Der Congress of the People fordert die Führung des ANC heraus
Am 22. April sollen die Wähler in Südafrika über ihr neues Parlament entscheiden. Beim letzten Mal, 2004, hatten 69,7 Prozent von ihnen ihre Stimme dem ANC gegeben. Diesmal stellt sich der Partei eine ernsthafte Konkurrenz entgegen: Der Congress of the People (COPE), entstanden Ende 2008 als Abspaltung des ANC. "Der ANC ist zu einer populistischen und autoritären Bewegung geworden", begründete Phillip Dexter, Sprecher von COPE, die Loslösung von der Organisation, die den Befreiungskampf gegen das Apartheid-System angeführt hatte und mit Nelson Mandela eine bewunderte, moralische Leitfigur vorweisen kann. Sein Austritt aus dem ANC, sagte Dexter, sei für ihn ein "trauriger Moment" gewesen, so etwas "wie eine Ehescheidung".
Dexter war zu Gast beim Jour Fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der tageszeitung (taz) und gab zwei Stunden lang Auskunft über seine neue Partei und ihre Aussichten vor der Wahl. Eine zweite Perspektive bot Stefan Mair von der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Moderation übernahm Jürgen Langen, der Generalsekretär der Deutschen Afrika-Stiftung.
Südafrika gehörte bislang nicht unbedingt zu den Ländern des Kontinents, die Negativschlagzeilen machten. Es gibt demokratische Institutionen und ein solides Wirtschaftswachstum. Die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2010 an Südafrika war eine dramatische Anerkennung dieser Aufbauleistung. Doch dann trübten Schatten das Bild: die seltsame Haltung des ehemaligen Präsidenten Thabo Mbeki zu HIV/Aids (5,5 Millionen Südafrikaner sind mit dem Virus infiziert), sein Abwiegeln des internationalen Drucks auf Zimbabwes brutalen Diktator Robert Mugabe, die Ausschreitungen wütender Südafrikaner gegen Flüchtlinge aus den Nachbarländern. Führende Politiker des Landes sahen sich Vorwürfen ausgesetzt, bei einem umfangreichen Waffengeschäft Geld in die eigenen Taschen gewirtschaftet zu haben.
ANC hat in der politischen Praxis versagt
Dexter erläuterte, dass auch bei vielen Südafrikanern die Unzufriedenheit mit der Politik des ANC über lange Zeit hinweg zugenommen habe. 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid könne man in Südafrika nicht sagen, dass die öffentliche Versorgung auch nur annähernd ausreichend sei. Für die ärmeren Bevölkerungsschichten und die Arbeiterklasse seien diese Dienstleistungen – Krankenhäuser, Stromversorgung, Sicherheit vor Kriminalität – entscheidend für ihre Lebensqualität. Hier habe die politische Führung versagt. Negativ sei die Bilanz außerdem bei den wirtschaftlichen Chancen dieser Bevölkerungsschichten. "Niemand kann da stolz sein, was bisher erreicht wurde". Der Aufschwung habe zwar etliche schwarze Milliardäre hervorgebracht, aber jeder dritte Südafrikaner lebe auch heute noch in bitterer Armut. Hinzu komme die weit verbreitete Korruption. Im öffentlichen Dienst würden Jobs oft nach Parteiloyalität und nicht nach Qualifikation vergeben.
Die Unzufriedenheit darüber habe lange gegärt, sagte Dexter, aber die Wahl Jacob Zumas habe die Spaltung unvermeidlich werden lassen. Zuma hatte im Dezember 2007 auf einem turbulenten Parteitag in Polokwane in einer Kampfabstimmung gegen Thabo Mbeki den ANC-Vorsitz errungen. Zuma war da schon als Populist umstritten, der sich im Zweifelsfall über demokratische Prinzipien hinwegsetze. Ein Jahr zuvor war er vor Gericht vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden. Als Parteivorsitzender hat er dann relativ rasch führende Gefolgsleute Mbekis von ihren Posten verdrängt. Auch der Präsident selbst musste im September 2008 vorzeitig sein Amt räumen und wurde durch Kgalema Motlanthe ersetzt.
Der ANC ist empfindlich geworden gegenüber Kritik. Stefan Mair beschrieb dies als strukturelles Problem. Der ANC habe als breite Bewegung den Kampf gegen die Apartheid gewonnen und beanspruche für sich die Legitimität, nun die Macht im Land auszuüben. Er versäume, diesen Machtanspruch in der praktischen Realität immer wieder neu zu begründen, vielmehr wurde schon in der Ära Thabo Mbekis und erst recht unter Zuma die offene Debatte immer weiter eingeschränkt.
"Wir sind keine Gruppe von Unzufriedenen, die sich im ANC übergangen fühlten, sondern wir sind höchst empört über die Entwicklung unserer politischen Organisation, die so eine stolze Geschichte hat", sagte Dexter. Mehrfach wies er darauf hin, dass COPE keine kleine Absplitterung sei, sondern in einigen Regionen bis zu der Hälfte der ANC-Anhänger auf seine Seite gezogen habe – landesweit bereits etwa eine halbe Million Menschen.
Was will COPE anders machen?
Für Mair kam die Spaltung des ANC nicht überraschend. Doch angesichts der marktliberalen Wirtschaftspolitik des ANC habe man eher erwartet, dass sich der linke Flügel um den Gewerkschaftsverband Cosatu oder die Kommunistische Partei abspalte. Nun sei es ein moderater Flügel, der nicht so sehr mit der Politik als solcher unzufrieden sei, sondern mit der Art und Weise, wie sie umgesetzt wurde. Noch sei die Programmatik von Cope nicht ausgearbeitet.
Moderat oder zentristisch könne man Cope nicht nennen, widersprach Dexter. Seine Partei habe ein radikal anderes Verständnis von Demokratie als der ANC und stehe links von der Mitte, sie sei wohl eher sozialdemokratisch – und auch ein wenig grün: COPE stehe für eine andere Aids-Politik, sagte er, und auch für die Förderung erneuerbarer Energien statt Atomkraft.
Vor allem seien für COPE Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit vor dem Gesetz keine ideologischen, sondern grundsätzliche Fragen. Beim ANC wisse man nicht mehr, was gelte: Die Partei verfolge eine neoliberale Wirtschaftspolitik, sie sei die Partei des "black big business", aber ihr Führer Zuma gebärde sich als Linker. Es sei wie bei vielen anderen Befreiungsbewegungen. Nach einigen Jahren an der Macht würden die alten Ideale beiseite gelegt, und sie würden zu Parodien ihrer selbst. Nun, so Dexter, habe dank COPE der Wähler es in der Hand.
Angesichts der Sprache einiger ANC-Politiker, die ihre Gegner als Schlangen oder Kakerlaken bezeichnet haben, angesichts von Zumas Wahlkampf-Song "Bring mir mein Maschinengewehr!", äußerte Dexter seine Bedenken, ob der Wahlkampf friedlich verlaufen werde. In einigen Teilen des Landes sei dies durchaus zu erwarten, in anderen Regionen komme es darauf an, dass die Polizei die Meinungsfreiheit durchsetze und die Wahlkommission so gut wie bisher arbeite. Wichtig sei auch, dass alle Parteien in den öffentlichen Medien zu Wort kommen.
Für den ANC ist es ein Novum, von einem starken Gegner herausgefordert zu werden. Noch sind nicht alle juristischen Probleme der ANC-Parteiführung ausgeräumt. Vor allem die Ermittlungen über die Umstände eines umfangreichen Waffen-Beschaffungsprogrammes hängen weiter an Zuma. Ihm wird Korruption, Betrug und Geldwäsche vorgeworfen. Als Vizepräsident musste er deshalb 2005 abtreten. Sein Finanzberater wurde bereits verurteilt. Zu einem Prozess kommt es möglicherweise erst, nachdem Zuma vom neuen Parlament ins höchste Staatsamt gewählt worden ist – falls es denn dazu kommt. Phillip Dexter hat Zweifel: Die Wahl am 22. April werde ein "Kopf-an-Kopf-Rennen" zwischen dem ANC und COPE werden, lautet seine Prognose.
Jour Fixe
Interview im Deutschlandradio mit Philip Dexter am 5.3.09
Parteisprecher Dexter will Politikwechsel
Philipp Dexter im Gespräch mit Ulrike Timm, Deutschlandradio
Der Sprecher des südafrikanischen Congress of People (COPE), Philipp Dexter, sieht Chancen seiner neuen Partei bei Parlamentswahl am 22. April. Der regierende ANC hat die "Affirmative Action" in dem Land nicht richtig umgesetzt, sagte Dexter.
Perspectives: Political analysis and commentary from Southern Africa 05/2008
South African democracy at a brink
- Download the complete 05/2008 edition of "Perspectives" as a pdf file (12 pages, 205 KB)