Von Regine Walch
20. Januar 2009
Der 20. Januar 2009 wird in die Geschichte eingehen. Nicht nur, weil an diesem Tag zum ersten Mal ein Afroamerikaner Präsident der USA wurde und eine afroamerikanische Familie in das Weiße Haus, das von Sklaven erbaut wurde, einzog, sondern auch, weil es ein Tag ist, wie ihn die Welt noch nie zuvor erlebt hat. Das Amt des mächtigsten Manns der Welt übernimmt jemand, den die Mehrheit der Weltbevölkerung zu ihrem Präsidenten gewählt hätte. Laut Umfragen von BBC World Service hätten sich nur Israel, Georgien und die Philippinien für seinen Opponenten McCain entschieden.
Nach der achtjährigen desaströsen Amtszeit von Bush tritt Obama mit dem Versprechen auf die Weltbühne, die politische Wende herbeizuführen, die sich die US-Amerikaner (vor allem die Jungen, Frauen und Minderheiten) erwählt haben, die sich die Weltbevölkerung ersehnt hat. Endlich, nach zwanzig Jahren, so Joscha Schmierer, sei mit der Wahl für Obama die Chance real, nach der Blockauflösung 1989 und dem nachfolgenden „Durcheinander“, mit der (ordnenden) Weltpolitik zu beginnen.
Anfang einer neu ordnenden Weltpolitik ?
Die Hoffnungen wie die Herausforderungen, denen sich Obama stellen will und muss, sind riesig: Die größte Finanz- und Wirtschaftskrise nach dem 2. Weltkrieg, neben dem Irak-Krieg, Afghanistan und Guantánamo, der Mittlere Osten, der Iran und die Konfliktregionen in Afrika, aber auch Fragen der Energiesicherheit und des Klimawandels. Noch nie zuvor sah sich ein US-Präsident so vielen Problemen gegenüber, die sein sofortiges Handeln verlangen.
Sein Start nach der Wahl im November zeugt von seiner Fähigkeit, schnell, direkt und mit Geschick zu handeln. Die Wahl seines Teams weckt bei der Weltöffentlichkeit und bei den Medien Lob und Vertrauen. So reagierte beispielsweise die Wall Street auf die Nominierung seines Wirtschaftteams mit Timothy Geithner an der Spitze mit Optimismus.
Die Prioritäten hat Obama für seine Regierung klar gesteckt: die Finanzkrise und Rezession zu bewältigen, den Krieg im Irak zu beenden und die Lage in Afghanistan zu verbessern.
Latinos - die größte Minderheit in den USA
Die Latinos im eigenen Land, inzwischen mit 45 Millionen Personen zur größten Minderheit angewachsen (15 Prozent der gesamten Bevölkerung der USA), hat Obama keinesfalls vergessen. Obama ist es gelungen, die Ressentiments, die nicht wenige Latinos gegenüber Afroamerikanern hatten, zu überwinden. Viele junge Immigranten aus Lateinamerika überzeugten ihre Eltern 2008, sich für die Wahl registrieren zu lassen und zum ersten Mal in ihrem Leben zur Wahlurne zu gehen. Resultat: Zehn Millionen Latinos wählten, und davon stimmten 68 Prozent für Obama. Noch nie zuvor haben in den USA so viele Hispanics gewählt. Selbst in Florida, der Heimat der Exilkubaner, die traditionell republikanisch wählten, hat Obama mehr Stimmen bekommen, als McCain.
Unter den Latinos in den USA, die bislang wenig am politischen Geschehen teilnahmen, herrscht eine Aufbruchstimmung. Allerdings hat der Rückzug von Bill Richardson, Gouverneur von Neu-Mexiko und Sohn einer Mexikanerin, der von Obama als Handelsminister vorgesehen war, eine Lücke gerissen, die Obama noch nicht wieder geschlossen hat.
Lateinamerika kein Wahlkampfthema
Lateinamerika spielte im Wahlkampf kaum eine Rolle. Auf keines der Themen der Region nahm Obama wirklich Bezug - und wenn, blieben seine Äußerungen vage. Obama kennt kein südamerikanisches Land, hat als Senator keines besucht. Eine - nach dem Besuch Obamas in Berlin im Juli 2008 - angekündigte Reise in einige Länder Südamerikas fand nicht statt.
Die Lateinamerika-Politik von George W. Bush konzentrierte sich auf Mexiko und Kolumbien, auf den Kampf gegen Drogenkriminalität und die FARC, sowie auf die Schaffung von Freihandelszonen. In den 1960er und 1970er Jahren war Lateinamerika ein Schwerpunkt der US-Außenpolitik – die USA unterstützten zahlreiche Militärdiktaturen in der Region. Seither ist die Präsens der USA politisch und wirtschaftlich zurückgegangen, und heute ist China für viele Länder in Lateinamerika der wichtigste Handelspartner.
Beobachter in Washington nehmen an, dass sich nach der Wahl zwar der Ton in der Lateinamerikapolitik der USA ändern, sich in der Substanz aber wenig bewegen wird. Sollte dem so sein, wird der zu erwartende Wandel des Politikstils aber dennoch zu Änderungen und Verbesserungen führen. Eine größere Bereitschaft zum Dialog und der Versuch, statt auf Konflikt auf Konsens zu setzen, dürfte hier vieles bewegen.
Protektionismus statt Freihandel ?
Am 23. Mai 2008 sagte Obama in einer Rede bei der Cuban American National Foundation: „Die Situation in den amerikanischen Ländern hat sich gewandelt, aber wir haben es verpasst uns entsprechend zu ändern.“ Robert Gelbard, ehemaliger US-Botschafter in Bolivien und heute ein Berater Obamas, sprach von einem überfälligen „re-engagement“ in Lateinamerika. Was könnte das bedeuten?
Klar ist, dass es gemeinsame Interessen gibt: Handel und Handelsbeziehungen, die Frage der Einwanderung, den Kampf gegen Drogenhandel und organisiertes Verbrechen. Was die Einwanderung betrifft, trat Obama im Wahlkampf sowohl für schärfere Grenzkontrollen als auch für verbesserte Integration ein.
In der Handelspolitik wird von der neuen Regierung erwartet, dass sie den US-Markt und heimische Produkte stärker schützen wird. Die Einfuhr von Ethanol aus Brasilien soll beispielsweise mit einer Einfuhrsteuer belegt werden - was die Handelsbeziehungen mit Brasilien komplizieren wird. Generell wird Obama versuchen müssen, Brasilien als regionale Großmacht zu akzeptieren ohne dabei die Interessen der USA preiszugeben.
Chance für eine neue Kuba-Politik
Der brasilianische Präsident Lula hat im Namen aller Regierungen Südamerikas die Aufhebung des seit 47 Jahren bestehenden US-Embargos gegen Kuba gefordert – zuletzt am 19. Januar 2009: „Es ist wichtig, dass Obama Kuba ein Zeichen gibt. Es ist wichtig, dass das Wirtschaftembargo für Kuba aufgehoben wird, damit Kuba ein normales Leben führen kann wie alle anderen Länder.“
Für die Beziehungen zwischen nord- und den südamerikanischen Regierungen wird die Kuba-Frage und werden die Antworten, die Obama in den nächsten Wochen geben wird, eine beachtliche Rolle spielen. Kuba hat eine hohe symbolische Bedeutung. Angekündigt hat Obama, die Besuchsregelungen und den Geldtransfer zwischen den USA und Kuba zu erleichtern. Auch für ein persönliches Gespräch mit Raul Castro zeigte er sich offen, aber die Aufhebung des Embargos ist fraglich. Der schwindende Anti-Castrismus der zweiten und dritten Generation der Exil-Kubaner könnte ihm die Entscheidung, das Embargo aufzuheben allerdings erleichtern.
Lateinamerika: Anti-Amerikanismus und Obamania
Die Südamerikaner sind nicht frei von Anti-Amerikanismus, und auch Obama wird das zu spüren bekommen. Für den US-Wahlkampf gab es im Süden wenig Interesse, und die Medien berichteten selten. Laut dem Latinobarómetro, das Umfragen in 18 lateinamerikanischen Länder ausgewertet hat, konnten 29 Prozent keinen Unterschied zwischen einem Wahlsieg von McCain oder Obama erkennen und 39 Prozent konnten nicht sagen, ob McCain oder Obama für Lateinamerika der bessere Präsident sei. Mit dem 5. November 2008 hat sich das schlagartig geändert; auch die gewählten Repräsentanten einzelner Länder bekundeten ihr Interesse. Die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner wird zitiert: „Noch nie zuvor war ich an einer Präsidentschaftswahl in den USA so interessiert“. Michele Bachelet, Präsidentin Chiles - die erste Präsidentin in Lateinamerika überhaupt - verglich sich mit Obama. Sie sei „la Obama en Chile“, das heißt gleichfalls als Außenseiterin ins Amt gekommen. Auch der bolivianische Präsident Evo Morales sieht Gemeinsamkeiten mit Obama: Er sei der erste Indígena, Obama der erste Afroamerikaner, der zum Präsidenten gewählt wurde. „In Bolivien nennt man mich „el indio presidente“ und in USA gebe es nun „un presidente negro“.
Die Türen für Obama stehen offen. Es bleibt zu wünschen, dass eine in Ton und Stil aber auch in ihren Werten und Zielen veränderte Lateinamerikapolitik der USA die Entwicklung der Region fördert. Lateinamerika könnte dann, wie 2008 die erfolgreiche Initiative Bachelets im Falle der Bolivienkrise zeigte, verstärkt dazu in der Lage sein, nationale und regionale Konflikte in eigener Regie lösen - und darüber hinaus in Zukunft international gemeinsam und geschlossen auftreten. Ein Traum? Yes, we can!
Regine Walch ist Programmkoordinatorin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung Cono Sur in Santiago de Chile.
- Sämtliche Beiträge zum „Diary of Change“ - Ein Tagebuch zum Wechsel in Washington
- 23.2.09 - Sebastian Gräfe: Guantanamo zu, alles gut? Von der Ankunft in der Realität
- 22.2.09 - Liane Schalatek: Die Immobilienkrise in Washingtons Vorstädten: politische Schwarzweißmalerei mit Grautönen
- 21.2.09 - Bernd Herrmann: Richmond, Virginia: Im Süden was Neues
- 20.2.09 - Andrea Fischer: Die ewige Krise des amerikanischen Rentensystems
- 19.2.09 - Bernd Herrmann: Michigan: Kann der Rostgürtel recycelt werden?
- 18.2.09 - Andrea Fischer: Carmaker’s nightmare continues – die Autoindustrie ganz unten
- 17.2.09 - Andrea Fischer: Next step ahead – health care reform
- 16.2.09 - Andrea Fischer: Presidents’ day – celebrating Obama
- 15.2.09 - Andrea Fischer: Bipartisanship – ein weltweiter Hit, kleingekocht
- 14.2.09 - Liane Schalatek: „My Funny Valentine"— Obamas kurze Liebesaffäre mit der neuen "Postparteilichkeit"
- 13.2.09 - Andrea Fischer: Eine realistische Chance
- 11.2.09 - Robert Habeck: Der Präsident als Bürger. Kleine Ikonografie der Obama-Rhetorik
- 10.2.09 - Robert Habeck: Mit voller Kraft ins Unbekannte
- 9.2.09 - Robert Habeck: Selbsterfüllende Prophezeiungen. Ein Kaffeegespräch
- 8.2.09 - Robert Habeck: Obama, ein sehr amerikanischer Präsident
- 7.2.09 - Robert Habeck: Das andere Washington: Anacostia
- 6.2.09 - Robert Habeck: Das Werkzeug der Manipulation
- 5.2.09 - Robert Habeck: Tom daschelt Obama
- 4.2.09 - Marcia Pally: Erlöser oder Präsident? Obamas Alternativen
- 3.2.09 - Marcia Pally: Die ungestellten Fragen zur US-Innen- und Außenpolitik
- 2.2.09 - Marcia Pally: Obama: Breaking news vom Wochenende
- 1.2.09 - Marcia Pally: Obama und die „Neuen Evangelikalen“
- 31.1.09 - Marcia Pally: Bildungsmisere bei den Republikanern
- 30.1.09 - Marcia Pally: Ausgewogenheit und Hermeneutik im Nahen Osten
- 29.1.09 - Marcia Pally: Die Wiederherstellung des Glaubens
- 28.1.09 - Michael Werz: Krise ohne Ende - das 20. Jahrhundert als Hypothek
- 27.1.09 - Michael Werz im Gespräch mit dem neokonservativen Publizisten Gary Schmitt
- 26.1.09 - Liane Schalatek: „Purpose“ statt „Purchase“- Obama versucht die Transformation der US-Gesellschaft vom Konsumismus zum Kommunitarismus
- 26.1.09 - Michael Werz: „So wahr mir Gott helfe“ - Obama interpretiert die Unabhängigkeitserklärung neu
- 24.1.09 - Michael Werz im Gespräch mit dem Historiker David Hollinger
- 23.1.09 - Michael Werz: Außenpolitik und Krieg: Ist Barack Obama ein „Obamacon“?
- 22.1.09 - Michael Werz: Barack Obama und die Erbschaft Abraham Lincolns
- 22.1.09 - Reinhard Bütikofer: Wie stark ist Obamas Mehrheit
- 21.1.09 - Reinhard Bütikofer: A Defining Moment - Barack Obamas Antrittsrede
- 19.1.09 - Reinhard Bütikofer: Ein politischer Feldgottesdienst ...
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- Ralf Fücks: Diary of Change: Ein Tagebuch zum Wechsel in Washington
- Dossier: Barack Obama - Im Westen was Neues