Kongress: Demokratie wagen!
Panel 2
Samstag, 7. Februar 2009
13.45 – 15.30 Uhr
Geschichte ist ein immerwährendes aufklärerisches Projekt: Die Erinnerung an Unrechtsregimes und deren Aufarbeitung sind kein rein staatliches Unternehmen. Sie gehen von der Zivilgesellschaft aus, spiegeln oftmals das Maß an gesellschaftlicher Selbstaufklärung und werden manchmal gegen den Staat erkämpft und durchgesetzt. Da sie eine unerlässliche Voraussetzung für die Demokratie sind, sollte sich ihnen die Politik aber ebenso verpflichtet fühlen. Die Pluralisierung durch Zuwanderung und Globalisierung stellt die modernen Gesellschaften vor neue Herausforderungen. Über Geschichtsdeutungen werden Prozesse von Anerkennung und sozialer Zugehörigkeit verhandelt. Es werden Restitutionsforderungen begründet, moralische und manchmal auch materielle Entschädigungen von und für bestimmte Opfergruppen eingefordert. Die Standards, nach denen die Verbrechen eines Staates beurteilt werden, orientieren sich heute an den universellen Menschenrechten.
Auf europäischer Ebene sind die geschichtspolitischen Auseinandersetzungen ein Beispiel für den Versuch einer Neubegründung über die nationalen Narrative seit 1945 hinaus. Damit sind eine Reihe neuer Probleme sichtbar geworden. Es wurden neue Abgrenzungen geschaffen. Wie am Beispiel Türkei ersichtlich werden normative und kulturelle Zugehörigkeiten verhandelt. Weiterhin ist eine Ungleichzeitigkeit des Umgangs mit der Geschichte in den einzelnen Ländern zu beobachten, zum Beispiel in Polen. Nachdem sich die Geschichtsdeutungen nach 1989 verändert haben, wurden andere Opfergruppen aufgewertet und unterschiedliche nationale Erinnerungskulturen sind miteinander in Konkurrenz getreten.
Auch wurden im Prozess der Formierung einer europäischen Erinnerungskultur nationale Geschichtspolitiken zur Disposition gestellt; Ansätze von transnationalen Geschichtsbildern sind zu beobachten. Beispiele wie das französische Armeniergesetz, Wiedergutmachungsforderungen und Vertreibungsdiskurse machen eine Neubewertung notwendig.
Gesine Schwan – ehem. Präsidentin der Europa-Universität Viadrina
Thomas Schaarschmidt – Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
Volker Beck - Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, Bündnis 90/Die Grünen
Moderation:
Marianne Zepp – Heinrich-Böll-Stiftung