte es auch nicht verwundern, dass gerade das von brasilianischen und internationalen NGOs ausgelegte Informationsmaterial auf immer größeres Interesse bei den Teilnehmern stieß.
Keine Ernährungs- und Energiesicherheit mit Ethanol
Wer sich in São Paulo ernsthaft mit der Frage beschäftigen wollte, ob das brasilianische Ethanol ökologisch und sozial nachhaltig produziert wird bzw. wie eine nachhaltige Produktionsweise zukünftig gewährleistet werden kann, musste auf die zivilgesellschaftliche Paralleltagung gehen. Am 17. und 18. November trafen sich ebenfalls in São Paulo verschiedene Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen aus mehreren Ländern Zentral- und Südamerikas, Thailands, Hollands, der Schweiz, Deutschlands und der USA. Die von der Heinrich Böll Stiftung unterstützte Tagung beschäftigte sich eingehend mit dem Konsum- und Produktionsmodell, in welche die Agrotreibstoffproduktion eingebunden ist. Ihrer Ansicht nach kann eine auf den Export gerichtete und Monokulturen basierende Produktion nicht die Ernährungs- und Energiesouveränität der ländlichen Bevölkerung sicherstellen. Es bedarf vielmehr des Ausbaus einer auf der kleinbäuerlichen Landwirtschaft gegründeten Landwirtschaft in der Agrotreibstoffe komplementär zur Nahrungsmittelproduktion hergestellt werden.
Die Ergebnisse der Tagung wurden in einer abschließenden Erklärung zusammengefasst und am 19. November im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt. Auf die Frage nach den Arbeitsverhältnissen auf den brasilianischen Zuckerrohplantagen verwies der Vertreter der Kirchlichen Landpastorale CPT auf die Homepage des Arbeitsministeriums, wonach die meisten Fälle von Sklavenarbeit in Brasilien auf den Zuckerrohrfeldern registriert wurden. Präsident Lula waren die Informationen seines eigenen Ministeriums anscheinend nicht bekannt.
Die Kritik zahlreicher NGOs und sozialer Bewegungen am Agrotreibstoffmodell der brasilianischen Regierung ist in einer von der Heinrich Böll Stiftung unterstützten portugiesischsprachigen Veröffentlichung zusammengefasst: „Neue Wege zum selben Ziel: die falsche Lösung der Agrotreibstoffe.“.
» “New Paths to the same destination: the false solution of agrifuels” (englische Zusammenfassung)
» Weitere aktuelle Materialien zur Debatte auf Englisch (pdf)