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„Langfristig ist Frieden nur durch Rechtsstaatlichkeit möglich“

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Athar Minallah ist Anwalt am Obersten Gerichtshof in Islamabad. Foto: Alexandra Wischnewski

 

3. November 2009
Acht blutige Anschläge gegen Sicherheitskräfte innerhalb einer Woche eröffneten eine neue Dimension des Terrors in Pakistan. Darauf startete die Armee am 17. Oktober eine Bodenoffensive gegen die Taliban und Al-Qaida in dem an Afghanistan grenzenden Waziristan. Zwei Jahre nach dem hoffnungsvollen, demokratischen Neuanfang bleibt die Lage in Pakistan instabil. Ein Interview mit Athar Minallah, Anwalt am Obersten Gerichtshof in Islamabad, über die aktuelle Situation und rechtsstaatliche Entwicklung in Pakistan.

Herr Minallah, wie beurteilen Sie das militärische Vorgehen Ihrer Regierung?

AM: Es gibt ein Problem, das Pakistan angehen muss und eben das tut die Armee. Alleine kann es die Armee aber nicht schaffen. Die politische Führung muss sichtbar auftreten und mit dafür einstehen, Pakistans Grenzen zu verteidigen. Es muss eine Kombination von militärischem Vorgehen und politischen Bemühungen sein, um das Vakuum zu füllen, das durch das Versagen der Regierung und der staatlichen Institutionen entstanden ist. Doch auch wenn jetzt beides wichtig ist, wird Pakistan Wohlstand und Frieden langfristig nur mit Rechtsstaatlichkeit und „good governance“ erreichen.

Wie wird die Militäraktion von der Gesellschaft in Pakistan aufgenommen? Sollte die Regierung eher in einen Dialog eintreten?

AM: Nein, keinen Dialog, denn diese Leute, die Pakistan angreifen, sind keine pakistanischen Patrioten. Sie schadem dem Land. Zumindest den Terroristen und Kriminellen muss Pakistan mit eiserner Hand begegnen. Verhandlungen wären eine Kapitulation. Nur eine unerhebliche Minderheit in der Gesellschaft hat ein Nachsehen mit diesen Leuten. Die überwältigende Mehrheit in Pakistan will Frieden in einem starken, lebendigen und demokratischen Pakistan - unter rechtsstaatlichen Bedingungen.

2007 entstand als Reaktion auf die Amtsenthebung des Obersten Richters Iftikhar Chaudhry durch Musharraf eine gut organisierte Bewegung der Anwälte und Richter, an der auch Sie beteiligt waren. Ihre Proteste hatten maßgeblichen Anteil am politischen Wechsel im Frühjahr 2008 und führten mit der Wiedereinsetzung des Richters im März 2009 zum Sieg der Zivilgesellschaft. Was macht die Bewegung der Anwälte und Richter heute?

AM: Nun, sie kämpft weiter. Der Richterstand hat mit seiner Politik die Grundlage für Reformen gelegt. Dies trägt zum Ziel des Aufbaus von Rechtsstaatlichkeit bei. Und die Anwälte haben sowieso einen Eid geleistet, der sie auf Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. Allein deshalb muss und wird die Bewegung auch damit fortfahren.

Sieht sich die Bewegung in einer politischen Rolle und wenn ja, in welcher Weise?

AM: Sie ist eine sehr starke und effektive Interessengruppe, aber sie ist keine politische Partei. Sie vereint Menschen verschiedener politischer Strömungen. Sie kann also keine politische Einheit bilden, muss jedoch ihre Bemühungen, Rechtsstaatlichkeit zu etablieren, als eine glaubwürdige Interessengruppe fortsetzen.

Welche anderen zivilgesellschaftlichen Bewegungen spielen momentan eine herausragende Rolle?

AM: Leider wurde die Zivilgesellschaft in den letzten 60 Jahren ganz bewusst marginalisiert. Aber eine andere starke Gruppe neben der Anwaltsbewegung sind die Medien. Beide sind wirklich demokratisch organisiert und können neben den politischen Parteien eine wirksame Rolle spielen. Die Zivilgesellschaft hingegen ist noch nicht organisiert. Vor zwei Jahren hat sie sich der Anwaltsbewegung zwar spontan angeschlossen, aber das war nur unter den besonderen Umständen. Sie muss sich auch eigenständig organisieren, aber dafür braucht sie Zeit.

Könnte eine ähnliche Bewegung, ein Bündnis von Anwaltsbewegung, Zivilgesellschaft und Mainstream-Parteien der Talibanisierung Einhalt gebieten? Und wenn ja, gibt es dazu Ansätze?

AM: Die erwähnten Interessengruppen stehen in dieser Frage zwar hinter den politischen Parteien, aber es ist primär die Aufgabe der Regierung, sich gegenüber dieser Bedrohung zu behaupten und die Nation durch die Krise zu führen. Es gibt daher keine Notwendigkeit für ein formales Bündnis. Die Parlamentarier müssen die Menschen in ihren Wahlkreisen mobilisieren und Kontakte zu zivilgesellschaftlichen Organisationen knüpfen. Im Moment tun sie dies nicht, sondern betreiben die parlamentarische Arbeit von einem Tag zum anderen, ohne Plan. Dabei wäre genau dies wichtig für die Zukunft der Demokratie in unserem Land.

Im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Taliban wird auch immer wieder die Beteiligung des Westens diskutiert. Dies scheint Spiegel eines tiefsitzenden Misstrauens zu sein. Wie sollte sich der Westen verhalten?

AM: Der Westen sollte anders als in der Vergangenheit erst einmal ein Verständnis für die Lage aufbauen. Er muss dabei die Souveränität Pakistans respektieren. Durch die neue US-Regierung gibt es zwar einen positiven Wechsel in der Vorgehensweise, aber die vergangene Führung hat schwere Fehler gemacht und der Westen ist ihr blind gefolgt. Nur ein Beispiel: Zwei Jahre lang gab es mit uns in der gesamten Islamischen Welt eine einzigartige, liberale und pluralistische Bewegung, die vom Westen jedoch vollkommen ignoriert wurde. Der Westen hat dabei nicht nur eine Chance verpasst, sondern auch die gesamte Bewegung zurückgeworfen. Wir brauchen, meines Erachtens, vom Westen weder Geld noch Entwicklungshilfe, sondern nur ein tieferes Verständnis. Wir wollen nicht noch einmal das gleiche erleben wie in den 80er Jahren, als die Osama bin Ladens dieser Zeit ins Weiße Haus eingeladen und zu Helden erklärt worden sind. Der Westen ist Teil des Schlamassels. Deshalb muss er seine Politik überdenken und die Herausforderungen Pakistans respektieren.

Welche Folgen hat die Diskussion im Westen über die Aufstellung der internationalen Truppen in Afghanistan für die Lage in Pakistan?

AM: Auf der Fachkonferenz der Heinrich-Böll-Stiftung Ende Oktober zum Thema „Rule of Law: The Case of Pakistan“ hatte ein Teilnehmer eine sehr gute Idee: Alle Nachbarstaaten Afghanistans sollten eine Versammlung einberufen - und es mag besser sein, wenn anstatt der NATO die OIC (Organisation der Islamischen Konferenz) ihre Truppen dort aufstellt. Denn der Widerstand hat nichts mit dem Islam zu tun. Unter den palästinensischen Selbstmordattentätern waren Muslime wie auch Christen, die gegen die Besatzung ihres Landes gekämpft haben. So ist es auch in Afghanistan. Die schwierige Situation dort muss verändert werden, aber auf eine Weise, die nicht wie eine Besatzung wahrgenommen wird. Deshalb könnten die Friedenskräfte der OIC-Länder die amerikanischen Truppen ersetzen, um den Frieden nach Afghanistan zu bringen.

Das Interview führte Alexandra Wischnewski.