Der neue Chef der US Treasury, Timothy Geithner, war noch nicht im Amt, als er schon einige Aufregung in den USA und zwischen den USA und China hervorrief. In einer Antwort auf Fragen aus dem Senatsausschuss, der ein Votum für seine Berufung vorbereitete, war zu lesen, Präsident Obama glaube und stimme darin mit vielen Wirtschaftsexperten überein, dass die chinesische Regierung das Währungsverhältnis zwischen Yuan und Dollar „manipuliere“. Durch die Verwendung des Begriffs der Manipulation rief die Äußerung vor allem deshalb Aufmerksamkeit hervor, weil sie direkt an eine qua US-Gesetz vorgeschriebene Prozedur heranführt: diplomatische Verhandlungen mit dem Beschuldigten und im Falle keiner Einigung Einleitung von Sanktionen, um eine Anpassung zu erzwingen. So überrascht es nicht, dass von chinesischer Seite die Aussage, das Währungsverhältnis sei manipuliert, entschieden zurückgewiesen wurde. Sie solle nur von der eigenen Verantwortung für die jetzige Krise ablenken.
Geithners Vorwurf ist fragwürdig
Aus mehreren Gründen wird Geithners Stellungnahme auch in der amerikanischen und der europäischen Öffentlichkeit in Frage gestellt und kritisiert:
Der Zeitpunkt für eine derart scharfe Vorhaltung an China sei verfehlt. China sehe sich gerade selbst einem deutlichen Einbruch seines Exports ausgesetzt (-17,5 Prozent im Januar). Falls an dem Vorwurf einer Währungsmanipulation zugunsten des eigenen Exports überhaupt etwas dran sei, sei er jedenfalls jetzt nicht angebracht und opportun. Für beide Länder käme es derzeit in erster Linie darauf an, ihre jeweiligen Antikrisenprogramme zu konzipieren und zu implementieren. Bei einem allgemeinen Zusammenbruch der Nachfrage, sei es witzlos, die Rettung in der Korrektur spezifischer Währungsverhältnisse zu suchen.
Kritiker halten Geithner und der neuen Administration auch entgegen, China habe, seit es 2005 die Dollarbindung seiner Währung aufhob, sich bereits auf einen Abwertungsprozess von gut 20 Prozent eingelassen. In der jetzigen Situation, in der aus China auf Grund der Krise Kapital abgezogen werde, sei eher eine Abwertung zu erwarten. Wenn China keine Kapitalkontrollen hätte, würden auch private Ersparnisse in hohem Maße ins Ausland abfließen. Wenn also China seine Währung nicht „manipuliere“ und sie ganz dem freien Markt aussetze, würde ihr Preis wohl sinken und nicht steigen, vermutet der Economist. Dass der Yuan deutlich unterbewertet ist, sei alles andere als evident (1).
Gegen Geithners Behauptung, der amerikanisch-chinesische Warenhandel sei ökonomisch vor allem durch das Währungsverhältnis geprägt und die Unterbewertung des Yuan verzerrt, wird grundsätzlich eingewandt, die Ursachen für die Ungleichgewichte der Austauschbeziehungen und das Defizit der USA im Handel mit China sei vor allem in den USA selbst und ihrer Politik zu suchen. „Geithner is exactly wrong on China Trade“ meinte Bret Swanson im Wall Street Journal. Trotz der Aufwertung des Yuan nach der von den USA geforderten Abkehr von der Dollarbindung sei das Handelsdefizit mit China gestiegen. Die wirkliche Bedrohung hätte im abgewerteten Dollar gelegen. Statt die USA durch Investitionen in innovative Sektoren wettbewerbsfähiger zu machen, seien die Dollars für Öl und Hypotheken ausgegeben worden (2).
USA – China: ein schräges Verhältnis
Die ökonomischen Beziehungen zwischen den USA und China sind sehr eng, zugleich aber merkwürdig schräg. Der Finanz- und Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson, neben Robert Kagan einer der wichtigsten Stichwortgeber der transatlantischen außenpolitischen Diskussion, erfand dafür die Bezeichnung „Chimerica“.
„From Empire to Chimerica“ betitelte er das letzte Kapitel seines Buches The Ascent of Money. A Financial History of the World. Der Preisredner des (britischen) Empire als Ordnungsmacht hatte zum eigenen Bedauern feststellen müssen, dass die USA nicht wirklich willens waren, diese Rolle zu übernehmen. Dafür verantwortlich sei ein bedauerlicher Mangel an Bereitschaft zu Askese und anhaltender Disziplin in der amerikanischen Bevölkerung. Und eben in diesem Mangel oder in dieser Neigung zum Konsum sieht Ferguson auch die Entstehung von Chimerica angelegt.
China sei zum Bankier der USA geworden, doch von Amerikas Standpunkt aus hätte sich das fürs Erste als der beste Weg erwiesen, die guten Zeiten der letzten Jahre fortzusetzen durch den Import billiger Waren aus China. Darüber hinaus hätten die US-Unternehmen durch das Outsourcing der Produktion an den Wohltaten billiger Arbeit teilhaben können. Entscheidend sei gewesen, dass die People’s Bank of China durch ihre Milliarden Anleihen, den USA deutlich niedrigere Zinsen ermöglichten, als sie sonst zu erwarten gewesen wären. Statt eines American Empire sei so ein neuartiges Gebilde entstanden:
„Willkommen in dem wunderbaren Doppelland „Chimerica“ – China and America – das über mehr als ein Zehntel der Erdfläche verfügt, ein Viertel ihrer Bevölkerung umfasst und für ein Drittel des Weltwirtschaftsprodukts und mehr als die Hälfte des globalen Wirtschaftswachstum in den letzten acht Jahren steht. Eine Zeitlang sah das wie eine Hochzeit aus, die im Himmel geschlossen worden war. Die Westchimerikaner machten die Ausgaben. Die chinesischen Importe hielten die Inflation in den USA niedrig. Die chinesischen Ersparnisse hielten die amerikanischen Zinsraten niedrig. Chinesische Arbeit hielt die amerikanischen Lohnkosten niedrig. Im Ergebnis war es bemerkenswert günstig, Geld zu leihen und bemerkenswert profitabel, ein Unternehmen zu führen.“ Aber die wunderbaren Zeiten niedriger Realzinsen und hoher Unternehmensprofite hätten auch eine Falle gestellt: Je mehr China bereit war, den USA Geld zu leihen, desto mehr waren die Amerikaner bereit, Schulden zu machen. „Chimerica“ wurde so zur Grundlage der Blase von Bankkrediten, der Ausgabe von Staatsanleihen und neuer Derivate nach 2000.
Der Crash sei nicht schwer vorherzusagen gewesen und doch hätten ihn wenige kommen sehen. So erzählt Ferguson, noch im Juli 2007 habe ihm ein amerikanischer Hedge Fonds Manager eine Wette von sieben zu eins angeboten, dass es in den nächsten fünf Jahren zu keiner Rezession in den USA komme. Er habe darauf gewettet, dass die Welt nicht zusammenbreche, klagte er sechs Monate später. „Wir haben verloren.“
Ferguson zeigt Verständnis für den gebeutelten Fondsmanager, das Weltende sieht er jedoch nicht gekommen. Allerdings seien ernsthafte politische Spannungen mitten im Herz von Chimerica zu erkennen. Im Kongress würden mit der Rezession die Stimmen lauter werden, die auf chinesischer Seite unfairen Wettbewerb und Währungsmanipulation beklagten. Andererseits könne in chinesischen Augen der Werteschwund von Beteiligungen an JP Morgan wie eine amerikanische Version von Währungsmanipulation erscheinen (3). Das Beispiel hat nach Abschluss von Fergusons Buch vielfach Schule gemacht.
USA-China: Kein exklusives Verhältnis
Werden die inneren Spannungen in der Krise nun zum Zerbrechen von Chimerica führen? Sind Geithners Äußerungen dafür ein Indiz?
Der amerikanische Politologe Ian Bremmer sieht zwischen den USA und China ein neues Abschreckungssystem in Kraft. Die beiden Mächte befänden sich in einem Verhältnis der gegenseitig gesicherten wirtschaftlichen Vernichtung. Niall Ferguson hat noch vor Kurzem die Beziehung China mit den USA scherzhaft mit seiner Ehe verglichen. Das klang nicht gerade nach einer im Himmel vollzogenen Hochzeit, sondern ein bisschen altbacken: Die Frau gäbe aus, was der Mann spare und verdiene. Das sei ein gesundes Gleichgewicht und werde halten. Chimerica sei keine Chimäre, sondern eher ein funktionierendes Bündnis. Unter den großen Drei – China, Russland und Amerika – verbänden sich immer zwei zu einer Koalition und weder China noch die USA hätten irgendeinen Grund, Russland als Partner vorzuziehen (4). Damit dementierte Ferguson sein Buch, wo es noch heißt, dass Chimerica vielleicht nicht mehr als eine Chimäre sei, das mythische Tier aus der antiken Legende teils Löwe, teils Schlange, teils Drachen.
Was also hält Chimerica zusammen? Abschreckung ist ein polares Verhältnis. Sie kann als Ordnungsmechanismus funktionieren, ist aber das Gegenteil vertrauensvoller Zusammenarbeit. Der Vergleich mit einer Ehe schließt ein solches Vertrauensverhältnis ein. Doch Ehen können sich in Hassgemeinschaften wandeln und schließlich explodieren. Die Vergleiche mit dem Kalten Krieg und der Ehe stimmen nicht unbedingt zuversichtlich. Es ist aber wohl so: „The Group of Two that could change the World“, von der ein Veteran der Geostrategie wie Zbigniew Bzrezinski vor Kurzem sprach (5), ist nicht allein auf der Welt.
Weder bilden sie einen gemeinsamen Block, noch sind sie Führungsmächte gegensätzlicher Blöcke. Wenn ihr spezifisches wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis nicht eine Falle für beide bleiben soll, werden sie sich als Akteure einer umfassenden Globalisierung begreifen und als solche verantwortungsvoll handeln müssen. China scheint das vorzuhaben. Dafür sprechen die jüngsten Reisen Wen Jiabaos nach Europa und Hu Jintaos nach Afrika. China bearbeitet systematisch das Umfeld der amerikanisch-chinesischen Beziehungen. Die USA dagegen neigen immer noch dazu, sich als Pol zu begreifen, an dem sich eine zersplitterte Welt zu orientieren hätte. Und so glauben sie, Lektionen erteilen zu müssen, wo sie doch daran interessiert sind, ein internationales Klima zu schaffen, in dem Malocherländer wie China aber auch die Rentierstaaten am Golf die Schuldscheine aufkaufen, mit deren Erlös die USA ihre Binnenkonjunktur wieder in Gang bringen wollen.
Die USA sind auf doppelte Weise zum globalen Problem geworden: Sie entwickelten imperiale Ansprüche und wollten zugleich die Gesellschaft durch wachsenden Konsum ruhig stellen. Die neue Administration will sich an die Lösung dieses Problems machen. Geithners Äußerungen kommen den protektionistischen Illusionen und Ressentiments im Kongress entgegen. An den Anforderungen eines Neuanfangs gehen sie vorbei.
Bemerkungen:
1. Burger thy neighbour politics, The Economist vom 7. Februar 2009, S. 68
2. WSJ vom 26. Januar 2009
3. S. Chimerica in: Niall Ferguson, The Ascent of Money. A Financial History of the World, London 2008, S. 332 ff.
4. Interview „A World War without War", Niall Ferguson on Obama and the Global Crisis
5. Financial Times vom 13. Januar 2009
Joscha Schmierer
Jeden Monat kommentiert Joscha Schmierer aktuelle außenpolitische Themen. Der Autor, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts.
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